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Inzwischen aber geht es längst nicht mehr nur darum, solche Behinderte zu integrieren. Statt «Integration» heisst das heilpädagogische Zauberwort «Inklusion». Das bedeutet, dass jedes Kind um fast jeden Preis in der Regelschule gehalten werden soll – und das in einer Gesellschaft, deren Wertvorstellungen immer weiter auseinanderdriften. Erziehungsdefizite, Verwahrlosung und Migration führen dazu, dass die Zahl der schwierigen und schwachen Schüler zunimmt. Das treibt an gewissen Orten Lehrer und Klassen an den Rand ihrer Belastbarkeit. [...]
In einer Umfrage des Verbands der Zürcher Kantonalen Mittelstufe (ZKM) gab es Rückmeldungen wie: «Stark verhaltensauffällige Kinder absorbieren dermassen viel Energie der Lehrperson, dass die restlichen Schüler darunter leiden.» Verhaltensprobleme sind das eine. Zu kämpfen haben die Lehrer auch mit Sprachproblemen, Lernschwierigkeiten, Hochbegabungen und mehr. Sowie dem Anspruch der Eltern, dass sämtliche Defizite ihrer Kinder therapiert werden. Was früher ein Stigma war, die besondere Schulung, gehört heute zum guten Ton.
Aufgefangen wird dies mit einem mittlerweile beachtlichen Arsenal von Spezialmassnahmen wie integrierte Förderung, Psychomotorik, Logopädie, Begabtenförderung, Deutsch als Zweitsprache und so weiter. Je nach Ort und sozialer Zusammensetzung der Schülerschaft kann sich dies zu einem komplexen Puzzle aus Regelunterricht und Fördermassnahmen auswachsen – besonders in städtischem Kontext. «In etlichen Klassen ist an einen normalen Unterricht nicht mehr zu denken. Ein Grossteil der Kinder wird behindert», sagt ZKM-Präsident Harry Huwyler. Wie umfangreich das System inzwischen geworden ist, zeigt eine Auswertung in einem Zürcher Schulhaus (Grafik). Im Durchschnitt gibt es dort auf jeden Schüler eine besondere Massnahme. Unter all diesen Sonderbehandlungen leiden der Schulbetrieb, die Lehrer, die unproblematischen Schüler und sogar die integrierten Kinder: «Verhaltensauffällige werden so zu Aussenseitern gemacht und verlieren an Selbstwertgefühl», sagt Huwyler. [...]
Doch gerade in Basel mit seiner sehr heterogenen Bevölkerung gebe es damit Probleme: «Das System droht zu kippen», sagt Eymann. «Ich gehe davon aus, dass wir bis in zehn Jahren wieder viel mehr Separation haben werden als heute.» Und selbst Integrationsexperte Bless sagt: «Ich rechne damit, dass die Separation noch eine Weile rückläufig sein wird, doch bald wird sich der Trend wieder umkehren.» Die Euphorie ist der Ernüchterung gewichen. Die im Ansatz gute Idee der möglichst umfassenden Integration scheitert in der Praxis.
(eigene Hervorhebungen)