Ich wollte die Diskussion zwar eigentlich mit meinem letzten Beitrag beenden, weil ihr wahrscheinlich unabhängig von Argumenten und Fakten aus Prinzip nie auch nur einen Millimeter von eurer (teilweise selbstherrlichen) Position abrücken würdet und es ziemlich sinnlos ist. Aber nachdem es euch scheinbar so viel Spaß macht, halte ich weiter die Flagge der Abtreibungsbefürworter hoch, damit ihr weiter diskutieren könnt.
Ihr habt so viel geschrieben, auf so viel kann ich gar nicht eingehen. Deswegen greife ich einige Aussagen von euch anonymisiert und gekürzt auf, sortiere sie und kommentiere sie kurz als Anregung zur weiteren Diskussion. Hoffe, ihr kennt euch noch damit aus und das ist okay.
Zitat:
Wenn eine Mutter ihr behindertes Kind tötet, dann geht sie oft straffrei aus.
Dass Straftaten gegenüber Behinderten und Frauen milder geahndet werden, finde ich auch nicht gut. Abtreibung ist aber nicht grundsätzlich eine Straftat, in dem Sinn, dass es bestraft wird.
Zitat:
Ebenso wird dieser Kindstötung in den Medien oft Verständnis entgegen gebracht (...) Ebenso wird Frauen, die Spätabtreibungen durchführen lassen, in den Medien i.d.R. sehr viel Verständnis entgegen gebracht.
Zitat:
In einigen Fällen werden selektiv Kinder in eine andere Kategorie eingeordnet
Zitat:
Bei diesem Thema geht es aber eigentlich um selektiven Schwangerschaftsabbruch, nicht Schwangerschaftsabbruch allgemein.
Von dem entgegengebrachten Verständnis hab ich bisher wenig mitbekommen, aber vielleicht gibt es das irgendwo.
Spielt es eine Rolle, welche Art von Abtreibung (selektive / Spätabtreibung / "normale" Abtreibung)? Dann würde ich das extra diskutieren. Ansonsten ist es kein Argument.
Zitat:
bei Beachtung des Verfahrens straffreien Kindstötung
Sind damit Spätabtreibungen gemeint oder was meinst du genau damit?
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Seitens der Kommilitoninnen: null Verständnis. Sie hätte abtreiben sollen. Nach dem Studium könnte sie ja nochmal schwanger werden.
Das kenn ich auch. Treiben Studenten aber ab, gibt genauso wenig Verständnis. Es ist egal, was man in der Situation macht. Man kann es nur verkehrt machen.
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Warum ist es für manche Frauen anscheinend einfacher, ihr (ungeborenes) Kind umzubringen, statt es zur Adoption frei zu geben, wenn sie es schon nicht wollen?
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Ich werde nie verstehen warum man sein Kind lieber tötet anstatt es zur Adoption freizugeben.
Nach der Geburt entsteht oft biologisch bedingt eine enge Bindung ans eigene Kind. Auch wenn man es nicht mag, kann man es trotzdem nicht abgeben. Vom Ansehensverlust (Rabenmutter), massivem Druck von anderen Leuten und der Überlegung, dass nicht fremde Leute die eigenen Gene großziehen sollen, ganz zu schweigen.
Zitat:
Es gibt Verhütungsmethoden, die – bei richtiger Anwendung – tatsächlich ziemlich sicher sind.
Das hilft nichts, wenn man schwanger ist. Man kann sie nicht nachträglich zur Abtreibung anwenden, dafür sind sie ungeeignet.
Außerdem heißt Ziemlich sicher nicht hundertprozentig sicher. Ich weiß auch nicht, ob der Pearl-Index richtig ist und nicht nur eine Werbeaussage. Dafür kenn ich zu viele (über der statistischen Wahrscheinlichkeit) die trotz Verhütung ungewollt schwanger wurden.
Und es gibt zig Gründe, warum Verhütungsmittel nicht oder nicht richtig angewendet werden.
Zitat:
Warum sollten die Rechte und Interessen der Schwangeren mehr wert sein als diejenigen des ungeborenen Kindes?
So extrem hab ich es nicht formuliert. Ich hab geschrieben, es muss ein Ausgleich gefunden werden, weil beide gleich viel wert sind.
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Bei Regenwürmern wird auch oft davon ausgegangen (...) Wenn mich mein Nachbar (...) Wo ist da der Unterschied zur Mutter, die ihr (werdendes) Kind umbringt?
Regenwürmern überleben teilweise, wenn man sie durchschneidet. Ob sie Schmerzen haben, kann ich nicht beurteilen. Ich hab noch nie einen Regenwurm zerschnitten und kenne auch niemand der das macht (nur bei Schnecken). Spielt aber keine Rolle, weil es mit dem Thema nichts zu tun hat. Auch nach einem Nachbarschaftsstreit kann man umziehen, aber man kann ein ungeborenes Kind (noch) nicht umpflanzen. Für den Nachbarn hat man nach einem Streit keine Verantwortung, für das Kind schon.
Beides ist mit Abtreibung nicht zu vergleichen. Regenwürmer und Nachbarn reihen sich deshalb hinter "lästigen Omas" und "Komapatienten" an.
Zitat:
Es ist ein gesellschaftliches Problem (...) Aber (werdende) Mütter/Frauen sind ebenso Teil dieser Gesellschaft und können dazu beitragen, dass sich an der Situation etwas bessert.
Ja, es ist auch wichtig, dass sie sich für ihre Rechte einsetzen. Aber damit ist ihr Problem nicht gelöst.
Man kann Abtreibung als einen Versuch sich dafür einzusetzen betrachten (ähnlich wie Selbstverbrennungen). Durch eine extreme Handlung soll auf ein Problem aufmerksam gemacht werden.
Zitat:
Nach geltendem deutschen Recht ist jede "normale" Abtreibung verboten, weil das Grundgesetzt nichts anderes zulässt.
Ist es in Zeiten von EU und Globalisierung sinnvoll, die Diskussion auf die Bundesrepublik zu beschränken?
Über die moralische Gültigkeit des Grundgesetzes lässt sich streiten. Es wurde von einer Gruppe Verbrechern verfasst (ausnahmslos alle an seiner Verfassung beteiligten sind irgendwann im Lauf ihres Lebens im Gefängnis gelandet) und sollte nur bis zur Wiedervereinigung gelten. Die geplante Abstimmung darüber, ob es immer noch gilt, fand nie statt. Ist es tatsächlich demokratisch legitimiert und taugt es als Diskussionsgrundlage?
Zitat:
Diese Debatte fand im Prinzip ohne die Beachtung von Fragen statt, die heute hier für mich entscheidend sind.
Welche?
Zitat:
da heute hier die Diversität des menschlichen Genoms auf dem Spiel steht,
Das bezweifle ich. Ich halte das ebenso wie Klimarettungsversuche für menschlichen Größenwahnsinn und Entfremdung von der Natur. Die Natur ist mächtig genug, um die minimale Beeinflussung durch den Menschen locker aushalten zu können. Bis bei 7 Milliarden Menschen (oder wie viele auch immer zur Zeit auf der Erde leben) und Millionen (Milliarden?) von Jahren bisheriger und zukünftiger Entwicklungsgeschichte ein Gen völlig ausgerottet ist, dauert es lange. Ich glaube nicht, dass das jemals passieren wird.
Und selbst wenn, der Mensch Einfluss auf das menschliche Genom nehmen könnte - vielleicht ist es sogar zu seinem Vorteil?
Die Natur wird oft als bösartig und menschenfeindlich dargestellt - ist sie das? Vielleicht ist sie dem Menschen eher wohlgesonnen? Vielleicht möchte die Natur, Gott oder wen auch immer man als höchste Instanz sieht, dass der Mensch das Genom beeinflusst? Sonst müsste sie / er es doch leicht unterbinden können?
Es passt nicht ganz zum Thema, aber ich hab bei solchen Diskussionen immer wieder den Eindruck, dass "die Natur" "das Klima" "das Genom" als Ersatzreligion / Ersatzgott oder als Gegenspieler zu Gott als eine Art moderner Teufel gesehen wird. Vielleicht ist das eine menschliche Eigenart sich so eine Instanz zu suchen. Wobei ich es interessant finde, was dieser Instanz unterstellt wird. Wenn gesagt wird, "die Natur möchte" oder "Gott möchte" und deshalb musst du... Möchte sie / er das wirklich? Oder ist das nur ein Versuch, sich mit falschen Federn zu schmücken? Möchte die Natur oder Gott nicht vielleicht genau das Gegenteil?
Zitat:
Eine Mutter treibt mit einem Kind auch einen Teil ihres Lebensglücks ab, für das sie im Vorfeld einer Abtreibung keinen Blick hat.
Ich glaube nicht, dass diese Unterstellung auf alle Abtreibenden zu trifft. Ich denke, dass einige sehr genau wissen, was sie tun und sich, obwohl sie eigentlich gerne ein Kind hätten, trotzdem dazu gezwungen sehen, abzutreiben.
Zitat:
In einem guten Beratungsgespräch wird ihr das aufgezeigt.
Und sie mit Moralpredigten gequält und noch mehr unter Druck gesetzt. Ich könnte dieses Leid niemand zufügen. Das widerspricht meiner Vorstellung von Nächstenliebe.
Außerdem müssen auch die (psychischen, körperlichen und sonstigen) Spätfolgen einer nicht gemachten Abtreibung berücksichtigt werden. Wer haftet für die?
Zitat:
Für die Macht der Mutter oder für die Ohnmacht des Kindes.
Oder für die Ohnmacht, Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit der Schwangeren und die Macht des Kindes?
Zitat:
Ich bin grundsätzlich nicht für Schwangerschaftsabbruch
Ich bin auch nicht für Schwangerschaftsabbruch, sondern für das Recht darauf.
Zitat:
Das war zwar ein extremes Beispiel, da war mehreres schiefgegangen, aber vielleicht wäre da ein Schwangerschaftsabbruch besser gewesen.
Auch wenn das ein Argument für meine Forderung nach Legalisierung von Abtreibungen ist, ist das ein schwieriges Beispiel. Soll es unterstellen, dass das Leben der Tochter nicht lebenswert war und sie deshalb besser hätte abgetrieben werden sollen? Wie ging es der Mutter?
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Das Geschlecht dürfte eigentlich kein Grund sein.
Das hängt davon ab, welche Konsequenzen das Geschlecht des Kindes für die Eltern hat (s. China-Diskussion am Anfang des Threads).
Ich halte den zu Beginn vorgestellten Bericht aber für bewusst reißerisch und abstrus, um Stimmung gegen Abtreibung zu machen. Werbeplakate wären ehrlicher, aber vielleicht nicht effektiv genug.
Zitat:
Irgendwie kommt da die Leistungsgesellschaft durch, auch das Kind muß optimal sein.
Ja, das ist ein Problem. Das finde ich auch.
Genauso wie euch, geht's mir ein bisschen ums Prinzip: Überspitzt formuliert: Müssen Schwangere so viel Rücksicht nehmen und sich aufopfern, nur weil es ein Moralapostel (der die Schwangere, die Mutter und das Kind nie unterstützen würde!) möchte? Sind sie - wie im Dritten Reich - der Backofen der Gesellschaft? Für "die Diversität des menschlichen Genoms"? Für Kanonenfutter? Für die Rentenversicherung? Zur Befriedigung des Machtbedürfnisses der Abtreibungsgegner? Wieso wird Frauen wird nicht zugetraut, eigenständig darüber entscheiden zu können, ohne Beratung und Empfehlung von Staat und Kirche? Wozu sollen sie unnötig warten? Um ihr Leiden zu verlängern? Warum werden Abtreibungen überhaupt gezählt?
Außerdem finde ich diese Verurteilungen, die auch bei euch immer wieder finden sind, ziemlich unfair. Jeder hat seine Gründe, sich so und nicht anders zu entscheiden und das ist auch okay.
Abtreibungen zu reglementieren oder zu verbieten ist mit einem emanzipierten, modernen Frauenbild nicht vereinbar.