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Mit den Worten: "Als ich noch Leutnant im …Regiment war, …", soll Winston Churchill, ein Angehöriger des englischen Hochadels und gewiss mit allen Feinheiten der Etikette vertraut, einst seinen König beleidigt haben, da er nicht – wie erwartet – formulierte: "Als ich noch die Ehre hatte, als Leutnant im … Regiment Eurer Majestät zu dienen". Wie rührend!, denkt der aufgeklärte Leser der Gesellschaftsgazette. Aber hundert Jahre früher konnte sogar ein abgespreizter kleiner Finger zum Duell auf Leben und Tod führen. Heutzutage gelten "Bitch", "Freak" oder "Gangster" vielen als Ehrentitel, die Eigentümer der längsten Jachten der Welt sind froh, wenn sie als "Oligarchen" tituliert werden, und die Polizei macht Werbung für "Bullen". Die Ehren-Frage, wer bei der Begegnung im öffentlichen Raum den Hut als erster und wer als zweiter zu lüpfen habe, scheint in Zeiten der Basecaps Lichtjahre von der Wirklichkeit entfernt, und selbst das Unterbieten sämtlicher Erwartungen an menschenwürdige Kleidung bei hochoffiziellen Anlässen veranlasst schlimmstenfalls noch ein "Geschmacks"-Bashing in People-Zeitschriften.
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Die Bedeutungsebenen der Ehre scheinen sich im selben Maß aufgelöst zu haben, in dem die normativen Strukturen unserer Gesellschaft erodiert sind. Das ist richtig und falsch zugleich. Vor einhundert Jahren war die Ehre des deutschen Offiziers, des Gutbesitzers, des Fabrikanten oder des königlichen Beamten etwas qualitativ anderes als die Arbeiter- oder Handwerkerehre, die Ganovenehre oder die Ehrbarkeit der allenthalben verschacherten Frauenzimmer (Wer mag, lese einmal wieder den Untertan von Heinrich Mann, oder sehe den kongenialen Film von Wolfgang Staudte!).
Und diese Differenzierung betrifft nur die uns vertraute bürgerliche Gesellschaft in der Mitte Europas! Noch hundert Jahre vor deren Triumph war die Ehre eines Adligen von der eines Bauern so unterschieden wie die Natur von Mensch und Ochse, und noch der zwielichtigste Sprössling aus altem Adel hatte mehr "Ehre" als jeder steinreiche Kaufmann. Heute haben viele vergessen, was meine Urgroßeltern noch als Alltag kannten. Dabei ist es für außerordentlich viele noch heute Alltag: Ihre Ehre bestimmt sich nach Kaste, Stand, Rasse, Geschlecht.
Weil uns die "Ehre" so unglaublich wichtig ist, weil sie die Bewertung der Person innerhalb der Gesellschaft transportiert, achten wir auf geringste Anzeichen der Ent-Ehrung: Wer uns "nicht grüßt", dem schwören wir innerlich Vergeltung. Wer uns in jener Gesellschaft herabsetzt, auf deren Wohlwollen es uns ankommt, ist unser "Feind". In Formen, die sich ständig verändern, ist dies alltägliches Geschäft. Aber da unsere Gesellschaft sich in ihren äußeren Formen stetig wandelt und in mancher Hinsicht normativ und sozial unberechenbarer geworden ist, reicht es nicht, alle zwei Jahre einmal nachzuschauen, ob die Parameter noch stimmen: Heute reden wir von zwei Wochen. Das erzeugt Unsicherheiten.