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Diagnose durch den Arzt bei Kindern = Start der bürokratischen Aussonderungsmaschinerie

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04.05.09, 21:05:54

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Zitat:
Menschen mit Behinderungen [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] werden in Deutschland ausgegrenzt und in Sonderschulen, Werkstätten und Heime abgeschoben. Nun tritt eine Uno-Konvention in Kraft, der ein radikales Umdenken folgen müsste. Doch die Bundesregierung signalisiert: Alles soll so bleiben, wie es ist.

Als Carolin aussortiert wird, ist sie drei Jahre alt. Ein Amtsarzt stellt bei ihr "sonderpädagogischen Förderbedarf" fest, weil das Mädchen noch immer nicht laufen kann. Die Eltern freuen sich. Die Krankengymnastik, die der Mediziner verschreibt, tut ihrer Tochter gut.

Sie können nicht wissen, dass sie an diesem Tag das Schicksal ihres Kindes aus der Hand geben. Das Gutachten ist von nun an untrennbar mit dem Leben der Tochter verbunden. Carolin ist gekennzeichnet, die zweite Wahl, wie fehlerhaftes Porzellan.

"An diesem Tag ist die Aussonderungsmaschinerie angelaufen, wir haben das damals nur noch nicht begriffen", sagt Inge Kirst, Carolins Mutter. Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass ein Mensch mit "sonderpädagogischem Förderbedarf" sein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft, sein Recht auf Bildung, sein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verloren hat?

[...]

Seit acht Jahren besucht Carolin eine Sonderschule für Körperbehinderte. Das Schulamt hat das "nach Aktenlage" bestimmt. Kinder mit "sonderpädagogischem Förderbedarf" werden diesen Schulen auch gegen den Willen der Eltern zugewiesen, "zu ihrem Besten, für eine optimale Förderung", wie das Schulamt betont. "Wir fördern jedes Kind nach seinen Möglichkeiten", haben auch die Lehrer versichert. Inge Kirst weiß inzwischen, dass das nicht stimmt.

Wer in Deutschland die Sonderschule besucht, hat seine Chancen auf einen akademischen Abschluss praktisch verloren. In dieser Schulform, die sich heute Förderschule nennt, erreichen 0,2 Prozent aller Schüler das Abitur. 77 Prozent von ihnen schaffen nicht einmal den Hauptschulabschluss. Ein Grund: Der Wechsel von der Förder- in die Regelschule findet so gut wie nie statt. Wer die Sonderschule absolviert, darf sich auf ein Berufsleben in der Behindertenwerkstatt freuen.

Carolin teilt ihr Schicksal mit 84 Prozent aller Kinder mit "sonderpädagogischem Förderbedarf" - ob taub, blind, lern-, geistig- oder körperbehindert, sie alle landen auf der Sonderschule. Im internationalen Vergleich ist Deutschland damit Europameister im Aussortieren. Im EU-Durchschnitt lernen rund 80 Prozent der Kinder mit Behinderung [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] an Regelschulen. Italien hat die Sonderschulen abgeschafft.

Die Folgen dieser Ausgrenzung sind bei Carolin nicht zu übersehen. "Sie wird von Jahr zu Jahr trauriger und unsicherer", sagt ihre Mutter. Das Mädchen fühlt sich unterfordert und allein. Jeden Tag karrt ein Taxi es quer durch Ostwestfalen. Die Sonderschule liegt 40 Kilometer entfernt, die meisten Mitschüler wohnen noch weiter weg. Verabredungen nachmittags zum Spielen sind da nicht drin.

[...]

Es gibt einen wachsenden Druck zur Optimierung der menschlichen Natur, zur Steigerung körperlicher und geistiger Fähigkeiten. Die Bilder menschlicher Perfektion, die in den Medien transportiert werden, entfalten eine normative Kraft. In einer Zeit geprägt von Perfektionssucht, Doping und Schönheitschirurgie, haben Menschen mit Behinderungen [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] keinen Platz. Seit der Radikaleugenik der NS-Zeit spricht in Deutschland zwar so gut wie niemand mehr von "lebensunwertem Leben". Aber die Ansicht, dass Menschen mit Behinderung [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] die Gesellschaft belasten, ist weit verbreitet.

Mit "der Art der Geräusche" begründete ein Richter sein Urteil, das einer Wohngruppe von sieben geistig behinderten Menschen vorschrieb, sich nur noch zu festgelegten Zeiten im Garten aufzuhalten. Ein Flensburger Gericht sprach Hotelgästen eine finanzielle Entschädigung zu, weil sie im Urlaub gemeinsam mit behinderten Menschen hatten speisen müssen. Und im Stuttgarter Stadtteil Muckensturm klagten Anlieger gegen ein Heim, weil sie Lärmbelästigung, tätliche Übergriffe und den Wertverlust ihrer Häuser fürchteten.

Ursachen für die Ablehnung sind häufig Unsicherheit und die Angst vor dem Fremden. Nur wenige haben Kontakt zu Menschen mit Behinderung [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff], sei es im Sandkasten, am Tresen oder am Arbeitsplatz. Dabei leben in Deutschland 6,9 Millionen Menschen mit einem Behinderungsgrad von 50 Prozent und mehr. Jeder Zwölfte ist im Sinne der Sozialgesetzgebung "schwer behindert". Und doch sind sie fast unsichtbar. Menschen mit Behinderung [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] werden in Heimen gesammelt und in Werkstätten abgeschoben.

Betroffene, Behindertenverbände und Fachpolitiker hoffen nun auf eine Wende. Denn Anfang dieses Jahres tritt ein Gesetz in Kraft, das auf 40 Seiten eine Revolution formuliert: das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff].

[...]

Selbst wenn Paula gegen alle Widerstände das Abitur schaffen sollte, wird es nicht leicht für sie sein, einen Job zu finden. "Manche Unternehmen versuchen behinderte Mitarbeiter gezielt loszuwerden", sagt Dorothee Czennia, sozialpolitische Referentin beim Sozialverband VdK.

Fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze müssten Firmen, die 20 Mitarbeiter und mehr beschäftigen, an Menschen mit Behinderung [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] vergeben. Mehr als drei Viertel aller privaten Betriebe in Deutschland kommen dieser Pflicht schon jetzt nicht in vollem Umfang nach. Bei gut 30 000 beschäftigungspflichtigen Unternehmen arbeitet kein einziger Schwerbehinderter.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist es auch, die vor einer "übereilten Ratifizierung" der Uno-Konvention ausdrücklich warnt. In einer Stellungnahme im Parlament gab der Verband zu Protokoll, es sei zu prüfen, "ob mit dem Übereinkommen die in Deutschland bereits bestehende Überregulierung im Bereich des Behindertenrechts weiter verschärft würde. Wäre dies der Fall, müsste dieser Gefahr wirksam - durch die Anbringung entsprechender Vorbehalte - begegnet werden".

Die Arbeit der Lobbyisten ist nicht ohne Folgen geblieben. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD), der noch Ende September auf einer Festveranstaltung zu Ehren der Konvention das Gesetz als "großen Fortschritt in der Menschenrechtspolitik" pries, legte wenige Tage später schriftlich eine Kehrtwendung hin. Auf die Anfrage des behindertenpolitischen Sprechers der Grünen, Markus Kurth, antwortete das Scholz-Ministerium, "dass die derzeitige deutsche Rechtslage ... den Anforderungen des Übereinkommens entspricht".

Mit anderen Worten: Alles soll so bleiben, wie es ist.

Quelle
05.05.09, 21:47:06

Ex-Gast

Das ist ja abartig, ich meine man sollte Behinderte nicht zwingen auf Sonderschulen zu gehen, wer es schaffen kann, sollte auch auf einer normalen Schule gehen können. Hier war doch nur die rede von Körperbehinderten man sollte sie höchstens von Sportunterricht befreien.
05.05.09, 22:14:14

55555

Hier im Forum war sogar wiederholt von frisch diagnostizierte Autisten vor dem Abitur zu lesen, die dann wegen der Diagnose von der Schulleitung von der Schule gedrängt wurden (oder dies versucht wurde).
07.05.09, 14:00:42

assamit

geändert von: assamit - 07.05.09, 14:01:24

fortsetzung von t4 (behinderteneischläferungsprogramm der nazis) auf sozialer ebene
07.05.09, 14:08:50

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Das sehe ich eigentlich auch so, was die dahinterstehende Einstellung angeht. Das hatte ich hier auch schon früher mal geäußert, weswegen dann einige scharf protestiert hatten von wegen Nazivergleich. Aber was stimmt, das stimmt eben, da kann ich ja nichts für.
07.05.09, 14:53:59

Mi-Mundo

Der Mensch zählt doch nicht mehr, was wirklich wichtig ist, ist Geld. Für soziale Zwecke ist nie Geld vorhanden und wenn, dann wird es einem so schwer gemacht, das man aufgibt darum weiter zu bitten.
Sowas hat Methode und dient nur einem Zweck, Geld zu sparen.
Die für die Verteilung Zuständigen tun immer so, als wäre es ihr Geld, es ist aber das Geld von allen Bürgern, denn es sind Steuergelder. Das für Banken plötzlich Milliarden vorhanden sind, spricht für sich.

Das Aussondern hat Methode, nur will es niemand wirklich wahr haben, denn es ist ja alles bestens geregelt.

Am Beispiel Schwedens sehe ich, das es auch anders geht.
Aber das ist ja nicht eins zu eins umsetzbar, bekommt man dann darauf zu hören.
Warum eigentlich nicht?
19.05.09, 08:20:44

die sigi

Da stellt sich mir die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, meine Tochter diagnostizieren zu lassen.
Sie ist auf dem Gymnasium.
Und mir stellt sich die Frage, ob es Jutta hilft oder schadet, wenn ich ihre Diagnose dort angebe.
Auf der einen Seite kann eshelfen, weil eben spezifischer auf sie eingegangen werden kann, aber auf der anderen Seite habe ich auch Angst, dass sie abgestempelt wird und es damit noch schwerer hat.
Sie hat einige Schwierigkeiten, die ich unter der Frage:SB Ausweis beantragen.. aufgezählt habe, aber sie hat auch schon viel geschafft
Und ich möchte ihr keine Hilfe versagen, aus Angst vor den Nachteilen einer Diagnose.

Das ist alles schwierig, vor allem, da ich selbst aufgrund meines Borderlines auf Unverständnis stoße und das also schon zur Genüge kenne.

19.05.09, 08:37:32

Bluna

Selbst wenn sie eine Diagnose bekommt,ist das ja nichts öffentliches.
Wie kommst du darauf,dass auf sie spezifischer eingegangen werden könnte,wenn du die Diagnose am Gymnasium angeben würdest?
Dazu müsste man voraussetzen,dass die Leute dort eine Ahnung von Autismus haben und das glaube ich kaum.
An Regelschulen gibt es keine Sonderbedingungen für Autisten,soviel ich weiß.
19.05.09, 09:11:45

die sigi

Das macht mich nachdenklich, bin ich ja eh schon;)
Aber würde nicht das Verständnis, dass Jutta nicht anders kann und nicht nicht will, schon helfen, ihr dabei zu helfen, Kontakt mit den anderen aufzunehmen und weniger zur Zielscheibe für Spötteleien zu werden?
Ich würde es wenn ihrem Klassenlehrer nur mitteilen.
19.05.09, 12:07:33

55555

Es scheint mir stark abhängig von den jeweiligen beteiligten Personen. Es kommt auch auf das jeweilige Bundesland an, da die Schülen vor allem den Ländern unterliegen.
19.05.09, 12:50:35

die sigi

wir wohnen in NRW,
es käme auf den Versuch an und dann hoffen, dass der Lehrer verständnisvoll damit umgeht.
19.05.09, 13:20:38

Miezekatze

ich finde, die frage "diagnose bekannt geben oder nicht" ist eine der schwierigsten überhaupt.

im kindergarten habe ich die diagnose meiner tochter mit den kindergärtnerinnen besprochen, weil ich mir sonst nicht vorstellen hätte können, dass es klappt, dass sie angemessen mit ihr umgehen. das beginnt bei so kleinen details wie dem, dass sie normalerweise gerade die kleinen kinder anfassen und bei der hand nehmen, wenn sie ihnen zeigen wollen, wie die abläufe bei ihnen funktionieren (zb hände waschen gehen vor der jause, bei der jause eine unterlage und einen teller holen, danach abspülen etc.). und es setzt sich fort bei lauten bewegungsspielen, gemeinsamen aktivitäten im kreis etc.
ich habe extra eine "einschulung" durch eine autismus-spezialisierte psychologin für die beiden kiga-betreuerinnen bezahlt - und trotzdem habe ich jetzt manchmal noch das gefühl, den beiden fehlt ziemlich jedes verständnis für meine tochter.

in zwei jahren soll sie mit der schule beginnen und ich überlege jetzt schon, was dort der richtige weg sein wird.
ich denke, dass es individuell und dem entwicklungsstand des kindes angepasst jedes mal aufs neue entschieden werden muss.

im gymnasium würde ich es wahrscheinlich eher nicht mehr ansprechen.
(zumindest bei mir gab es damals so viele so unterschiedliche lehrer, da hätte es ohnehin keinen sinn gehabt und wäre gar nicht möglich gewesen, alle adäquat zu informieren.)
 
 
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