Der Ernst des Lebens / Das Leben
14.12.12, 14:47:47
feder
geändert von: feder - 14.12.12, 14:48:08
Immer wieder wird von Eltern behauptet, die autistischen Kinder müssten bestimmte Dinge lernen, damit sie später im Leben zurechtkommen. Die Eltern können ja nicht ewig da sein für sie.
In Bezug auf grundlegende Fähigkieten leuchtet mir das in einem gewissen Rahmen auch ein. z.B. wird wohl kaum jemand bestreiten, dass es wichtig ist, sich möglichst eigenständig anzuziehen. Darüber wie dieses Anziehen gestaltet sein soll, bzw. welche Kleidungsstücktypen überhaupt wichtig sind, scheint kein Konsens zu bestehen.
Seit einiger Zeit frage ich mich allgemein, welches nun diese (nicht aus biologischer Sicht überlebensnotwendigen) Fähigkeiten sind, die man unbedingt als Erwachsener braucht und ohne die man nicht zurechtkommen kann?
Gibt es da Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen A und NA?
14.12.12, 16:38:08
55555
Mir scheint dieser Code eine bestimmte Vorstellung davon zu enthalten wie jemand zu leben hat. Diese Vorstellung wird dann aus rhetorischen Gründen "das Leben" genannt, weil die Möglichkeit von Alternativen gar nicht erst auch nur angedeutet werden soll, damit die verfolgten Ziele nicht hinterfragt werden.
Zumindest statistisch scheint es da wohl schon Unterschiede zwischen Autisten und Nichtautisten zu geben.
14.12.12, 16:45:06
Mama
Ich denke es ist wichtig andere Lebewesen zu respektieren. Wut dosieren zu können. Selbstbewusstsein zu erlangen. Mit Gefühlen umgehen zu können.
Das sind für mich die Dinge welche für das Leben sehr wichtig sind. Genau so wichtig wie ankleiden, waschen, essen. Welche Kleidung für richtig empfunden wird sollte jedem Menschen selbst überlassen sein. Ebenso welche Nahrung er wann mag und auch seine Art der Hygiene.
14.12.12, 17:20:05
55555
"Selbstbewußtsein erlangen" und bestimmte Vorstellungen erfüllen: Eine interessante Kombination.
14.12.12, 17:34:58
feder
Wie Gefühle aus gesellschaftlicher Sicht gezeigt werden dürfen/sollen, wird kulturell teilweise sehr unterschiedlich gehandhabt. In Bezug auf "respektvollen Umgang" gilt im Grunde dasselbe.
14.12.12, 20:35:09
Mama
Wie Gefühle gezeigt werden sollen habe nicht geschrieben. Ich meinte den Umgang mit den eigenen Gefühlen.
In meinem Kulturkreis zählt das Schlagen eines anderen Menschen oder auch eines Tieres als respektlos.
14.12.12, 22:36:42
feder
Zitat:
Ich meinte den Umgang mit den eigenen Gefühlen.
Du meinst also, wie ein Individuum für sich mit seinen Gefühlen umgehen soll, auch wenn sie nach Aussen hin vielleicht überhaupt nichts sichtbar sind? Sozusagen den internen Umgang lernen? Macht es für mich nur noch fragwürdiger.
Generell würde ich es begrüssen, wenn sich die Beiteiligung hier – im Verlauf des Threads – von diesem einen anderen Thread loslösen und allgemeiner werden würde. Diese Frage beschäftigt mich schon seit Jahren, der eine Thread war für mich nur Auslöser, sie hier zu stellen.
15.12.12, 09:03:54
Mama
Du meinst also, wie ein Individuum für sich mit seinen Gefühlen umgehen soll, auch wenn sie nach Aussen hin vielleicht überhaupt nichts sichtbar sind?
Nein. Wenn das Kind mit einem Gefühl kämpft ich es optisch wahrnehme, oder das Kind auf mich zu kommt, kann ich ihm helfen damit umzugehen.
Zitat:
Sozusagen den internen Umgang lernen?
Ja. Denn Gefühle können manchmal sehr gefährlich werden.
Zitat:
Generell würde ich es begrüssen, wenn sich die Beiteiligung hier – im Verlauf des Threads – von diesem einen anderen Thread loslösen und allgemeiner werden würde.
Welcher andere Thread?
Zitat:
Diese Frage beschäftigt mich schon seit Jahren
Das ist auch eine sehr gute Frage.
Ich fände es gut wenn sich auch andere Mitleser hier beteiligen würden. Nicht nur registrierte Nutzer sondern auch die Gäste. Je mehr hier mitmachen um so besser ist es für feder eine Antwort auf ihre Frage zu bekommen.
15.12.12, 09:16:17
feder
geändert von: feder - 15.12.12, 09:50:01
Zitat:
Welcher andere Thread?
Dieser Thread. Teilweise schienen sich mir deine Antworten deutlich darauf zu beziehen, weshalb ich präventiv darauf hingewiesen habe, dass auch Allgemeineres erwünscht ist.
15.12.12, 11:28:15
Bicycle
"Der Ernst des Lebens" wird denke ich deshalb meist die Zeit nach dem 18. Lebensjahr genannt, weil man davor davon ausgeht, dass die Person bei den Erziehungsberechtigten lebt, um sie gesorgt wird und zur Schule geht. Folglich muss die Person nicht unbedingt selbstständig denken.
Ab den 18. Lebensjahr werden dann manche aufeinmal damit konfrontiert selbst denken zu müssen und Verantwortung über sich selbst übernehmen zu müssen. Was davor durch Vorgaben der Eltern oder Lehrer übernommen wurde.
Deshalb bezieht sich das denke ich auch nicht auf alle Menschen.
Welche "Fähigkeiten" mehr oder weniger wichtig für das Leben sind, weiß ich nicht.
Einige Fähigkeiten dienen wahrscheinlich einfach dazu sich anzupassen und folglich teilweise auch einfach um nicht aufzufallen und andere um das zu erreichen, was man erreichen will. Was auch immer das für jeden selbst ist.
Wichtige Fähigkeiten, die jeder grundlegend mehr oder weniger braucht, um "das Leben" leben zu können, fallen mir nicht ein.
Wobei hier das Wort "Fähigkeiten" auch teilweise für "Fertigkeiten" steht.
15.12.12, 14:46:12
Mama
Dem ersten Abschnitt von Bicycle Stimme ich zu. Es ist gut erklärt.
In der Zeit vor dem erreichen des 18. Geburtstages ist es Aufgabe der Eltern, oder allgemeiner der Erziehungsbetechtigten das Kind auf die Volljährigkeit vorzubereiten.
Damit sind alle Kinder gemeint. Egal ob Autist oder nicht.
15.12.12, 18:53:12
feder
geändert von: feder - 15.12.12, 19:45:45
Dass es sich beim "Ernst des Lebens"/"dem Leben" um die Volljärigkeit handelt, habe ich angenommen. Was denn nun diese Fertigkeiten/Fähigkeiten sein sollen, ist mir so unklar, wie zum Zeitpunkt der Fragestellung.
Edit: Mir scheint, viele Eltern gehen davon aus, dass ihre autistischen Kinder, wenn sie erstmal erwachsen sind, im Idealfall (aus wessen Sicht auch immer), einer Erwerbstätigkeit nachgehen werden, die von den zeitlichen Strukturen weitgehend "klassisch" aufgebaut ist: morgens muss pünktlich bei der Arbeit erschienen werden, daraufhin arbeitet Autist eine bestimmte Anzahl Stunden im Büro ab und macht pünktlich, wie alle anderen Feierabend.
Generell mag diese Zeitenteilung für eine Vielzahl von Anstellungen auch zutreffend sein, aber es gibt auch Nachtarbeit, oder grundlegend andere Arbeitszeitmodelle. Die Möglichkeit des Arbeitens von zu Hause aus sollte auch nicht unerwähnt bleiben. Mit Internet und Computer ist das aus organisatorischer/technischer Sicht in vielen Bereichen kein Problem mehr, ein Problem sind jedoch teilweise noch immer die jeweiligen Arbeitgeber, die von den Vorteilen dieses Modells überzeugt werden müssen.
Weiter scheint Eltern ganz wichtig zu sein, dass auch Autisten respektvollen Umgang lernen. Dass dazu das Schlagen von Personen nicht gehört, leuchtet mir ein. Aber was, wenn die Person aus subjektiver Sicht nur in Notwehr schlägt, weil sie sich anders nicht verständlich machen kann? Ist das dann auch respektlos und muss aberzogen werden?
Generell tue ich mir sehr schwer damit, respektvollen Umgang an konkreten Verhaltensweisen festzumachen, weil das (sozio-)kulturell sehr unterschiedlich wahrgenommen wird.
Dass ich das Vermitteln eines angemessenen Umgangs mit Gefühlen sehr fragwürdig finde, habe ich ja schon geschrieben.
Auch nach einigem Überlegen bleibt für mich im Grunde kaum etwas übrig, was man bei sämtlichen wählbaren Lebensmodellen unbedingt beherrschen muss.