Zitat:
Stangneth zeichnet die große Hoffnung der Aufklärung nach, durch mündiges Denken komme das Individuum zu sich selber und zur Moral. „Selberdenken“, hatte es geheißen, sei der Schlüssel zur universalen Vernunft, zum herrschaftsfreien Diskurs, zum kommunikativen Handeln für das gemeinsame Wohl. Seit der Antike setzen Philosophen auf das menschheitliche Potenzial, das eigene Denken zu beobachten und dadurch zu vernünftigen Schlüssen zu gelangen. Dem stellt die desillusionierte Zeitgenossin angesichts raffiniert denkender Mörder ihre Skepsis entgegen und ihre Forderung (oder Ankündigung?) einer „Dialektik der dialogischen Vernunft“ – im Dialog mit erschütternden Fakten. Denn „Philosophie in unserem Jahrhundert“, sagt sie, das „ist Aufklärung ohne den Glauben an die Unschuld des Denkens.“
„Jeder hat eben auf seine Weise recht“: Abwandlungen dieser grauenhaften und trickreichen Eichmann-Ausflucht findet Stangneth in der postmodernen Beliebigkeit der Weltdeutungen, in den Ressentiments aktueller Xenophobie und im Geschrei nach einem starken, sich abschottenden Staat auf ähnlich bedrohliche Weise am Werk.
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Denken allein genügt nicht, nein, es braucht vernünftiges Denken. Vernünftiges Denken allerdings allein reicht auch noch nirgends hin, solange es nicht zugleich ethisches und informiertes Denken ist.