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Thema: Frage zum Verstehen nicht-wörtlicher Sprache (http://autismus-ra.unen.de/topic.php?id=6242)


Geschrieben von: Lyra am: 30.09.13, 21:17:10
Zitat von 55555:
Worin siehst du an der Stelle Metaphorik? Im Stoßen?


Ja.

Zitat:
Ich weiß nicht, ob dein Anliegen bei mir auf Interesse stoßt, das Thema finde ich interessant.


Ok.

Zitat:
Vermutlich, weil es eine falsche Aussage ist?


Naja, das habe ich mir schon auch denken können. Ich wollte es aber gern bestätigt haben.

Zitat:
Ja und Autisten wünschen sich "von Natur aus" in der Regel wohl eindeutige Sprache, weil Wahrscheinlichkeitsvermutungen keine absolute Richtigkeit widerspiegeln.


Womit wir, wie ich finde, wieder bei den Fragen angelangt wären, die sich am Anfang dieses Themas aufgetan haben. Gibt es denn überhaupt eindeutige Sprache? Und ist Sprache eindeutig, wenn sie wortwörtlich gemeint ist?

Zitat:
In Bezug auf dieses Thema sehe ich das anders.


Warum genau?

Zitat:
Wenn es für ihn wichtig ist kann er das in der Regel alleine für sich regeln,


Es fällt mir schwer mir vorzustellen, wie das funktionieren soll.

Zitat:
Generell würde ich es eher begrüßen den vielen NA beizubringen sich korrekt auszudrücken. Aber das widerspricht wohl ihren Fähigkeiten/Bedürfnissen.


Wie oben schon gesagt, stellt sich die Frage, ob es "die korrekte" Ausdrucksweise mittels Sprache gibt. So wie Du es beschreibst, klingt das ja so, als hätten Autisten die Fähigkeit sich korrekt auszudrücken und den NAs fehlt diese. Ist es denn so, dass es in der sprachlichen Kommunikation zwischen Autisten tatsächlich zu keinen Mißverständnissen kommt?


Geschrieben von: 55555 am: 30.09.13, 22:59:44
Auf Interesse stoßen ist eine relativ verbreitete Wendung? Würdest du "auf Gegenwehr stoßen" auch als Metapher einordnen?
Zitat:
Gibt es denn überhaupt eindeutige Sprache? Und ist Sprache eindeutig, wenn sie wortwörtlich gemeint ist?

Oder an dieser Stelle ersteinmal die Frage, ob "wörtlich" und "eindeutig" Synonyme sind?

Sprache als System ist sicherlich nie ganz geeicht, jeder verwendet etwas verschiedene Anklänge in seiner persönlichen Sprache. Da ist dann halt schon die Frage, ob es soetwas wie ein objektives Wortverständnis gibt. Aber der Grad der Eindeutigkeit wie ich ihn meinte zielte auf einen geringeren Grad an unzutreffenden Deutungsmöglichkeiten (also nicht unbedingt Mehrdeutigkeiten die alle auf ihre Weise treffen).
Zitat:
Warum genau?

Weil eine von außen vermittelte Ordnung der Inhalte ganz anders ausfallen kann, als eine tatsächlich zur eigenen Ordnung passende Selbstermittlung. So eine Fremdordnung kann Fremdkörper bleiben und alles durcheinanderbringen wie eine Linkshänderumerziehung.
Zitat:
Es fällt mir schwer mir vorzustellen, wie das funktionieren soll.

Das mag sein, aber wir Autisten machen das schon seit vielen Jahrzehntausenden so.
Zitat:
Ist es denn so, dass es in der sprachlichen Kommunikation zwischen Autisten tatsächlich zu keinen Mißverständnissen kommt?

Bezüglich Eindeutigkeit funktioniert es wohl besser, bezüglich Wörtlichkeit gibt es übliche Probleme durch die man aber dann wieder verschiedene Begriffsverständnisse kennenlernt.


Geschrieben von: PvdL am: 02.10.13, 00:12:27
Ein Beispiel für ein Mißverständnis:

Graf Bobby ließt in der Zeitung: "In New York wird alle 10 Sekunden ein Fußgänger von einem Taxi angefahren."

"Das ist ja entsetzlich." ruft er aus. "Wie der arme Fußgänger das nur aushält."


Geschrieben von: Lyra am: 02.10.13, 00:39:35
@PvdL

Der ist ja echt witzig! Ja, mit der Möglichkeit eine indefinite Nominalphrase spezifisch oder unspezifisch zu interpretieren, kann man schon lustige Effekte erzielen.


Geschrieben von: Fundevogel am: 02.10.13, 14:54:40
@Lyra: Als Bilderseher und sehr musikalischer Mensch finde ich deinen letzten Satz auch sehr witzig;)- Lippenbewegungen bei der Aussprache/Bebop.




Geschrieben von: PvdL am: 25.06.14, 11:22:25
Der WDR bietet eine Sendung mit der Maus zum Thema wörtliches Verstehen an, welche ich hiermit dringen empfehlen möchte.


Geschrieben von: Willnichtärgern am: 08.05.15, 13:45:48
Bei meinem Sohn habe ich den Eindruck, dass er schon auch ungenaue und methaphorische Sprache verstehen KANN, solche Sprachanwendung jedoch wenn es ein gewisses Maß übersteigt nicht gut findet.
Ein Beispiel:
Ich sagte meinem Sohn: "Du musst für Dein Verhalten gerade stehen, dann ist es gut."
Er stellte sich also ganz gerade hin und sagte dann: "OK, ich habe gerade gestanden, jetzt ist alles gut."
Man könnte nun meinen, ihm sei entgangen, was ich eigentlich damit ausdrücken wollte und er habe mich nicht verstanden, es sei zu einem Missverständnis gekommen.
Dass dem nicht so war, bewies dann jedoch der weitere Dialog. Er erzählte mir sodann nämlich, dass die Redewendung "für etwas geradestehen" im Sinne von "die Konsequenzen tragen und Verantwortung übernehmen" wahrscheinlich entstanden sei, weil Menschen früher einmal sich gerade hinstellen mussten, um sich schlagen zu lassen und dass er froh sei, dass körperliche Züchtigung zumindest hierzulande nicht als erlaubte Strafe akzeptiert ist. Dazu sagte er, dass er nicht sicher sei, ob die Redewendung tatsächlich vor diesem Hintergrund entstanden sei.

Ihm war also sehr wohl klar, was ich ausdrücken wollte. Da ich es aber nicht wörtlich ausgedrückt hatte, so erklärte er es mir, habe er sich erlaubt, den Satz im Sinne der für ihn deutlich günstigeren "wörtlichen" Interpretation für sich auszulegen, weil er das Recht habe, die für ihn günstigste Auslegung zu wählen, so lange ich mir keine Mühe gebe, mich eindeutig und klar auszudrücken.

Das beweist, dass ihm hier keine Fähigkeit mich zu verstehen fehlte, jedenfalls nicht in der genannten Situation.

Von meinem Sohn kommen auch sinngemäß folgende Aussagen: "Ich gehe jetzt noch nicht ins Bett, weil Du mir erlaubt hast, noch viel länger auf zu bleiben. Du hast gesagt, ich soll um 8 Uhr schlafen gehen. Das ist nicht eindeutig. Ich weiß aus dem Zusammenhang, dass Du 8 Uhr abends am heutigen Tag gemeint hast, aber gesagt hast Du es nicht. Es kann auch 8 Uhr morgens bedeuten oder 8 Uhr abends an einem anderen Tag. Deshalb darf ich die ganze Nacht wach bleiben, denn Du hast mir gewährt, bis 8 Uhr morgens wach zu bleiben. Wenn Du willst, dass ich eine Regel einhalte, musst Du erst eine klare Regel aufstellen. Wer hat Dich davon abgehalten 20 Uhr zu sagen und das Datum mitanzugeben? Wenn Du jetzt erst die genaue Regel aufstellst ist es zu spät. Du musst Dich an das halten, was Du versprochen hast."
Auch hier hat er mich eindeutig NICHT missverstanden.

Also Juristin weiß ich, dass Sprache niemals genau oder wörtlich sein kann und stets auslegungsbedürtig ist. In der Rechtswissenschaft ist möglichst präzise Sprache von sehr hoher Bedeutung. Dabei ist es eine Grundannahme in der Rechtswissenschaft, dass Gesetze niemals jeden denkbaren Einzelfall regeln können und dabei durch die notwendige Abstraktion stets in mehr oder weniger hohem Maße unbestimmt und uneindeutig bleiben müssen.
Die Kunst der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist es dann, die Sprache der Normen mit überzeugender Argumentation so auszulegen, wie es für die jeweilige Mandantschaft am günstigsten ist.

Ungünstig am "wörtlichen Auslegen", wie es mein Sohn oft tut ist für ihn, dass er damit nicht überzeugt. Denn eine den Kontext bewusst außen vor lassende Auslegung ist letztlich nichts weiter als eine falsche Auslegung. Eine richtige Auslegung bezieht nämlich möglichst viele für die Auslegung relevante Umstände ein.

Wenn ihm in dem Zusammenhang eine Fähigkeit abgeht, dann nicht die, die Sprache richtig zu verstehen, sondern eher die, zu akzeptieren, dass er bisweilen nicht im Recht ist, obwohl er sich nach seinen Maßstäben im Recht sieht.

Ich vermute, dass es für ihn umständlich und nicht natürlich ist, Aussagen stets kontextorientiert auszulegen unter Berücksichtigung der Senderperspektive. Da er die Senderperspektive vermutlich nicht schon ganz selbstverständlich und automatisch berücksichtigt findet er es wahrscheinlich unfair, dass er das trotzdem immer tun soll. Er sieht vermutlich einfach nicht ein, warum er solche für ihn wohl unnatürlichen Gedankenverrenkungen durchführen sollte, während sein Gegenüber doch auch die Möglichkeit gehabt hätte, sich weniger mehrdeutig bzw. auslegungsbedürftig auszudrücken.
Das ist natürlich nur eine Theorie.

Für mich als Mutter ist die Situation dann blöd, denn ich kann mich zwar schon präziser ausdrücken, als ich es oft mache, ich kann aber nie vorab wissen, im Bezug worauf ich mich gerade präziser hätte ausdrücken sollen, weil ich nicht die Gedanken meines Sohnes lesen und nicht die Zukunft vorhersagen kann und weil Sprache, wie ich schon schrieb stets in gewissen Umfang unpräzise ist und sein muss. Es gehört schlicht zum Wesen der Sprache.

Was ich irrational finde an den Gedankengängen meines Sohnes ist, dass er dieses Wesen der Sprache und die daraus resultierende Unmöglichkeit sprachlicher Eindeutigkeit negiert und weiter eindeutige und klare Sprache fordert.

Ich verstehe ja, dass solche für ihn angenehmer wäre, aber nicht, warum er sich nicht davon überzeugen lässt, dass sich eindeutiger und klarer Sprache zwar angenähert werden kann, diese jedoch nie erreicht werden kann.

Mein eigenes Gehirn neigt ganz offensichtlich (wie das meines Sohnes) ganz automatisch und natürlich zur Spitzfindigkeit im Bezug auf sprachliche Äußerungen. In der Juristerei ist das auch von Vorteil. Manche sprechen hierbei von "hoher juristischer Kreativität".
Dagegen neigt mein Gehirn nicht dazu, ganz automatisch zu erkennen und allein für gut und richtig zu befinden, was üblich ist, in der Regel so gemacht wird und von vielen für selbstverständlich gehalten wird. Es muss hinterfragen und spitzfindig denken und kann nicht anders. Dadurch stoße ich auf Probleme, die für Viele gar nicht existieren. In Prüfung hieß das dann falsche Prioritätensetzung.

Meine Theorie zum Thema "Wörtliches Verstehen" und Autismus ist, dass dieser Zusammenhang möglicher Weise viel eher an einer Neigung zu Logik und Präzision und zum Hinterfragen dessen, was gemeinhin als selbstverständlich betrachtet wird, liegen wird, als an einem Unvermögen bestimmte sprachliche Stilformen verstehen zu können.

Was denkt ihr? Ist diese Theorie falsch und wenn ja, warum?


Geschrieben von: drvaust am: 08.05.15, 15:00:41
Meine Meinung ist, daß Autisten weniger fähig sind, intuitiv die übliche, aber nicht korrekte, Bedeutung von kontextabhängigen und indirekten Aussagen zu erkennen. Das ist aber größtenteils erlernbar, und kann dann, mit höherem Aufwand, durch Analysen ermittelt werden. Das Verständnis solcher nicht korrekter Aussagen ist also meistens möglich, jedoch mit höherem Aufwand verbunden und kostet zusätzliche Kraft. Deshalb sind nicht korrekter Aussagen belastend und bei Erschöpfung weniger verständlich.
Dafür können Autisten, meiner Meinung nach, leichter die korrekte, aber nicht gemeinte, Aussage erkennen. Ich kenne Autisten, die sich einen Spaß daraus machen, Aussagen falsch korrekt zu verstehen und das evtl. auszunutzen.

Willnichtärgern, Du hast das ungefähr richtig erkannt. Aber warum willst Du Deinem Sohn nicht zugestehen, daß er korrekten Sprachgebrauch verlangt? Für ihn wäre korrekten Sprache eine große Erleichterung. Daß er auch andere Bedeutungen versteht, hat er ja gezeigt. Er kann es also, aber nur mit größerer Anstrengung. Daß er dabei jetzt etwas radikal ist, liegt evtl. am Alter, an der Entwicklung. Er wird noch verstehen, daß er sich etwas anpassen muß, um nicht zu sehr anzuecken und sich das Leben zu erleichtern. Schöner wäre es aber, wenn der Sprachgebrauch allgemein korrekter wird.


Geschrieben von: 55555 am: 08.05.15, 21:45:29
Zitat von drvaust:
Das ist aber größtenteils erlernbar,

Jeder Mensch erlernt diese Dinge? Wer anders ist und so eher ausgegrenzt wird oder wegen Überlastung ständig ausgelaugt ist dann wohl oft später?


Geschrieben von: Willnichtärgern am: 09.05.15, 17:26:35
Zitat von drvaust:
Aber warum willst Du Deinem Sohn nicht zugestehen, daß er korrekten Sprachgebrauch verlangt?


Wenn er verlangt, dass ich mich um "korrekten" Sprachgebrauch bemühe, so gut es nur geht ist das für mich kein Problem. Das mache ich auch gern.
Wenn er aber verlangt, dass ich etwas mache, was ich gar nicht schaffen kann, dann kann er das verlangen, so viel er will, es wird nicht eintreten, weil es einfach nicht möglich ist.
Das hat nichts damit zu tun, was ich ihm zugestehen will oder nicht, sondern damit, was möglich ist und was nicht.
Wenn ich von ihm etwas verlange, was er nicht kann habe ich dann auch Pech. Da kann ich, sofern ich erwarte dass er sich daran hält, allenfalls verlangen, dass er es versucht, so gut es geht.


Geschrieben von: unbequem am: 08.07.15, 10:10:46
sprache sind laute, die mit rollenden, zischenden, schnarrenden, etc... geräuschen zusammen wörter ergeben. diese wörter aneinander gereiht, ergeben eine aussage.
zudem gibt es nonverbale kommunikation, dazu gehört auch schweigen. denn wenn ich schweige, kommuniziere ich, dass ich desinteresse habe, nichts zu sagen weiss, oder nichts sagen kann.

je nach gruppe/region/land werden andere laute, geräusche und gesten benutzt.

innerhalb einer gruppe kann man diese laute und geräusche, basierend auf den gemeinsam gemachten erfahrungen, entsprechend zuordnen. so kann es durchaus auch autisten möglich sein, basierend auf diesen gemeinsamen erfahrungen, metaphern und witze zu verstehen.

heutzutage gucken die meisten menschen die gleichen filme, serien, nachrichten, bla bla....daher breitet sich das spektrum dessen, was gemeinsam verstanden wird, entsprechend auf dem gesamten globus aus.

was nicht sofort verstanden wird, kann erklärt werden. (bei mir hats funktioniert, bei meinen kindern und meinem partner ebenfalls).

humor verstehen und betreiben, kann wie alles andere geübt und trainiert werden.
dauert halt manchmal ne weile. dafür muss man geduld und willen mitbringen - daran mangelt es den meisten menschen allerdings.




Geschrieben von: mor am: 01.10.21, 14:22:58
Zitat von Lyra:
@mor: Ja, ein weiteres Beispiel für Übertreibung. Ich wüsste gern, warum Du sagst, "die sollten es lieber anders formulieren"? Ist es weil Du das so verstehst wie "alle Bewohner Deutschlands trauern' und das sicherlich nicht stimmt, bzw. man unmöglich Beweise haben kann, dass das stimmt?

Ja, in dem Sinne.

Wenn man sagt "ganz Deutschland trauert", dann stimmt der Satz rein theoratisch nicht. Nach deren Aussage müssten dann alle menschlichen Bewohner Deutschlands trauern, in dem Fall.

Oder wenn man sagt "Deutschland kritisiert den Vorfall". Es müsste doch heißen, dass bestimmte "deutsche Politiker den Vorfall kritisieren".

Edit: es müsste es so anders formuliert werden, dass bestimmte Personen dabei genannt werden, und nicht das Land selbst.