Was mich so ein wenig irritiert an der ganzen Debatte, ist das "negative Kinderbild", das überhaupt hinter dem ganzen Erziehungsgedanken steckt. Für
Rousseau kam der Mensch sozusagen als "edler Wilder" zur Welt und wurde dann von der Gesellschaft versaut: „Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendiger Weise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen“ (ebd.)
Er unterstellt, dass der Mensch im "Naturzustand" lediglich das Interesse hat: "Sorge für dein Wohl mit dem geringstmöglichen Schaden für die anderen."
Rousseau ist mittlerweile ziemlich out und über die Idee des "edlen Wilden" wird eher gespöttelt, zumal sie noch gründlich verkitscht wurde durch Winnetou. Die Grundlage der heutigen Vorstellungen über Erziehung ist die Prämisse, dass der Mensch erzogen werden muss, und im unerzogenen Zustand keineswegs ein "edler Wilder" sei, sondern ein böser Barbar.
Möglicherweise sind die Kinder unterschiedlich. Ich hab ja nur eins von Anfang an intensiv mitgekriegt - meinen Sohn. Den hätte ich allerdings jederzeit und überall als Beweisstück für die Richtigkeit der Rousseau'schen Theorie über den Naturzustand des Menschen vorzeigen können (interessanterweise sagen die Buddhisten in dem Punkt dasselbe).
Das heißt natürlich nicht, dass es zwischen uns nicht mal zu Interessenkonflikten gekommen wäre. Genau wie zwischen mir und anderen Leuten auch.