Zephyr
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geändert von: Zephyr - 23.04.18, 14:14:10
Ich schließe mich in der Sache Antares an, wenn gleich mein Beweggrund zur Diagnostik ein anderer war. Ich bekam zuvor allerlei anderer Diagnosen (Depression, Schizo, Sozialphobie, etc.), musste Medikamente schlucken, die eigentlich für Schizos gedacht sind, und wollte diesen Dreck (man verzeihe mir diese Ausdrucksweise) einfach nicht mehr. Daher habe ich mein vorheriges Studium endgültig abgebrochen, ein halbes Jahr mit Hartz IV gelebt und in diesem halben Jahr jene Diagnostik mir ohne Rücksicht auf meine Umwelt erkämpft.
Ich brauchte das damals. Es war essentiell für mich, um mich vor alldem zuvor zu schützen. Mit der Diagnose kann ich jetzt meine Eigenheiten auch Ärzten aufzeigen, wie es ist. Jetzt mit Ende 20 ist das zwar gar nicht mehr so wichtig, weil ich schon sehr gut lernte, Overloadsituation so sehr zu kompensieren, dass ich nicht mehr völlig unkontrolliert durch die Umgebung wandere und ebenso wenig semiaggressiv bin, aber besser ist es dennoch. Die Overloadsituationen sind ja nicht weg. Heute habe ich eine sehr gute Kontrolle gegenüber Wutausbrüchen entwickelt, aber nicht gegen das, was sich stattdessen fast täglich einstellte. Ein Leben wie im Film - mitten drin, aber nicht wirklich dabei. Solche Momente erlebe ich fast täglich. Es stört mich, aber es ist immer noch besser, als jedliche Kontrolle über sein Handeln zu verlieren (Wutausbrüche). Wie ich diese Momente genau beschreiben könnte, weiß ich leider nicht.
Quergedachtes hat es ganz gut beschrieben: https://quergedachtes.wordpress.com/2013/02/17/autismus-ist-manchmal-leben-wie-in-einem-film/
Bei mir ist etwas anders, folgt aber dem selbem Muster. In Stufe 4 laufe ich in einer Art Automatik-Modus. Nicht ich bestimme mehr mein Handeln, sondern das unterbewusste Programm in mir, welches die Tätigkeit kennt und daher noch ohne mein bewusstes Zutun ausführen kann. Dieses Programm ist aber nicht perfekt, kann nicht auf alles eingehen, was außerhalb der bekannten Erwartungsmuster geschieht. In dieser Phase könnte man mir beispielsweise sogar meine Geldbörse stehlen, selbst wenn diese noch innerhalb meines Sichtfeldes liegt. Das ist nun mal der Preis dafür, dass ich etwas anderes ablegen konnte, was gewiss schädlicher ist, zumindest für meine Umwelt. Für mich ist es kaum ein unterschied, ob ich nun in einer Art Delirium unterwegs bin oder emotional ausbreche und in die nächste stille und dunkle Ecke fliehen muss. Das ist eine Schattenseite meines Autismus, aber es gibt zum Glück auch noch viele Sonnenseiten meines Autismus.
Letztendlich half mir die Diagnose, ebenso das stärker in meinen Fokus und in mein Bewusstsein zu rücken. Vom früher ständig problematischen und psychisch kranken Kind hin zum heute Gesunden und sich der Probleme und Stärken bewussten Mensch. Ich kenne meine Schwächen, meine Problem, jene Phasen, wie sie Quergedachtes beschreibt. Durchlebe sie immer noch so gut wie täglich, aber ich bin mir darüber bewusst, dass das keine Krankheit ist, sondern nur die Folge der Belastung innerhalb einer NA-geprägten Welt. Dazu bin ich mir meiner Stärken bewusst. Gut planen, so dass man z.B. immer zu der Zeit einkaufen geht, wenn kaum noch Menschen im Laden sind. 20:30 bis 20:45 ist so meine Zeit, ab wann ich meine Wohnung verlasse und einkaufen gehe. Ich brauche etwa 15-20 Minuten für einen Einkauf. Bin daher dann gegen 21:00 Uhr wieder zurück und begegnete im Geschäft nur 1-4 Menschen anstatt teils weit über 10. Über solche Tagespläne brauche ich nicht nachdenken, da diese von alleine kommen und sich von alleine im Alltag einrichten. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, bei welchen es mit eben effizienter erscheint mal zu einer anderen Uhrzeit einzukaufen, kann ich gar nicht anders als frühestens um 20:30 einkaufen zu gehen. Typisch Aspie, könnte man meinen, ich teile nur diese Eigenschaft mit anderen Autisten, worunter viele Aspies sind, aber nicht alle sein müssen. Dazu gibt es auch viele Aspies, die ganz anders sind, als es so allgemein als Bild in der Gesellschaft vorherrscht. Jeder hat seine eigene Geschichte, die ihn prägte, jeder hat seine eigenen Gedanken und jeder hat seine eigenen Ideen und Ansichten über die Welt. Letztendlich ist es daher egal, ob man so einen Zettel hat oder was auf diesem steht, solange man den Weg unbehindert gehen kann, denn man gehen will.
Nur darum geht es. Daher kümmere dich nicht darum, dass jene Tests, die deiner Aussage nach deine Mutter für dich machte, nicht dem Bild entsprechen, welches du selbst von dir hast. Weder diese Tests, noch deine Mutter kann tatsächlich das Bild aufzeigen und beschreiben, welches du von dir selbst hast. Was und wer du bist kannst ebenso nur du selbst wissen, und niemand andere für dich vorschreiben. Ich bin ja auch nach den meisten Ärzten kein Autist, sondern offenbar ein Schizo, bei welchem einfach alle eingesetzten Medikamente gegen Schizophrenie nicht so wirken, wie sie es eigentlich sollen. Nach dem letzten Facharzt für Autismus, bin ich kein Asperger, kein Kanner und kein HFA, sondern einfach nur untypisch zu allem, dennoch Autist. Ich für mich selbst bin einfach nur Autist und ein Mensch, wie jeder andere, der ähnliche oder gar die selben Bedürfnisse wie viele andere auch hat. Würde ich diese Diagnostik heute nochmal bei einem anderen Facharzt für Autismus machen, könnte es sicher so sein, dass ich am Ende doch als HFA, oder nach dem ICD-10 als Kanner angesehen werde, oder ich erhalte wie an vielen Uni-Kliniken bereits üblich einfach die Asperger-Diagnose, da diese Unterscheidung der Autismustypen ohnehin bald passé ist. Bald gibt es nur noch den Einheitsbrei "Autismus-Spektrums-"Störung"" als Diagnose. "ASS". Viele kleinere und doch zu wenige Schubladen werden einfach in eine ganz große gesteckt. Dahinter noch das Wort "Störung" oder ähnliches und die Fachwelt der NA-Mediziner ist wahrscheinlich glücklich darüber, dass die Diagnostik damit deutlich einfacher wird.
Autisten nützt das nicht. Jede Vereinheitlichung schadet dem Individuum, besonders wenn es eben noch um als Störung oder Krankheit klassifizierte Dinge geht. Wäre nicht viel anders gewesen, hätte man eine Schwulen-Sprektrum-Störung eingeführt, wonach selbst jene Menschen jener Störung zugeschrieben werden hätten können, die eine heute nachgewiesen natürliche leichte sexuelle Zuneigung zum gleichen Geschlecht aufweisen. In diversen Studien zeigt sich, dass fast jeder Mensch zumindest einmal im Leben eine Zuneigung zum gleichen Geschlecht hatte. Es ist also sehr natürlich in der Natur, dennoch früher als Krankheit eingestuft. So gut wie jeder ist davon betroffen, der eine weniger der andere stärker, deswegen ist es auch ein Spektrum, aber keine Störung und keine Krankheit, sondern eine ganz normale Sache der Natur, die man ebenso unter Tieren beobachten und nachweisen kann.
Für sowas braucht man eben keinen Zettel, auf welchem steht man ist zu xx% homosexuell. Ebenso wenig macht es Sinn, nun Zettel auszustellen, man sei zu xx% Autist. Das nützt dem Individuum nichts. Wenn, dann nützt eine Diagnose, die zwischen verschiedenen Typen differenziert und damit die prägenden/ähnlichen Eigenschaften in einer imaginären Gruppe zusammenfasst. So kann man sich immerhin besser mit anderen selben Typs zielgerichteter und fundierter in Kontakt bringen. Das zeigt sich bereits darin, dass viele Asperger-Foren entstanden, aber so gut wie keine Autismus-Foren und gar keine Autismus-Spektrum-Foren. Unter den Autisten sind es eben vor allem jene Asperger, die sehr kommunikativ sein können. Viele HFA reihen sich da ein, da sie nach dem ICD eben meist Asperger als Diagnose erhalten. Der Zettel sagt dann eben Asperger. In Zukunft sagt der Zettel nur noch Autismus-Sprektrum zu xx%.
Damit will ich in diesem Kontext aufzeigen, wie überflüssig so ein Zettel in Zukunft sein wird. Bereits heute kann man damit kaum noch was erreichen, was tatsächlich der Endhinderung dienlich ist. In Zukunft wird das leider nicht besser werden. Das mag vielleicht daran liegen, dass der medizinische Sektor an Autisten nicht wirklich gut verdienen kann, es sei dann man entwickelt überteuerte Foltertherapien wie TEEACH, ABA und Co, welche jedes selbst nicht-autistische Kinder so schwer traumatisieren wird, dass es am Ende nur noch mit Medikamente ruhig gehalten werden kann.
Wenn es nicht wirklich wichtig ist, ist man sicherlich besser dran, keine Autismusdiagnose zu haben. Ich brauche jedenfalls nicht einen Zettel, der mir sagt, der andere sei Autist. Sofern dieser selbst sagt er sei es und mir das als stimmig erscheint, ist er das für mich. Wenn ich Zweifel daran habe, sage ich das, und nenne den Grund meiner Zweifel daran, was aber ebenso wenig bedeutet, dass der andere kein Autist sei.Dann differiert meine Ansicht davon, was Autismus ist einfach mit der Ansicht des anderen was für ihn Autismus ist. Ebenso das ist okay und auch dafür braucht es für mich keinen Zettel.
Es scheint so, als wäre es für deine Mutter unvorstellbar, dass du Autist sein könntest oder gar sein dürftest. Es gibt eben Mütter, die unter Autismus nur schwer behinderte Menschen sehen, die nicht in der Lage sind je ein eigenständiges Leben führen zu können. Jene Mütter oder aber auch Väter, werden daher bei der Befragung zur Kindheit alles so hin drehen, dass es nicht ins Bild des Autismus passt. Das Problem liegt hier weder an der Mutter/des Vaters, noch beim Arzt, noch bei den Tests, sondern einfach am Bild jener Menschen über Autismus. Jeder Test, der vorsieht, die Mutter oder den Vater zu befragen, sollte diesen Umstand berücksichtigen können. Jeder Facharzt für Autismus sollte erkennen können, ob eine Mutter oder ein Vater die Kindheit so weit beschönigt, dass Autismus unmöglich diagnostiziert werden könne.
Du sagst es ja selbst, dass sie sagte, du hättest als Kind getröstet, du sagst das Gegenteil davon. Der Arzt hat nun Aussage gegen Aussage, aber er hat ebenso die Tests, die du machtest. Wenn all jene, die allein nur du gemacht hast, deutlich positiv ausfallen, müsste der Arzt eigentlich erkennen, dass die Mutter bzw. der Vater eventuell nicht die wirkliche Wahrheit über die Kindheit aussagt. Wenn das nicht ausreicht, wäre es denkbar, dass eine unabhängige neutrale Person dich ein paar Wochen im Alltag begleitet und am Ende dem Arzt mitteilt, wie du in der Zeit von ihm wahrgenommen wurdest. Wenn man wirklich Autist ist, kann man das nicht über ein paar Wochen hinweg permanent verstecken. Wenn man kein Autist ist, kann man das nicht über ein paar Wochen hinweg täuschend echt vorspielen.
Sofern du noch Kontakt zum diagnostizierenden Arzt hast, solltest du das mit ihm ganz offen ansprechen. Sage ihm ganz direkt, dass deine Mutter in der Sache nicht das sagt, wie du es erlebt hast. Ein guter Arzt müsste dann eigentlich erkennen können, wer die Wahrheit sagt. Zur Not die ganzen Tests mit dir und deiner Mutter nochmal wiederholen. Das ist allemal besser, als wenn du wegen der Geschichte am Ende noch eine Diagnose erhältst, die nicht stimmig/passend ist, wie eben ich vor vielen Jahren. Eine Falschdiagnose wieder los zu werden ist sehr schwer. Sprich das mit dem Arzt daher nochmal ganz direkt an. Wenn der nicht einlenkt, brich es ab und suche dir einen anderen Arzt auf dem Gebiet, selbst wenn du dann 6 Monate warten musst und/oder in eine entfernte Stadt reisen musst. Eine zweite Meinung ist nie verkehrt.
Ich wünsche dir in jedem Fall viel Kraft und Glück in der Sache. Doch selbst wenn du darin einen Misserfolg hast, spielt es zumindest dafür keine Rolle, ob du nun einen Zettel hast oder nicht, wenn es darum geht, dass andere Autisten dich als Autist oder Nicht-Autist wahrnehmen können.
Ich kann es zurzeit noch nicht einschätzen. Mein Bauchgefühl sagt ja, mein Gehirn will dafür einfach noch mehr über dich erfahren, ehe es überhaupt eine Vermutung aussprechen kann. Auf mein Bauchgefühle gebe ich nicht viel. Das meint immer etwas zu wissen, Manchmal liegt es zufällig richtig, manchmal völlig daneben. Statt dem Bauchgefühl könnte ich daher genauso eine Münze werfen. Die Trefferquote wäre nahezu gleich. Für manche Menschen ist es aber wichtig, wenn ich ihnen mein Bauchgefühl mitteile, warum auch immer, aber sie finden es gut. Damit gebe ich den Menschen wohl das, was sie gerne hören wollen. Das ist ganz hilfreich, wenn man sich einigermaßen gut sozial integrieren will, dabei aber nicht auf Lügen zurückgreifen kann oder will. Lügen bringen ohnehin nicht viel, außer früher oder später nur mehr Probleme als man vor der Lüge hatte. Ich versuchte es mal mit dem Lügen. Ist aber nicht mein Ding. Das macht mehr Probleme als es löst. Genauso sinnvoll wie einen kugeligen Felsbrocken den Berg hinauf zu schieben, um den Weg zum Berggipfel frei zu machen. Das Macht keinen Sinn und bringt auch nichts.
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