Zitat:
Ich will nicht arbeiten. So what? Sollten wir nicht alles Mögliche dafür tun, so wenig Arbeit wie möglich machen zu müssen? Wann ist bitte viel arbeiten zu wollen zu einem solchen Statussymbol geworden?
Moment, darauf habe ich sogar eine Antwort aus einem soziologischen Klassiker: In „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ beschreibt der deutsche Soziologe Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts, wie Arbeit zu einem Dienst zu Gottes Ehren wurde und Fleiß zu einer „innerweltlichen Askese“. Bloß nicht zu lange schlafen, keine Zeit verschwenden, tun statt reden. Bei der Säkularisierung der Gesellschaft verschwand der religiöse Aspekt. Zurück blieb die moderne Berufsethik, deren Auswüchse eben auch die Productivity-Influencer und Kim Kardashians dieser Welt sind.
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Auch wenn man mich strenggenommen „Berufsanfängerin“ nennen könnte, so bin ich doch beim Arbeiten nicht neu. Meinen ersten Job hatte ich mit 16 in einer Bäckerei und habe seitdem fast durchgängig gearbeitet; in Cafés, Schuhgeschäften, Callcentern, Redaktionen und NGOs. Während des Studiums, während der Pandemie, während des Krieges. Mit meinen 25 Jahren habe ich sexuelle Übergriffe auf der Arbeit erfahren, wurde angeschrien, runtergemacht, ausgebeutet und hatte fast einen Burnout. Überrascht, dass ich nicht mehr will?
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Ich schreibe aus einer sehr privilegierten Position, das weiß ich. In den meisten meiner Jobs wäre nichts Schlimmes passiert, hätte ich sie nicht gemacht. Und in gewisser Weise kommt meine Frustration auch daher: Egal, wie viele Softgetränke, flexible Arbeitszeit und Stehtische man mir anbietet, es ändert nichts daran, dass ich etwas mache, was nicht gemacht werden muss. So als würde ich dafür bezahlt werden, in einer Wohnung Blumen zu gießen, während der Herd in Flammen steht. In seinem einflussreichen Buch Bullshit Jobs nennt der Soziologe David Graeber dieses Phänomen sogar „spirituelle Gewalt“.