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ZEIT: Viele würden sagen: Wir brauchen jetzt vor allem Empathie! Vordenker wie Jeremy Rifkin fordern gar ganz allgemein eine "empathische Zivilisation". Sie halten das für falsch. Warum?
Bloom: Weil Empathie auch ihre Schattenseiten hat. Der empathische Reflex verführt leicht dazu, auf falsche Weise zu reagieren. Wir führen dazu gerade eine Studie durch. Die ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Empathie rachsüchtiger macht. Wenn Menschen von Straftaten wie sexuellen Übergriffen hören, versetzen sich einige von ihnen besonders stark in das Opfer hinein. In unserem Experiment zeigt sich, dass diese besonders empathischen Probanden wollen, dass der Schuldige zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt wird – und dass er leidet. Solche Rachegefühle, die aus Empathie für die Opfer entstehen, können zu Vergeltungsschlägen verleiten, die niemandem helfen.
ZEIT: Empathie hat also in der Politik nichts zu suchen?
Bloom: Ich bin kein Experte für Sicherheitspolitik oder Terrorbekämpfung. Aber ich weise darauf hin, dass wir aufpassen müssen, uns nicht von empathischen Reflexen gefangen nehmen zu lassen. Wenn Politiker einen Krieg beginnen, appellieren sie ja häufig an unsere Empathie. Sie erzählen uns vom Leid der Einwohner des Landes, in das sie einmarschieren wollen. Wir sehen die Bilder einzelner Opfer. Und wir tendieren dazu, die wichtigen Fragen zu ignorieren: Wie viele Menschen werden sterben müssen, wenn wir tatsächlich gewaltsam in die Geschicke dieses anderen Landes eingreifen? Empathie blendet uns.
ZEIT: Gilt das auch in der Flüchtlingsfrage? Sollten wir denn keine Empathie mit Flüchtlingen empfinden?
Bloom: Meine persönliche Überzeugung ist, dass die Staatengemeinschaft eine starke Verpflichtung hat, flüchtenden Menschen zu helfen. Aber wenn man sich dabei nur von Empathie leiten lässt, wird das nicht sehr hilfreich sein. Die empathische Einfühlung motiviert uns nämlich dazu, eher den Menschen zu helfen, die uns ähneln, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Menschen, die anders sind als wir, die eine andere Hautfarbe haben oder aus einer anderen Kultur stammen, ignorieren wir eher. Das heißt: Empathie kann uns parteiisch, ja sogar fanatisch machen. Deshalb warne ich vor zu viel Empathie und plädiere für mehr compassion, also Mitgefühl.
ZEIT: Worin besteht der Unterschied?
Bloom: Empathie heißt: Ich fühle das, was ein anderer Mensch fühlt. Mitgefühl bedeutet: Ich kümmere mich um den anderen, ich sorge für ihn.