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Thema: [Buch:] Clemens Setz; Indigo (http://autismus-ra.unen.de/topic.php?id=5726)


Geschrieben von: 55555 am: 12.10.12, 23:31:31
Zitat:
Die Indigo-Kinder, die seinen Roman bevölkern, haben zwar eine außergewöhnliche Aura, aber ihre Wirkung besteht vor allem in Übelkeit, Schwindel, Erbrechen und Migräne, die sie bei jedem auslösen, der ihnen zu nahe kommt. Indigo-Kinder sind im Wortsinne zum Kotzen. Clemens Setz spricht von Müttern, die spontan in den Kinderwagen speien, wenn sie sich zu tief über ihr Baby beugen.

Eltern, die zu lange mit ihren Sprösslingen unter einem Dach leben, werden ernsthaft krank; es kann zu lebensbedrohlichen Durchfällen und Ekzemen kommen. Man muss die Kinder in weitab gelegene Internate schaffen, wo sich die Lehrer ihnen nur auf Sichtweite nähern. Wenn die Eltern sie nicht zurückhaben wollen, werden sie von speziellen Agenturen fortgeschafft; und zwar wahrscheinlich für besonders fiese medizinische Experimente verkauft, die darin bestehen, mithilfe der Indigo-Kinder Menschen zu foltern.

Es wird sich zeigen, wie die Esoterik-Szene diesen Angriff auf ihr verkitschtes Weltbild verkraftet. Jedenfalls spielt der Roman mit zahlreichen Science-Fiction-Motiven just in der Zukunft, von der die Indigo-Kinder zeugen sollen, und er hat auch eine Vermutung, worin ihre besondere Zukunftstauglichkeit einerseits und ihre abscheuliche Wirkung andererseits besteht. Indigo-Kinder kennen keine Empathie. Sie sind für Empfindungen anderer völlig unzugänglich. Der Prozess der Zivilisation, der für die menschliche Gattung nach und nach die Gesetze der Wildnis, der Selektion, des erbarmungslosen Überlebens außer Kraft gesetzt hat, hat diese Geschöpfe nicht verändert. Sie sind Fossilien unserer Gattung. Sie haben, wie Quastenflosser oder andere archaische Tierarten, an denen die Evolution vorübergegangen ist, in irgendeinem schlammigen Winkel überlebt – und nun, in einer wieder barbarisch werdenden Zeit, steigen sie aufs Neue empor, als gäbe es eine Ahnung in unser aller Erbgut, dass ihre Stunde gekommen sei.

Das ist sie indes entschieden nicht. Der neualte Mensch, das Indigo-Kind, ist in diesem Roman Täter nur durch seine genetische Besonderheit; in allem Übrigen wird er Opfer. Die Zivilisation, wie wir sie kennen, setzt sich auch in der geschilderten Zukunftswelt brutal gegen die Sonderlinge durch.

Quelle


Geschrieben von: feder am: 16.10.12, 10:36:35
Vielleicht auch irgendwie bezeichnend, dass es das Buch auf die Shortlist für den deutschen Buchpreis geschafft hat.


Geschrieben von: Lenz2011 am: 17.10.12, 09:04:50
Wie so oft bei Buchbesprechungen der "Zeit" habe ich das auch hier das Gefühl dass sich eine Lektüre des Buches wohl nicht lohnt.