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Texte beim Tippen in hörbare Sprache umwandeln

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01.06.10, 20:45:23

Kraeutergnom

Guten Tag,

ich habe mich eben hier registrieren lassen, weil ich Vater eines Mädchens mit frühkindlichen Autismus bin. Sie ist 11 Jahre alt und spricht praktisch gar nicht. Kommunikation über Bildkarten entwickelt sich schleppend, lesen und schreiben verweigert sie.

Nun kam mir die Idee, ob es vielleicht ein Computerprogramm gibt, welches eingetippte Buchstaben sofort in hörbaren Text umwandelt. Also nicht erst eine fertige RTF-Datei einliest, sondern bereits beim Tippen die Silben hören lässt. So könnte sie erfahren, wenn sie mal an der Tastatur spielt, was sie da eigentlich tippt. Sie macht das manchmal so schnell, dass ich in Echtzeit nicht hinterher komme mit dem Mitlesen. Wenn ich anschließend lese, was sie getippt hat, versteht sie den Zusammenhang nicht mehr.

Weiß da jemand etwas? Also es müsste ein Programm sein mit Textverarbeitung und Audiofunktionen gleichzeitig.

Danke und schöne Grüße
von Andreas
01.06.10, 22:43:45

55555

Es würde mich wundern, wenn das "Problem" darin bestünde, daß sie den Zusammenhang nicht erkennt. Es ist für mich wahrscheinlicher, daß sie nicht spricht, weil sie aufgrund ungünstiger Lebensbedingungen allgemein zu stark belastet wird und so den Kopf nicht frei genug hat.
01.06.10, 22:44:48

haggard

von einem solchen programm weiß ich nichts.

habe allerdings eine verständnisfrage:
warum versteht deine tochter einen zusammenhang nicht mehr, wenn du etwas liest, das sie geschrieben hat?
01.06.10, 23:17:38

55555

Vielleicht entseht der Eindruck, weil sie nicht gleich regiert und die Eltern noch nie vernünfig informiert wurden, wie Autisten eigentlich erleben?
02.06.10, 02:18:32

drvaust

Tippt sie richtige Texte oder nur spielerisch?

Ich vermute, daß es bei ihr nicht am Sprachverständnis hängt. sondern sie kommuniziert nicht.
Ich las schon mehrmals, daß Autisten lange nicht richtig sprachen (mündlich und schriftlich), aber dann die Möglichkeiten der Sprache entdeckten und schnell die Sprache erlernten (evtl. schon konnten). Dann häufig besonders gute Sprache.

Ich kenne kein solches Programm, aber das dürfte nicht schwierig sein. Vielleicht mal bei Stummen suchen, da gibt es Sprachcomputer.

02.06.10, 08:01:43

Kraeutergnom

Sie tippt nur spielerisch. Deshalb fällt es mir auch schwer, ihr das vorzulesen, was sie getippt hat. Es ist auch so, dass sie nur eins kann: Entweder tippen oder auf den Bildschirm schauen. Sie spielt z. B. gern mit der Fernbedienung vom Fernseher, und zwar so lange, bis sie akustisch eine Reaktion vom Fernseher hört. Gleichzeitig den Fernseher anschauen und tippen kann sie nicht.
Bei meiner Laptop-Tastatur tippt sie zunächst scheinbar wahllos, bis sie sich dann auf die rote Maus in der Mitte konzentriert. Dort versucht sie aber auch nur zu tippen, dann zieht sie den roten Knopf jedes mal ab, nachdem sie erfolglos war.
Deshalb kam mir der Gedanke, sie müsste beim jedem Tastenklick sofort eine akustisch sinnvolle Reaktion hören, und zwar bei jedem Buchstaben eine andere.
Dass sie nicht sprechen will, denke ich auch, warum auch immer.
02.06.10, 08:05:11

starke Dame

geändert von: starke Dame - 02.06.10, 08:10:53

Hallo Kraeutergnom,

sie spricht ja im Prinzip mit Dir über die Bildkarten.

Autisten sind wirklich äußerst sensibel, ich habe hier lange im Forum gelesen und mit den hier aktiven Autisten über meine komplette häusliche Situation geschrieben, über mein Verhalten zu Hause und Verhalten meines Sohnes.

Er ist jetzt 3,75 Jahre alt. Mir hat vieles sehr viel geholfen, dafür ist es aber wichtig, dass hier eine gewissene Offenheit herrscht.

Leider habe ich zum Beispiel meinen Sohn immer unterschätzt, da er nicht sprach. Er kann sehr deutlich sprechen, er kann mittlerweile 3-Wort-Sätze und unzählige komplizierte Wörter. Was aber nicht bedeutet, dass er unbedingt mit mir kommuniziert, manchmal macht er es und meistens reicht ihm, das Verständigen über Gesten.

Ich akzeptiere das, es gehört zu seiner Persönlichkeit.

Ich verlinke mal meinen alten Beitrag, als ich mich hier vorgestellt habe und Du kannst einiges nachvollziehen. Es ist zwar viel Text, mir hat es aber sehr geholfen.

Liebe Grüße
Starke Dame

PS. hier der Link:
http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=3422&

Igendwo wird auch genau aufgeführt - welche Geräusche für Autisten unerträglich sein können, es wird auf Umgebung, Licht und noch viel mehr eingegangen.
02.06.10, 08:34:28

Kraeutergnom

Danke für Deinen Beitrag, starke Dame!
Vieles, was Du von Deinem Sohn schreibst, ist bei meiner Tochter ähnlich.
Allerdings spricht sie eben nicht über die Bildkarten mit mir. Bildkarten sind für sie ein leidiges Übel. Sie kommuniziert eher über Körpersprache. Ich akzeptiere das auch. Sie wird aber irgendwann ohne uns Eltern zurecht kommen müssen. Und viele Leute in den entsprechenden Einrichtungen können mit Körpersprache und Telepathie nicht so viel anfangen.
Bei den Bildkarten zeigt sie mir, dass sie diese versteht und gibt mir ein einziges Mal auch die Passenden. Und wenn ich dann bei dieser Form der Kommunikation bleiben will, gibt sie mir jedes mal konsequent die falsche Karte, beim Auswählen die passende jedes Mal als letzte. Ich lasse mich dann wieder auf Handgesten ein, sehr zum Leidwesen ihrer Lehrer und Therapeuten, die sie gern in für sie übliche Kommunikationsformen rein zwängen würden.
Wenn ich mit ihr Buchstaben an der Tafel mit Handführung schreibe, schaut sie dabei konsequent weg. Ebenso beim Schreiben auf Papier. Da sie gern auf der Tastatur spielt, dachte, wenn die Tastatur nun gleich aussprechen würde, was sie tippt, wer weiß, was sich da für Möglichkeiten für sie eröffnen.
Offenbar müsste ich einen Programmierer finden, der so ein Programm erst einmal herstellt.
02.06.10, 09:25:14

starke Dame

geändert von: starke Dame - 02.06.10, 10:47:40

Aus meiner Erfahrung weiß ich, je mehr Druck erzeugt wird, desto mehr Gegendruck entsteht.

Bewerte Deine Art der Kommunikation nicht zu hoch, denn das gesagte Wort macht nur 30 % der gesamten Kommunikaton aus. Der Rest fällt auf Mimik, Gestik, Körpersprache, Betonung und Blickkontakt.

Sie kommuniziert mit Gesten, warum denn nicht? Wenn es funktioniert, würde ich sie garnicht zu den Karten bewegen wollen.

Die Lehrer und Psychologen sind dumm wenn sie meinen einen Autisten Konditionieren zu können, sie teilt sich mit, was will man mehr. Wenn Druck ausgeübt wird, dass sie es auf eure Art machen muss, kann es später zu Depressionen führen. Ihr wird mehrmals täglich vor Augen gehalten, sie ist falsch, sie ist defekt, funktioniert nicht richtig.

Die Lehrer und Psychologen sollten lieber mit Deiner Tochter und nicht gegen Deine Tochter arbeiten.

Wenn man mit Dir ab Morgen nur noch Spanisch redet, weil es so ist und alle nur so kommunizieren, Du aber weiter deutsch reden willst, die anderen Dich trotzdem verstehen, kannst Du nicht nachvollziehen, warum man Dich dazu zwingt jetzt spanisch zu reden.

Kommunikation ist der erste und wichtigste Schritt, sein Kind verstehen zu lernen - wenn sie kommuniziert sollte man lieber sich darauf konzentrieren, sein Kind und dessen Bedürfnisse zu verstehen und beim Ausleben behilflich sein.

Nicht zu sprechen (ich gehe mal davon aus, dass es nicht daran liegt, dass ihr Sprechen motorisch schwer, bzw. unmöglich wäre) und das Verweigern von Karten, gibt ihr den einzigen Schutz vor den unsensiblen Menschen, öffnet sie diese Tür, gibt es kein zurück. Ich denke, sie ist intelligenter als Du es ihr zutraust. Wenn sie sich wegdreht, ist es eine Ablehnung. Niemals sollte man gegen den Willen arbeiten, wenn man mit dem Kind in Einklang ist, entsteht ein gegenseitiges Verständnis, es liegt in der Natur des Menschen, sich zu entwickeln und zu lernen. Seinen Horizont zu erweitern. Deine Tochter wird lernen, wird sich entwickeln. Nur weil sie sich nicht den U-Untersuchungen kompatibel entwickelt, wird es nicht so sein, dass sie nicht lernt.

Ich würde sie dann wie einen Mensch behandeln, der es vorzieht nicht reden zu "können". Denn für Autisten ist das Kommunizieren mit Nichtautisten meist sehr anstrengend und unter Umständen auch sehr nervenaufreibend, da die Nichtautisten vieles falsch verstehen und auch die Autisten vieles was Nichtautisten sagen falsch verstehen. Denn Nichtautisten sagen etwas und meinen etwas anderes, sie deuten etwas an und denken sich den Rest und setzen voraus, der Gesprächspartner wird das gedachte trotzdem verstanden haben. Autisten verstehen alles wörtlich und berücksichtigen nicht gesagte und lediglich gedachte Dinge nicht.


Ist sie bloß Autistin oder hat sie einen angeborenen Hirnschaden?


Es ist nicht schön, das Anderssein wollen heißt, wegsperren in Einrichtungen. Es ist zu früh davon auszugehen, dass Deine Tochter ohne euch nicht leben kann. Es gibt heute viele Autisten in Einrichtungen, weil es bequem ist und Geld bringt.

Die Forschung ist nicht weit genug um zu wissen, wie sich ein Autist wirklich entwickelt. Welche Entwicklungsstufen kommen wann?

Wenn ein Mensch sich mit Gestik verständlich machen kann, ist es meistens wohl auch möglich, dass er alleine versteht Körperpflege zu betreiben. Alleine versteht von A nach B zu kommen und dann kann man auch vermitteln, einkaufen zu gehen und andere Dinge, die ein selbstständiges Leben möglich machen. Ausbildung, Beruf halt Geld verdienen.

Wenn Du jetzt schon an Einrichtungen denkst, arbeitest Du vielleicht nicht bewusst, aber doch mittels Deines Unterbewusstseins unbeabsichtigt darauf hin (Eines meiner Lieblingsbücher Dr. Joseph Murphy, Die Macht Ihres Unterbewusstseins).

Ich weiß, mein Sohn wird niemals in einem Heim Leben, ich weiß er hat frühkindlichen Autismus, ich weiß, dass er weiß was er will und einen starken Willen besitzt - also weiß ich, dass er sein Leben meistern wird. Daran glaube ich ganz fest, weil ich weiß das er es kann.

Ich würde mir meinen Plan A suchen und Plan B gibt es nicht. Für mich wäre Plan B ein Heim - und ich mag die Heime in denen Menschen mit Autismus [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] untergebracht werden nicht - sie können keine Alternative sein.

Irgendwann weggesperrt zu werden weil man anders ist - keine gute Zukunftsaussicht um Leben und Lernen zu wollen.



Du hast doch viel mit Pflanzen zu tun (schließe ich aus Deinem Profil) - wie verschieden sind die Kakteen und die Azaleen, die Palmen sind ganz anders als die Zimmerlinde. Das eine Pflänzchen braucht viel Wasser, das andere kaum Wasser. Die eine will gedüngt sein oder hell stehen, die andere eher dunkel im kargen Boden. Die Pflanzen gab es schon viel länger auf der Erde als uns Menschen, die Evolution hat einiges gezaubert wenn man die Unterschiede sieht.

Wir Menschen sind noch nicht so lange da - trotzdem sehe ich da einige Zusammenhänge, was die unteschiedlichen Bedürfnisse betrifft. Sie es so, Deine Tochter ist ein ganz besonderes Pflänzchen, sie bedarf viel Liebe, noch mehr Selbstvertrauen und das Gefühl akzeptiert zu werden, so wie sie ist. Nicht ertränken in Bedingungen, die erfüllt werden müssen, sondern lieber freuen, an Dingen die sie neu erlernt hat und mit Freude macht.
Dann blüht sie auf und ist glücklich.
02.06.10, 11:01:08

zoccoly

Zitat von starke Dame:

Die Lehrer und Psychologen sind dumm wenn sie meinen einen Autisten Konditionieren zu können
Die Lehrer und Psychologen sollten lieber mit Deiner Tochter und nicht gegen Deine Tochter arbeiten.


Ich weiß immer nicht, warum Psychologen überhaupt mit Autisten arbeiten müssen.
Sie haben nach meiner Auffassung ihre Arbeit, wenn A durch die Gesellschaft "kaputt gespielt" sind und dann wäre es noch ein Glück einen zu treffen, der Ahnung vom Autismus hat.





02.06.10, 11:56:33

55555

Wie läuft der Alltag der Tochter denn generell ab? Vielleicht schilderst du mal einige Alltagssituationen genauer?
Zitat von starke Dame:
Nicht zu sprechen (ich gehe mal davon aus, dass es nicht daran liegt, dass ihr Sprechen motorisch schwer, bzw. unmöglich wäre) und das Verweigern von Karten, gibt ihr den einzigen Schutz vor den unsensiblen Menschen, öffnet sie diese Tür, gibt es kein zurück.

Ich glaube das trifft es nicht. Es wirkt auf mich so als würde das Verhalten als mehr oder weniger bewußter Rückzug betrachtet, ich denke in solchen Situationen haben Autisten eher nicht mehr recht die Kraft um sich mit soetwas auseinanderzusetzen. Ich vermute die Gründe für das "Problem" liegen an Stellen, die bisher noch nicht dargestellt wurden.
02.06.10, 12:54:48

starke Dame

geändert von: starke Dame - 02.06.10, 13:02:13

Zitat von zoccoly:

Ich weiß immer nicht, warum Psychologen überhaupt mit Autisten arbeiten müssen.
Sie haben nach meiner Auffassung ihre Arbeit, wenn A durch die Gesellschaft "kaputt gespielt" sind und dann wäre es noch ein Glück einen zu treffen, der Ahnung vom Autismus hat.


Mein KJP therapiert nicht, er macht im Prinzip nur eine Momentaufnahme, d.h., was er kann und was nicht. Wenn er Glück hat, darf er auch selber miterleben was mein Sohn kann. Dort gibt es auch kein Unverständnis dass ich spezielle Autismustherapien und die Zusammenarbeit mit ATZ ablehne.

Ich denke, man muss den richtigen Arzt finden, was bei Autisten nicht leicht ist, bei den verbreiteten Gerüchten über Autisten, kann die Suche lange dauern.






Zitat von 55555:

Ich glaube das trifft es nicht. Es wirkt auf mich so als würde das Verhalten als mehr oder weniger bewußter Rückzug betrachtet, ich denke in solchen Situationen haben Autisten eher nicht mehr recht die Kraft um sich mit soetwas auseinanderzusetzen. Ich vermute die Gründe für das "Problem" liegen an Stellen, die bisher noch nicht dargestellt wurden.



Dann kann Kraeutergnom nur den Alltag mit seiner Tochter beschreiben und findet vielleicht eine Antwort.
 
 
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