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Die wichtigste Erkenntnis aus der Erbgutanalyse der Neandertalerin ist jedoch, dass offenbar mehr Erbmaterial der Frühmenschen in den Genomen heute lebender Menschen überdauert hat als bislang gedacht. Während man bis vor Kurzem noch von etwa 1,5 bis 2,1 Prozent Neandertaler-DNS im menschlichen Erbgut ausging, deutet das Erbgut von „Vindija 33.19“ darauf hin, dass 1,8 bis 2,6 Prozent des Genoms von Nicht-Afrikanern Neandertal-Genvarianten tragen.
Das bedeutet, dass bei 3,3 Milliarden DNS-Bausteinen im menschlichen Erbgut an insgesamt 85 Millionen Positionen neandertalertypische Varianten vorkommen können. Ein genauerer Blick auf diese Variation zeigt, dass darunter auch Gene sind, die in den Vitamin-D-Haushalt von Hautzellen eingreifen, die den Gehalt von Fetten (LDL-Cholesterin) regulieren oder etwa mit rheumatischen Erkrankungen, Schizophrenie oder Essstörungen zusammenhängen. Das heißt aber nicht, dass die Genvarianten der Neandertaler unbedingt Auslöser der Krankheiten sind, sie können den Erkrankungen auch entgegenwirken.
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Auffällig sei jedoch, dass der Mensch in seinem Erbgut vor allem jene Neandertaler-Genvarianten bewahrt hat, die etwas damit zu tun haben, wie ein Mensch mit Sonnenlicht umgeht. „Neandertaler habe lange in einer Region gelebt, wo andere Umweltbedingungen herrschten als in Afrika“, sagt Dannemann. In Europa hatten Neandertaler neben deutlich kühlerem Klima auch mit weniger Tageslicht zu kämpfen. Im Laufe von 200 000 Jahren sammelten sich in ihrem Erbgut Genvarianten an, mit denen sie an wenig Licht pro Tag besser angepasst waren – die etwa für hellere Haut sorgten und somit genug UV-Strahlung für die Produktion des lebenswichtigen Vitamin D durchließen. „Solche Genvarianten haben sie an Homo sapiens weitergegeben“, sagt Dannemann.
Es sind solche subtilen Unterschiede, die moderne und Frühmenschen unterscheiden, sagt Dannemann. Ansonsten, da ist er sich ziemlich sicher, waren sich Neandertaler und Menschen damals wie heute wohl sehr ähnlich.