Zitat:
Präsident Nixon nahm 1972 Beziehungen mit der von den Kommunisten beherrschten Volksrepublik China auf. Still und heimlich hatte sein Sicherheitsberater Henry Kissinger diesen Zug vorbereitet. Er folgte einer alten Logik: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Amerikas Feind war die Sowjetunion. Moskau und Peking hatten sich voneinander entfremdet. Erst warfen sie einander vor, den Kommunismus zu verraten. Dann lieferten sie sich einen zermürbenden Kleinkrieg an ihrer Grenze. Moskau drohte den Chinesen mit einem Atomschlag. Nixon drohte mit Vergeltung. So rückten die Vereinigten Staaten an ein Land heran, das im Korea-Krieg noch ihr Gegner gewesen war. Mit China gegen Russland – eine neue Konstellation. Sie eröffnete Amerika einen gesichtswahrenden Weg aus den Sümpfen Vietnams. Und sie bereitete den Boden für die neue Epoche der Entspannungspolitik.
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Rex Tillerson, bisher Chef des Ölriesen ExxonMobil, steht im Ruf, er habe bessere Verbindungen nach Russland als jeder andere amerikanische Geschäftsmann. Moskau lobte ihn umgehend als „konstruktiven Partner“. Auch Trumps Sicherheitsberater, der frühere General Michael Flynn, unterhält ungewöhnlich enge Beziehungen zum Kreml. Es sieht so aus, als wolle Trump das Machtdreieck neu ausrichten: mit Russland gegen China.
„Grand Strategy“ nennt man das in der internationalen Politik. Bisher verband man Leute wie Kissinger damit, nicht jedoch Trump. Er stand anderthalb Jahre lang wie kein anderer im Fokus der Medien. Und doch sah niemand kommen, dass ausgerechnet ein Immobilienunternehmer und Reality-TV-Star die Weltordnung verändern wollte. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Trump Präsident würde, verbreiteten Kenner ganz andere Prognosen. Er werde sich auf die Innenpolitik konzentrieren, die Jobmaschine anwerfen und die Außenpolitik Leuten überlassen, die davon Ahnung haben.
Seine Personalentscheidungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Trump hat lauter Geschäftsleute und Ex-Generäle an seine Seite geholt. Männer und Frauen, die entweder so ticken wie er oder es gewohnt sind, Befehle auszuführen. Politische Erfahrung hat fast keiner von ihnen. Trump wird ihnen die Details und das tägliche Management überlassen. Aber er wird wie ein Geschäftsführer in allen wichtigen Fragen die Richtung bestimmen.
Schon deshalb lohnt es, noch einmal genau hinzusehen, wie er sich als Kandidat zu China und Russland in diesem langen Wahlkampf positioniert hat. Einzelne Aussagen verursachten immer wieder Wirbel – zum Beispiel, als er China vorhielt, es „vergewaltige“ die Vereinigten Staaten. Doch wurden solche Äußerungen als reine Provokation abgetan. Kaum jemand fragte, ob dahinter eine Strategie stehe. Dabei redet Trump nicht aus dem hohlen Bauch heraus, wenn es um China und Russland geht. Er vertritt eine gefestigte Haltung – die aber das Gegenteil der üblichen Sicht der Dinge ist.
Als Trump im Juni 2015 seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gab, erwähnte er China 24 Mal, mehr als jedes andere Land. Er prägte einfache Sätze und hämmerte sie seinen Zuhörern ein. „China hat unsere Jobs.“ „Unsere Feinde werden stärker und stärker, während wir als Land schwächer werden.“ „Sie werten ihre Währung auf ein Niveau ab, das man nicht für möglich hält. Das macht es unseren Firmen unmöglich, mit ihnen zu konkurrieren, unmöglich. Sie töten uns.“ „Sie zerreißen uns.“ Trump stellte China als Quelle allen Übels dar, als Ursache des amerikanischen Niedergangs. Er schimpfte auch darüber, dass amerikanische Unternehmen Jobs über die Grenze nach Mexiko verlagern – denn Mexiko sei „das neue China“.
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Trump forderte, dass die Chinesen Zölle auf Einfuhren aus Amerika abschaffen. Er drohte andernfalls mit riesigen Strafzöllen auf chinesische Produkte. Stets ging es um Wirtschaft, aber nicht ausschließlich.
Schon in der Bewerbungsrede vom Juni 2015 sprach er darüber, wie China sich militärisch im Südchinesischen Meer ausdehnt. Peking hat dort eine Marinebasis ausgebaut, um seinen Anspruch auf umstrittene Inseln zu untermauern. Eine Arterie des Welthandels läuft durch die Gewässer. Trump sagte: „Sie stocken ihr Militär in einem Maß auf, das beängstigend ist. Wir haben ein Problem mit dem ,Islamischen Staat‘. Wir haben ein größeres Problem mit China.“ Es ging ihm also nicht bloß um amerikanische Jobs, um einen „besseren Deal“. Es ging in dieser wie in vielen späteren Reden auch darum, Chinas Ausdehnung einzudämmen.
Trump versprach im Wahlkampf, nach den Landkriegen in Afghanistan und im Irak große Summen in die Seestreitkräfte zu pumpen. Die Marine soll von 273 auf 350 Kriegsschiffe anwachsen – darunter neue Lenkwaffenkreuzer und moderne Jagd-U-Boote. So ambitioniert war seit Reagan kein Präsident mehr.
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Und was kriegt Putin dafür? Trump könnte ihm in Syrien freie Hand lassen – solange dort der „Islamische Staat“ zurückgedrängt wird. Vielleicht gesteht er ihm zu, auch im postsowjetischen Raum freier zu schalten und zu walten. Er könnte die Sanktionen wegen der Ukraine schrittweise aufheben, zuerst im Ölsektor. Amerikanischen Konzernen winken dann gute Geschäfte, wie Trumps Außenminister weiß. Russland müsste sich im Energiesektor nicht mehr an China heranschmeißen, wie es in den letzten Jahren der Fall war. Das Band zwischen Moskau und Peking würde lockerer.
Es dürfte die Mächtigen in Peking mächtig stören, wenn sich Russland und Amerika plötzlich über ihren Kopf hinweg verständigten – so wie seinerzeit Moskau staunte, als China und Amerika ihre gemeinsamen Interessen entdeckten.
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Trump ist nicht angetreten, um Krieg zu führen. Vom Irak-Einsatz und dessen Folgen hat er sich klar distanziert. Doch ist ungewiss, wie Peking auf die unerwartete Herausforderung reagiert. Zu Nixons Zeiten war China gerade auf dem Weg vom Agrar- zum Industriestaat. Heute ist es die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, hinter Amerika.
Die Führung in Peking muss nun abwägen. Wenn sie mit Trump einen Deal schließt, müsste sie auf einen Teil ihrer Vorteile verzichten, mithin auf Wachstum und Einflusszonen. Aber sie könnte weiter in einem berechenbaren Umfeld agieren, Chinas Status würde bekräftigt. Käme es dagegen zu einer Konfrontation mit Amerika – wirtschaftlich, politisch, militärisch –, würden beide Seiten verlieren. Eine mehr, die andere weniger. Peking schätzt Stabilität. Wie sehr, wird sich nun zeigen.