Scardanelli
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Liebe autistische und nicht-autistische Mitmenschen,
für ein Forum, das sich zur fettnapffreien Zone erklärt, finde ich diese Auseinandersetzung etwas irritierend. Gestattet mir, meinen aspergischen Gerechtigkeitssinn einzubringen. Ich kenne die autistische Empfindlichkeit und Verletzlichkeit, ich kenne die Kommunikationsprobleme, die wir Aspies haben, ich habe aber im Laufe der Zeit einigermaßen gelernt, damit umzugehen und ein selbstkritisches Gespür dafür zu bekommen. Deshalb kann ich beide Seiten verstehen, die hier aufeinanderprallen.
Der Gast hat hat gesagt, dass er "kein Autismus-Experte" ist, aber als Erzieher mit Autisten arbeitet, wobei es in einem Fall besondere Probleme gibt.
Wir Aspies haben bestimmte Verständigungsprobleme. Die Schwierigkeiten im Erkennen von Ironie sind bereits genannt worden. Eine Rolle spielen weiterhin
- die Tendenz, alles wortwörtlich aufzufassen und den pragmatischen Kontext des Sprechakts nicht zu verstehen;
- die Neigung, unser eigenes Hintergrundwissen bei GesprächspartnerInnen vorauszusetzen, die es nicht haben können.
Wenn jemand über seine Tätigkeit als Erzieher spricht, dann ist normalerweise davon auszugehen, dass er mit Kindern zu tun hat.
Warum wird jemandem, der sagt, dass er "kein Experte" in Sachen Autismus ist, vorwurfsvoll unterstellt, dass er "keine Ahnung" hat? Der Gast meinte mit dem Hinweis, dass er "kein Experte" ist, doch nur, dass er das Problem der richtigen Diagnose und der medikamentösen Behandlung in dem vorliegenden Fall nicht entscheiden kann.
Weiter geht aus seiner Schilderung hervor, dass seine Arbeit mit autistischen Kindern in der Regel funktioniert und es um Probleme in einem speziellen Fall geht.
Wir müssen nüchtern die Realität zur Kenntnis nehmen: ErzieherInnen lernen in ihrer Ausbildung wenig über Autismus. Es kann dennoch vorkommen, dass sie sich auch mit diesen schlechten Voraussetzungen mit autistischen Kindern beschäftigen müssen. Das ist ein ärgerlicher Missstand, der geändert werden muss, aber es ist LEIDER zunächst einmal die Realität in einer Gesellschaft, in der Börsenkurse ein wichtigeres Thema sind als Erziehung.
Unser Gast möchte dem Missstand abhelfen, sein Wissen erweitern und sucht Hilfe. Er sagt, dass er "kein Experte" ist. Diese Tugend der Bescheidenheit wird von Sheila locker vom Hocker in "keine Ahnung" übersetzt. Auch ich als (diagnostizierter) Aspie finde, dass das eine von Vorurteilen geleitete und unfreundliche Unterstellung ist, gegen die sich zu wehren völlig legitim ist.
Dass der Gast darauf etwas verärgert reagiert, kann also sogar ich als (diagnostizierter) Aspie verstehen. Daraufhin kartet Bellaria nach: Sie hält dem Gast vor, wenn er sich so benimmt, müsse er sich nicht wundern, wenn die Autisten bei ihm toben und schreien.
Dabei hat er nur gesagt, dass EIN Kind bei ihm tobt und schreit. Das muss nicht seine Schuld sein. Ich fühle mich an meine eigene Kindheit erinnert (in einer Zeit, als man von Asperger noch nichts wusste). Da habe ich auch viel Ärger gemacht. Ich mache es mir nicht so leicht, dafür einfach den anderen die Schuld zu geben.
Bellarias Intervention war gewiss gut gemeint: Sie wollte ihr Verständnis und ihre Solidarität autistischen Menschen gegenüber dokumentieren. Sie hat dann dankenswerterweise auch einige konstruktive Gedanken beigesteuert. Aber es hat doch keinen Sinn, aus Solidarität mit den AutistInnen anderen Unrecht zu tun, indem man ihnen Dinge unterstellt, für die sie bei sachlicher Betrachtung keine nachvollziehbare Grundlage liefern.
Den Beitrag von uppsdaneben möchte ich vorsichtshalber lieber nicht kommentieren, um nicht noch mehr böses Blut hochzukochen.
Natürlich trifft zu, dass Fragen wie die von dem Gast gestellte auf diesem Abstraktionsniveau nicht per Internet zu beantworten sind. Ich verstehe die Anfrage des Erziehers als einen Versuch, Kontakt aufzunehmen und eine konstruktive Diskussion zu beginnen. Was ihm von euch daraufhin um die Ohren gehauen wird, spricht leider gegen euch.
Nun hört gut zu: Ich bekenne mich zu meinem Aspietum, aber ich bin kein Berufsautist. Meine aspergische Intelligenz hat mich durchaus herausfinden lassen, dass ich nicht erwarten kann, dass die NTs mir dauernd einen roten Teppich ausrollen und mich wie ein rohes Ei behandeln. Ich habe einen langen, anstrengenden Lernprozess durchlaufen. Ja, autistische Menschen wollen nicht umerzogen und manipuliert, sondern respektiert und in ihrem Anderssein angenommen werden. Das erfordert aber Gegenseitigkeit. Es geht nur in einem Geben und Nehmen. Die Diagnose "Asperger" hat mir geholfen, sowohl mich selbst als auch andere (jawohl) besser zu verstehen. Ich gebe anderen zu verstehen, wo bei mir bestimmte Empfindlichkeiten liegen und ich auf Rücksichtnahme angewiesen bin, aber ich kann das nur, indem ich gleichzeitig ein Entgegenkommen signalisiere und meinerseits rücksichtsvoll bin. Ja, ich bin verletzlich, aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass NTs es auch sind. Zu meinen sehr ausgeprägten aspergischen Eigenschaften, die mir zugegebenermaßen das Leben schwer gemacht haben und mir nun wohl schon wieder ein unerwartetes Problem bereitet, gehörte stets eine starke Abneigung gegen Cliquenwesen und ein energischer Sinn für Gerechtigkeit. Ich finde mich nun in einer Situation wieder, wo mein aspergischer Gerechtigkeitssinn mich dazu zwingt, mich eurem Korpsgeist zu verweigern und als "Verräter" Partei für die "Gegenseite" zu ergreifen. Denn mit meinem Hintergrundwissen sowohl über autistische als auch NT-Menschen kann ich bei einer sachlichen und rationalen Untersuchung dieser Auseinandersetzung nur zu dem Ergebnis kommen, dass das Fehlverhalten nicht bei dem Gast liegt, sondern bei euch aus der Community. Da ist ein Erzieher, der seinen Job gut machen will und Rat sucht - er wird mit Misstrauen und Verdächtigungen überhäuft. Als er die Missverständnisse auszuräumen versucht, wird ihm mitgeteilt hat, dass er "verspielt" hat. Liebe Mit-Aspies, wisst ihr eigentlich, wie das Urteil über euch ausfällt, wenn man die gleichen Maßstäbe an euch anlegt?
Mein "autistic pride" sagt mir: Mach es besser als die NTs. Sei redlich und selbstkritisch. Versuche zu verstehen und dich verständlich zu machen. Sei geduldig. Und sei gastfreundlich, reiche als Fremder dem Fremden die Hand.
Meine aspergische Empfindlichkeit sagt mir: In diesem Forum scheint die "Chemie" nicht zu stimmen. Sie lässt mich fürchten, dass diese "fettnapffreie Zone" sich als Minenfeld entpuppt. Mit aspergischer Offenheit und Ehrlichkeit sage ich euch: Ich verspüre hier eine Atmosphäre des Misstrauens und des Verdachts, die mir aus keinem anderen Forum bekannt ist. Schade, denn an sich macht das Forum durchaus einen interessanten und informativen Eindruck. Aber es gibt andere Foren, die weniger strapaziös sind.
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