Wie kommt's? - Vorstellung
20.12.08, 11:15:38
Das O.
geändert von: Das O. - 21.02.09, 23:37:37
Wie kommt es, dass ich mich im Forum vorstellen will?
Vor 17 Jahren begegnete mir das Wort Autismus in einem Buchgeschäft das erste Mal. Das Buch legte ich schnell wieder ins Regal, weil es mich bis ins Mark erschüttert hatte. Dachte ich bis dahin, dass ich allein unter den Menschen lebte, so wusste ich jetzt, es gibt andere, die nehmen die Welt in ähnlicher Weise wahr.
Jahre später kaufte ich dann das Buch und später noch eins.
Da hatte es ordentlich rums gemacht und ich brauchte Hilfe mich wieder zu sortieren. Dabei entstand der Wunsch mit Autisten zusammen leben zu wollen, was ich die letzten 10 Jahre in einer Dorfgemeinschaft auch tat. Die Autisten, die ich kennen lernte, können sich im Alltag nicht selbst versorgen. Und das war bis vor 3 Monaten meine Vorstellung von Autismus. Menschen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind. Bücher hatte ich wegen der extremen Gefühlsbewegungen keine mehr gelesen. Lesen über Autismus fällt mir noch heute schwer.
Seit 3 Monaten habe ich einen Internetzugang und für mich neue Informationen über Autismus entdeckt. Autisten mit Familie, Kindern, Beruf und Studium, Autisten die ihr Schicksal selbst gestalten und mit ihren Fähigkeiten, Begabungen und Einschränkungen umgehen, kannte ich bis dahin nicht.
Und für jeden Bericht, für jede Selbstbeschreibung habe ich Verständnis, weil ich es ähnlich erlebe. An dieser Stelle möchte ich Euch meine "Symptome" ersparen, und werde in einzelnen Beiträgen mehr berichten. Eines ist mir noch wichtig: "Meine Welt" erscheint mir normal und selbstverständlich und ich würde an meiner Wahrnehmung und meinem Innen-Erleben nicht zweifeln. Doch die Schnittstelle ins Zwischenmenschliche macht mich zweifelnd und gab mir die Aufforderung zu erforschen, wer ich bin und wer ich bin im Vergleich zum "Normal-Menschen".
Mir ist aufgefallen, dass hier die Themen mit einer gewissen Ernsthaftigkeit besprochen werden, was ich sehr schätze.
Ich bin voller Erwartung, ob sich hier für mich neue Aspekte erschließen.
Also - Hallo vom O. und ich bin offen für Fragen zu meiner Person.
20.12.08, 12:58:18
55555
geändert von: 55555 - 20.12.08, 12:58:43
Dabei entstand der Wunsch mit Autisten zusammen leben zu wollen, was ich die letzten 10 Jahre in einer Dorfgemeinschaft auch tat.
Camphill oder sowas?
Zitat:
Die Autisten, die ich kennen lernte, können sich im Alltag nicht selbst versorgen. Und das war bis vor 3 Monaten meine Vorstellung von Autismus.
Wieso das, wenn du weiter oben sinngemäß schriebst erkannt zu haben, daß du ähnlich empfinden würdest wie Autisten? Du würdest dich selbst so beschreiben?
20.12.08, 18:11:03
Das O.
geändert von: Das O. - 21.02.09, 23:38:20
Hallo 55555,
Deine zweite Frage verstehe ich nicht so richtig.
Ich kannte überwiegend nur Autisten, die selbst wenig
oder gar nicht sprechen. Zum Teil sind sie nicht fähig,
sich selbst anzukleiden. Aber einige schreiben und
schreiben aus einem Blickwinkel, den ich auch habe,
mit einer Distanz in die Welt.
Ich selbst habe auch eine Distanz, aber ich kann mich um mein
Leben selbst kümmern. Das es ein so großes Spektrum gibt,
wusste ich nicht. Das habe ich erst durch das Internet erfahren.
Hat halt etwas gedauert. O.
20.12.08, 19:54:04
Hans
Ich habe es erst mit 43 erkannt, da hast Du einen Vorsprung.
Mir sind auch schon die verschiedensten Autisten begegnet.
Ich habe mich immer schon stark angezogen gefühlt, aber daß ich dazu gehöre,
das habe ich mir lange nicht zu denken getraut.
Was kannst Du uns aus Deiner Erfahrung mit Autisten berichten?
Erzähl doch mal so eine "Detailgeschichte"!
20.12.08, 21:12:39
55555
geändert von: 55555 - 20.12.08, 21:12:55
Das Buch legte ich schnell wieder ins Regal, weil es mich bis ins Mark erschüttert hatte. Dachte ich bis dahin, dass ich allein unter den Menschen lebte, so wusste ich jetzt, es gibt andere, die nehmen die Welt in ähnlicher Weise wahr.
Da hattest du dich noch nicht als Autist identifiziert?
20.12.08, 23:35:22
Das O.
geändert von: Das O. - 21.02.09, 23:41:04
Den Autismus gestehe ich mir erst seit kurzem ein.
Bin mir aber nicht sicher, weil ich es aus mir selbst
heraus nicht erkennen kann. Ich bin über die Aussagen
meiner Mitmenschen stutzig geworden und schlussfolgere es.
(Sonderling, "Bitte erkläre, wie Du das meinst?" "Darf ich Dir das erklären?"
und allgemein viel Ausgrenzung oder Unverständnis seit frühester Kindheit.
Schulzeit = Horrorzeit .... obwohl ich sehr gern lerne was mich interessiert).
Im Fernsehen habe ich erste Interviews durch Quarks und Co. gesehen.
Dort wurden die Blicke gezeigt, wie ein Autist sein Gegenüber betrachtet.
Dann die Schwierigkeiten in der Begegnung, Bsp. Smalltalk. Da zum ersten
Mal habe ich gesehen, was andere Autisten wohl auch sehen, mit ihren Augen.
(Dieses Abscannen, nur Details im Gesicht, nie in die Augen, umherschweifender
Blick, weil ein Blick in die anderen Augen mich nahezu verschwinden lässt).
Dass machte alles erst Sinn, als es autistentypisch bezeichnet wurde. Für
mich war es ja normal. Dann ging es sehr schnell. Unzählige Beobachtungen
machten plötzlich einen Sinn und es war klar, dass ist auch meine Art der
Wahrnehmung, dass sind auch meine Konflikte mit der Welt, dass ist mir
alles nicht fremd.
Dann machte ich Tests im Internet, wo ich durch die Fragen Schwerpunkte
entdeckte, die ich immer als "meine Probleme" versuchte zu vertuschen.
Die Anpassung ist das eigentliche Problem, dass, was bis ins Schmerzhafte
reicht. Klar dachte ich, dass ich dem Autismus wohl sehr nahe bin, aber
ob ich es bin, konnte ich ja aus mir heraus nicht feststellen. Ich hätte mal
ein anderes Bewusstsein ausprobieren müssen, um da einen Unterschied
festzustellen. Es brauchte erst eine Referenz außerhalb von mir. Und die
hat so lange auf sich warten lassen. Und ich fand sie im Fernsehen und im
Internet.
Hallo 55555,
daher habe ich mich nicht als Autist erkannt, als ich Birger Sellin las.
Den lernte ich kennen und mit ihm konnte ich mich nicht vergleichen.
Daher kam es damals mit den Büchern nicht zu der Schlussfolgerung,
ich könnte auch ein Autist sein. Aber ich fühlte Verwandtschaft.
Hallo Hans - zu Deiner Frage:
In Gegenwart anderer Autisten spüre ich eine unerklärliche Zuneigung
und die ist gegenseitig. Selbst ganz verschlossene Autisten gaben sich
mit kleinsten Gesten, meist zeitlich sehr genau gesetzt, zu erkennen.
Ich fühle den anderen Menschen in seinem Körper. Ganz gleich in welchen
Umständen er in seinem Körper gefangen ist, da ist jemand spürbar.
Dagegen bei "normalen Menschen" ist diese innere Anwesenheit wie hinter
einem Käfig aus angenommenen Gewohnheiten und Eigenheiten.
Aber das schwankt sehr, da gibt es eben offenherzige Menschen und
selbstgefangene Menschen, die sich oft nur als ihr Ego wahrnehmen.
Die letzten Jahre habe ich viel an meiner "Anpassung" gearbeitet.
So hatte ich mich in eine Gemeinschaft begeben und so sind
in den letzten Jahren auch Menschen in meine Träume gekommen.
Die waren früher menschenleer, sehr angenehm. (Habt ihr Menschen
in euren Träumen? Das wäre eine Frage die ich im Forum stellen will).
Eine Besonderheit, die ich früher hatte, war, dass ich mich nie über
eine Sache zweimal unterhalten wollte. Ganz gleich mit wem ich
etwas besprochen hatte, das Thema wollte ich dann nie wiederholen.
Oder, Gespräche, die begonnen wurden, wollte ich nach Wochen oder
Monaten bei der nächsten Begegnung mit dieser Person fortsetzen.
Das ist nicht üblich und die Leute waren oft irritiert.
Erst in der Lebensgemeinschaft war ich so kontinuierlich mit Menschen
zusammen, dass mir viele Eigenheiten über mich bewusst wurden.
Darum bin ich dankbar, weil ich einen großen Spielraum im Leben
gewonnen habe.
Die eigene Besonderheit war etwas sehr Zerbrechliches (und ist es noch)
und es gab keinen Grund das nach Außen zu tragen. Eigentlich auch heute
nicht. Aber, ich habe immer nach Menschen gesucht, habe Nähe und
Verständnis erhofft.
Ihr fragt, weil ihr mich einschätzen wollt und ich kann das hier erst
mal so anbieten. Die Liste von Honeypod finde ich auch für mich zum
großen Teil zutreffend. Ich kann nicht über Symptome, Behinderung
oder Störungen sprechen, da ich es selbst nicht so erlebe. Dennoch
sind sie im Zwischenmenschlichen spürbar.
Doch finde ich jetzt mehr und mehr Verständnis, weil ich mir selbst
nicht mehr so rätselhaft bin. Das O.
21.12.08, 02:39:26
Isabella
Hallo O,
sei erstmal herzlich Willkommen hier im Forum. Du bietest viel an interessantem Gesprächsstoff und ich freue mich schon auf einen Austausch. Bin bis Mitte Januar weg. Vielleicht kannst Du mir bis dahin folgende Fragen beantworten:
Welche Möglichkeiten haben in dem Dorf die Autisten, ihre Interessen zu verwirklichen?
Hast Du zufällig beobachtet, daß sich Extremsituationen, Situationen, in denen man spontan/ schnell/ überlegt handeln mußte, positiv ausgewirkt haben? Gab es solche Situationen überhaupt?
Seit unserem hiesigen Nobelpreis in Mikrobiologie (Methylketten lagern sich an Gene an und blockieren) hege ich eine ganz spezielle Theorie. Vor allem auch deshalb, da die "Gene" für Autismus noch nicht ausfindig gemacht wurden. Die können auch nicht gefunden werden, da es keine spezifischen Gene dafür gibt (meines Erachtens nach). Die Anlagerungen von Methylketten (Stress in Schwangerschaft und/oder Geburt) an vielleicht und unter anderem speziellen Genen ist eigentlich der Auslöser für das breite Spektrum im Autismus. Die einen sind so, die anderen so und die weniger betroffenen so - Hallo! das gibt keinen Konsens. Meiner Meinung nach kann nur die Beseitigung der Methylketten biochemisch an einem speziellen Gen eine Verbesserung hervorbringen. Vererbens ist meines Erachtens nach lediglich die Disposition, daß sich die blockierenden Methylketten an speziellen Genen der neuen Erdenbürger überhaupt anlagern. So, mehr Diskussion ab Mitte Januar.
21.12.08, 10:23:55
Das O.
Meine Vorstellung
Teil 2
Mit der Selbstdiagnose tue ich mich schwer. Das ich anders ticke,
weiß ich seit meinem 22zigsten Lebensjahr. Der Schul und Ausbildungs-
stress waren vorüber und ich hatte endlich Zeit mich wahrzunehmen.
Da setzte plötzlich mein bildhaftes Gedächtnis ein und ich konnte
mich an viele Bilder in meiner Kindheit erinnern bis hin zur Geburt.
Aber absolut menschenleer und ganz ohne Emotionen. Mit dieser
Fähigkeit in Bildern denken zu können, wollte ich was anfangen und
wollte Fotograf werden. Nach vielen Jahren wurde ich das auch und ein
ganz ausgezeichneter dazu. Mein Stil Aufnahmen zu machen war komplett
anders als der Lehrmeister es erwartete. Ich konnte ja die Aufnahme vor
dem Auslösen mit der Kamera bereits sehen. Da konnte ich viel freier
arbeiten mit den Motiven. In den USA hätte ich eine Karriere machen
können, aber ich konnte die Sprache nicht lesen und schreiben.
Jedenfalls mit der Selbstdiagnose tue ich mich schwer. Vor allem, weil ich
über die vielen Jahre mir selbst nie so richtig glauben konnte. Etwas war
ja "falsch" an mir und das haben mich auch die Therapeuten immer spüren
lassen. Sie konnten nie sagen, worum es bei mir geht, aber ich war nicht
in Ordnung. Dann traf ich eine Therapeutin, die auf körperlicher Ebene mit
mir arbeitete. Da gab es dann große Erfolge, weil über meinen Körper kann
ich mich gut wahrnehmen. Das sagte dann auch die Therapeutin, dass sie
nur noch einen anderen Menschen kenne, der sich so gut in seinem
Körper- und Seelenleben zu beschreiben weiß wie ich. Das tat gut!
Ihr vertraute ich, weil sie mich nicht anders gesehen hat wie ich mich
selbst sehe. Ein Geniestreich.
Mein körperliches Empfinden ist eigentlich das größte Indiz für Autismus.
Aber das zu erklären, möchte ich zuvor das Forum besser kennen lernen.
Ein weiteres Indiz sind Fähigkeiten, die ich schätze und an mir mag.
Zum Beispiel das Schreiben. Mein Schreibstil ist erst über die Jahre
entstanden, weil ich es erst lernen musste über mich zu schreiben.
Ende zwanzig begann es und seit dem schreibe ich gern über mich.
Ich habe jetzt und hier schon sehr viel geschrieben und finde,
es könnte auch zu viel werden.
Das O.
21.12.08, 10:36:15
haggard
...(Methylketten lagern sich an Gene an und blockieren)...
falls das der grund für autismus sein sollte, würde ich persönlich nicht durch versuch und fehlschlag an lebewesen testen wollen, was passiert, wenn ich versuche, die methylketten biochemisch zu entfernen. wer sollte das später bezahlen können? wie hoch wäre eine erfolgsrate? wie sähen die folgen von fehlschlägen aus? ich würde nicht gleich sein wollen mit allen anderen und auch nicht austauschbar werden durch solche vorgänge, mit der es sich womöglich wunderbar manipulieren ließe. auch möchte ich nichts von meiner wahrnehmung der welt einbüßen wollen. was wäre z.b. eine verbesserung für mich, wenn z.b. anstelle von 120%iger sehkraft eine nur noch 80%ige bliebe? dies fortgesetzt bei allen sinneswahrnehmungen. warum sollte ich mit etwas schlechterem leben wollen? sollten dann nicht besser alle anderen eine "impfung" erhalten, damit sie ihre fähigkeiten wiedererlangen, die sie scheinbar noch im säuglings-/kleinkindalter besaßen und durch abgelenkte konzentration "vergaßen"? einigen gehörlosen kindern werden implante eingesetzt, damit sie hören können. die plötzlich vorhandene kakophonie an geräuschen können sie nicht abstellen, die erlernte gebärdensprache sollen sie nicht mehr nutzen - manchen werden die hände festgehalten um sie zu lautäußerungen zu zwingen (warum müssen menschen solchen erfahrungen ausgesetzt werden?). was wäre, wenn die welt, so wie ich sie erlebe, gar nicht so schön ist? oder meine hirnleistung sinken würde? könnte ich dann noch meinen beruf ausüben?
"normalität" um jeden preis?
es wäre so viel einfacher, wenn die menschen gegenseitig rücksicht nehmen würden. anstatt ständig unmögliches zu verlangen, auch warten zu können. anstatt unter zeitdruck höchstleistungen anzustreben, durch zeit lassen das selbe zu ermöglichen. wenn andere ständig in ihrem "programm" unterbrochen werden, sodass sie dieses nicht fortsetzen können - machen sie dann dahingehend trotzdem fortschritte? vermutlich nicht.
21.12.08, 12:38:01
Sturm
Hallo O,
herzlich Willkommen im Forum.
Deine Ausdrucksweise lässt bei mir Bilder entstehen, das ist faszinierend. Du beschreibst und schreibst sehr authentisch.
Viele Grüße
Sturm
21.12.08, 13:02:15
55555
geändert von: 55555 - 21.12.08, 13:02:56
Wer Birger Sellin zugeschriebene Texte wirklich verfasst hat ist für mich nicht geklärt.
Meiner Meinung nach kann nur die Beseitigung der Methylketten biochemisch an einem speziellen Gen eine Verbesserung hervorbringen. Vererbens ist meines Erachtens nach lediglich die Disposition, daß sich die blockierenden Methylketten an speziellen Genen der neuen Erdenbürger überhaupt anlagern.
Und das wäre dann die ungefähr hunderste Idee zu dieser Grundkonstruktion "Autismus muß in irgendeiner Hinsicht eine Beschädigung des Organismus sein" (hier durch Streß). Letztlich sagt das wohl vor allem etwas über dich aus. Ich finde das bedenklich.
23.12.08, 08:52:14
Das O.
geändert von: Das O. - 23.12.08, 08:54:54
Wer Birger Sellin zugeschriebene Texte wirklich verfasst hat ist für mich nicht geklärt.
Wie kommt es zu dem Zweifel?
Wie begründet der Zweifel sich?
O.