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Anpassen oder nach der eigenen Art leben?

original Thema anzeigen

 
29.12.09, 22:01:04

Mama

Dieser Threat begann doch damit, daß die Freundin eines Autisten ein bisschen unglücklich darüber ist, das dieser nicht so interagiert wie sie es gerne hätte. sie schien auch nicht bereit zu sein von ihrem Freund zu lernen. Dann meldete sich eben dieser Freund und sagte, das er glücklich wäre dieses Forum gefunden zu haben und sich nun nicht mehr allein fühlt. Dann ging es wieder um das Thema "Anpassung" und hier werden nun alle Dimensionen gesprengt. Natürlich muß man sich an Gesetze halten, uppsdaneben. An Gesetze die dem Schutz der Allgemeinheit dienen. Natürlich kann ich nicht meine Wut rauslassen, indem ich andere Lebewesen schlage. Und natürlich habe ich auch Pflichten, die ich erfüllen muß, wenn ich auf Hilfe (Hartz IV) angewiesen bin. Aber ich denke doch, hier geht es um den kleinen Rahmen. Das zu tun, was mir Freude macht, oder so zu sein wie ich bin. Durch Deine Worte, uppsdaneben, habe ich das Gefühl, Du willst mich belehren. Du sagst eigentlich: Das die Masse es richtig macht und wir uns "verbiegen" müssen, um zu dieser Masse zu gehören. Aber wer sagt Dir, das die Masse richtig handelt? Es gibt unzählige Beispiele in der Geschichte, wo dieser "Massenzwang" genau der falsche Weg war....
Das Beispiel von 55555 ist hierfür wirklich vortrefflich. Wo wären all die Homosexuellen heute, wenn sie nicht den Mut gehabt hätten, sich nicht anzupassen.
30.12.09, 01:24:18

[modmod]

Ich habe dieses Thema aus dem Thema 'Können Autisten trösten?' herausgelöst,
weil es kaum noch etwas mit dem ursprünglichen Thema zu tun hat, also eine Abschweifung war.
30.12.09, 01:56:35

drvaust

Zitat von uppsdaneben:
Zitat von Coyote:
stelle ich mich "richtig" - fühle ich mich "falsch" = nicht gut
Ich verstehe nicht, was du sagen willst.
Ich vermute, Coyote meint:
Verstelle ich mich, um 'richtig', also normal, zu scheinen -
fühle ich mich 'falsch' = nicht gut.

Zitat von uppsdaneben:
Jeder Mensch hat in jeder Sekunde seines Lebens die Pflicht, die Balance zwischen „ich bin ich“ und „ich will dir gefallen“ zu wahren. ...
Wir müssen deutlich mehr Arbeit leisten. Aber das enthebt uns nicht der Pflicht.
Das sehe ich etwas anders. Ich sehe keine Notwendigkeit, immer den Leuten zu gefallen. Ich bin der Meinung, es genügt, niemand unnötig zu stören.
Ich will den Leuten nicht gefallen. Wenn ich den Leuten zu sehr gefalle, wollen sie mehr mit mir zu tun haben, was mich stört. Ich will von den Leuten nicht gestört werden, deshalb muß ich mich etwas anpassen, um nicht aufzufallen.
Natürlich muß ich, wenn ich von den Leuten etwas will, diesen auch gefallen (oder meinen Willen durchsetzen). Aber nur dann.
Damit meine ich aber nicht, daß ich, weil ich Autist bin, mir alles erlauben kann. Man muß immer auf andere Rücksicht nehmen und unnötige Konflikte vermeiden.
30.12.09, 08:44:56

Löwenmama

Seitdem ich mir das Recht herausnehme,mich nicht mehr ständig zu verbiegen,zu sagen,wenn mir etwas zu viel wird oder auch mal mit Nachdruck mein Bedürfniss nach Ruhe einfordere,ecke ich mehr an als zuvor...Die Leute verstehen nicht,dass ich einfach in Stresssituation oder bei Konflikten Ruhe zum Nachdenken und zum Sortieren brauche,das wird als stur und bockig bewertet.Auch wird nicht verstanden,dass ich in Disskussionen bei Vorwüfen "dicht"mache...das ist nämlich keineswegs konstruktiv und macht mich ganz konfus,weil ich dann darüber nachdenke,ob diese Vorwürfe denn wirklich stimmen und ich so vom eigentlichen Thema völlig abkomme und quasi in einer Gedankenschleife festhänge...
Früher habe ich dann einfach versucht,mich unterzuordnen,aber das werde ich nie mehr tun,das hat mir selbst geschadet,aber ich war eben "angepasst" und fast "normgerecht" nach aussen hin...
30.12.09, 14:38:11

Gast

In Gesellschaften mit älteren Leuten wird akzeptiert,
wenn sie sich zu einem Mittagsschläfchen zurückziehen,
wenn sie Speisen nicht essen können, weil sie gallenkrank sind,
wenn sie Spaziergänge nicht mitmachen können, weil sie durch eine Herzkrankheit bei Anstrengung zu wenig Luft bekommen...

Seht ihr es als schwierig zu sagen, ich bin Autist, ich brauche eine erträgliche Lautstärke oder ich würde mich gerne über dieses oder jenes Thema unterhalten.
Bei einer Gesellschaft platzerte sich ein Paar (NA/A? A/A?) so geschickt, dass der eine den Dialog mit mir führte und der andere die Szene in aller Ruhe erfassen konnte, ohne das seine Blicke als aufdringlich empfunden werden konnten. Ich war gekränkt, dass dies mit mir gemacht wurde und empfand es mißbräuchlich. Ein ehrliches offenes Wort hätte ich besser vertragen.

Forthebeautyoftheearth
30.12.09, 15:52:00

haggard

@Gast:
warum hast du so empfunden?
wenn "autismus" allgemein "geistig behindert" anzuhaften scheint - wer will sich dann freiwillig als "bekloppt" outen, auch wenn letzteres nicht so ist? oft ist es doch so, dass sich menschen sehr schnell sehr anders verhalten, wenn sie eine vermeintlich wie auch immer eingeschränkte person vor sich haben. sogar mit optisch ausländisch wirkenden personen wird so gesprochen, als seien sie stark schwerhörig. "geistig behinderte" werden zusätzlich allgemein nicht ernst genommen. gerade um diese anerkennung geht es jedoch. und den autistischen menschen wird vorgezeichnet, dass diese nur dann erlangt werden könnte, wenn sie sich der "norm" anpassen würden. persönlich finde ich, dass das ein dilemma ist.
viele menschen wissen wahrscheinlich auch nichts davon, dass sie autistisch sind.
30.12.09, 19:09:42

uppsdaneben

Zitat von [drvaust]:
Ich habe dieses Thema aus dem Thema 'Können Autisten trösten?' herausgelöst,
weil es kaum noch etwas mit dem ursprünglichen Thema zu tun hat, also eine Abschweifung war.


Prima. Danke.
30.12.09, 19:22:41

uppsdaneben

Zitat von drvaust:
Zitat von uppsdaneben:
Jeder Mensch hat in jeder Sekunde seines Lebens die Pflicht, die Balance zwischen „ich bin ich“ und „ich will dir gefallen“ zu wahren. ...
Wir müssen deutlich mehr Arbeit leisten. Aber das enthebt uns nicht der Pflicht.
Das sehe ich etwas anders. Ich sehe keine Notwendigkeit, immer den Leuten zu gefallen. Ich bin der Meinung, es genügt, niemand unnötig zu stören.


Es ist das Gleiche. Ob du dich in deine Wohnung zurück ziehst, bleibt dir ja überlassen.

Zitat:
Wenn ich den Leuten zu sehr gefalle, wollen sie mehr mit mir zu tun haben, was mich stört.


Auch eine Sicht der Dinge. Nicht meine, aber ich kann's nachvollziehen.

Zitat:
Natürlich muß ich, wenn ich von den Leuten etwas will, diesen auch gefallen (oder meinen Willen durchsetzen). Aber nur dann.


Richtig. Und das wollen viele Autisten öfters. Deshalb muss man daran arbeiten.

Zitat:
Damit meine ich aber nicht, daß ich, weil ich Autist bin, mir alles erlauben kann. Man muß immer auf andere Rücksicht nehmen und unnötige Konflikte vermeiden.


Davon rede ich doch die ganze Zeit.
30.12.09, 19:32:04

Coyote

Wenn Autisten nur akzeptiert werden, indem sie versuchen sich weitestgehend anzupassen, dann wird sich nie etwas ändern.

Ich denke, es fehlt an Toleranz.
Was ist das? Ich verstehe es so, dass es bedeutet, andere Menschen in ihrer Art zu akzeptieren, sie so anzunehmen (A wie NA) wie sie sind (wie drvaust schon schrieb: solange man anderen keinen Schaden zufügt). Wenn sich Menschen anderen zu sehr unterordnen, anpassen oder gar verbiegen, ist es noch ein weiter Weg zur Toleranz.
Arbeitswelt:
Wenn jemand in seinem Beruf etwas leistet, fachspezifisch etwas vorweisen kann, egal ob A oder NT, muss die Leistung gezählt werden. Nicht, ob diese Person auch einen normgerechten Eindruck hinterlässt (z.B. im richtigen Moment lächelt) und diese sich nicht "verbiegt", um den Job zu bekommen. Dies scheint wohl das Ziel vieler Therapien zu sein (vielleicht irre ich mich auch): "Wie können Autisten lernen, sich ihrer Umwelt anzupassen?"
Reichen gute Noten und Fachwissen nicht aus?
Scheinbar nicht.
Aber indem Autisten sich verstellen (finde ich gar nicht so einfach), leben sie in einer "Schein" Welt mit "Schein-freunden". Also alles ist gut, wenn du so tickst wie NA. Dies könnte ich nicht lange ertragen.
Hat jemand nichts zum Vorweisen, würde vor einem Sachbearbeiter eines Arbeitsamtes sitzen und sagen: "Ich kann nicht im Team arbeiten, nicht telefonieren und möchte möglichst keinen oder wenig Kundenkontakt", dann sollte dies respektiert werden. Ich weiß, so denken wir hier wohl alle - ist noch ein weiter Weg.
Privat:
Ich weiß, dass ich manchmal belächelt werde. Früher hat es mir nichts ausgemacht und ich hatte Freunde, aber irgendwie keinen Stolz.
Jetzt macht es mir etwas aus, wenn andere mich belächeln und ich wende mich von ihnen ab. Sind falsche Freunde, die mich nur akzeptieren, wenn ich wie im Chor mitlache – nein, die brauche ich jetzt nicht mehr.

Zitat von uppsdaneben:
Gehe mit einem guten Freund in ein Museum mit Gemälden. Lasse dir die Augen verbinden. Lasse dich zu einem Gemälde führen. Beschreibe das Bild. Wenn du richtig liegst, dann wirst du gestreichelt. Wenn du falsch liegst, bekommst du eine Ohrfeige. Wenn du nichts sagst, passiert nichts. Lasse dich vor 50 Gemälde stellen.

Finde ich gar nicht mal übertrieben. Als Kind und Jugendliche ist es mir so ergangen und die Ohrfeigen waren real.
Also habe ich gelernt, geübt und mir sehr viel Mühe gegeben.
Und die Worte meines Vaters klingen mir noch im Ohr: "Du darfst zwar alles denken, aber nicht alles sagen." Dabei muss er sich etwas gedacht haben.
Hab alles Mögliche mitgemacht und nachgemacht, wenig gesprochen und fühlte mich verdammt "falsch". Wußte nicht warum … dachte nur, wenn ich länger mit anderen Menschen in Kontakt bin, alles mitmache, dann wird es schon … hab versucht den Aufenthalt in einer Diskothek zu ertragen und fand mein soziales Leben höllenmäßig (trotz Freunde).

Jetzt brauche ich diese Freunde nicht mehr, die mich nur akzeptieren, wenn ich "richtig" ticke … ich fühle mich in dieser Hinsicht jetzt verdammt wohl.

Menschen nicht so zu akzeptieren, wie sie sind, finde ich untolerant (von A sowie NT). Leider sind NT in der Mehrheit. Passen sich aber Autisten überall an, wird sich nichts ändern. In dem Moment für den einzelnen Autisten in der bestimmten Situation schon, aber nicht insgesammt.

Heute habe ich den Eindruck, als ob ich mit verbundenen Augen vor geformten Skulpturen stehe, sie ertasten kann und deshalb öfter richtig liege. Wenn nicht, gibt es auch selten noch Ohrfeigen (sinnbildlich), sondern werde müde belächelt. Nach dem Motto: "Ach kleiner Coyote, du kannst ja nichts dafür." Ich mag das nicht und ziehe mich zurück, fühle mich dann aber auch gut.
Wenn mich jemand ausgrenzt, stört es mich nicht mehr so wie früher. Bin wohl selbstbewusster geworden.

Vor einigen Tagen fragte mich eine Kollegin: "Kommst du auch zur Weihnachtsfeier?"
Coyote: "Nein."
Kollegin: nickt – weiß zwar nicht, was das bedeuten sollte, aber war okay. Keine Überredensversuche, einfach so akzeptiert, das war okay. Vielleicht war sie auch froh über dieses "Nein", keine Ahnung.
Ich mache selten (nicht nie) etwas, um anderen zu gefallen.
30.12.09, 19:38:16

Gast

azrael: Ich habe so empfunden, weil wir einander lange Jahre einen Teil unserer Freizeit miteinander teilten, sie meine Art zu Denken kannten und ich auf Ehrlichkeit hoffte. Ich kam mir benutzt vor.

Bei meiner Öffentlichkeitsarbeit stelle ich immer wieder fest, dass viele Menschen sich aus Sicherheitsgründen auf Verhaltensmuster der Menge oder Gruppe zurück ziehen. Es herrscht bei NA eine ähnliche Angst, "etwas falsch zu machen", wie bei A.
Der Ansatzpunkt bei der Kommunikation sollte nicht das Herausstellen und das Beweinen der Gegensätze sein, sondern die Beseitigung dieser Angst. Das geht durch Gespräch, durch Fehlermachen, durch Aufklärung, durch Sich-selbst-behaupten. Wenn ich in Köln z.B. sehe, wie selbstverständlich mittlerweile akzeptiert wird, dass Männer ganzjährig in Federboas mit der S-Bahn in eine Revue fahren, bin ich guter Hoffnung, dass es klappen kann (in der Stadt vielleicht besser als auf dem Land).
Was mir weh tut ist, dass es viele Menschen gibt, die wissen, dass sie autistisch sind (mit weniger Einschränkungen als andere), in verantwortlichen und einflussreichen Positionen arbeiten und sich nicht für autistische Menschen einsetzen, die ihrer Unterstützung besonders in der öffentlichen Diskussion benötigten.

Forthebeautyoftheearth
30.12.09, 19:44:54

uppsdaneben

Zitat von Mama:
Aber ich denke doch, hier geht es um den kleinen Rahmen.


Diese Grenzziehung funktioniert nicht, weil sich klein von groß nicht wirklich abgrenzen lässt. Unangepasstes Benehmen am Arbeitsplatz mag für den Einzelnen ein kleiner Rahmen sein, doch wenn das jeder Autist macht, ist es ein großer Rahmen.

Zitat:
Du sagst eigentlich: Das die Masse es richtig macht und wir uns "verbiegen" müssen, um zu dieser Masse zu gehören.


Ich habe nicht gesagt, dass die Masse es richtig macht. Aber sie sind 99% der Menschheit. Sie müssen ganz wenig Energie investieren, um 99% der Menschen zu erreichen, und viel Energie, um 1% zu erreichen. Also viel Aufwand für wenig Ergebnis. Warum sollte das jemand tun?

Das kann dir ja immer noch egal sein. Dann bist du halt unangepasst. Dummerweise funktionieren NAs ganz simpel, und der Schritt von „unangepasst“ zu „Arschloch“ ist wirklich klein. Wenn du für die ein Arschloch sein willst, naja, bitte.

Dummerweise neigen NAs auch zu Schubladendenken. Folglich sind alle Autisten Arschlöcher. Und jetzt habe ich ein Problem. Denn plötzlich rutsche ich von „Autist=geistig behindert” nach „Autist=Arschloch“. Meinst du, das hülfe mir wirklich?

Jetzt gibt es reichlich Autisten, die mit NAs interagieren wollen. Und all diese müssen dann leiden.

Und dann soll ich mich hinstellen und zum Autismus bekennen?
30.12.09, 19:53:28

uppsdaneben

Zitat von Coyote:
Vor einigen Tagen fragte mich eine Kollegin: "Kommst du auch zur Weihnachtsfeier?"
Coyote: "Nein."
Kollegin: nickt – weiß zwar nicht, was das bedeuten sollte, aber war okay. Keine Überredensversuche, einfach so akzeptiert, das war okay.


Erstaunlicherweise akzeptieren NAs Willensbekundungen nahezu unumschränkt, sofern sie nicht ihre Interessen kreuzen.
 
 
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