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2013 soll das Diagnosehandbuch, das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz DSM, in seiner fünften Auflage das momentan geltende DMS-IV ablösen. Dabei sollen die derzeit zehn gelisteten Persönlichkeitsstörungen auf fünf Prototypen reduziert werden. Neben der narzisstischen soll auch die histrionische, die abhängige, die schizoide und die paranoide Persönlichkeitsstörung fallen. Also keine Narzissten mehr in den USA? "Die Menschen, die unter den Störungen leiden, gibt's noch" , sagt Thomas Stompe, Psychiater am AKH Wien, "nur die Diagnose gibt's nicht mehr. Die Sichtweise hat sich geändert."
Das DSM will nämlich keineswegs nur neue Namen für Persönlichkeitsstörungen einführen, sondern das gesamte Diagnosesystem reformieren. Bis jetzt gilt das kategoriale Modell: Aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten, unter denen der Patient oder seine Umwelt leidet, wird die psychiatrische Diagnose gestellt. "In DSM-V versucht man, von einer anderen Basis auszugehen und eine Verbindung zwischen der Persönlichkeitspsychologie und psychiatrischen Erkrankungen herzustellen" , sagt Stompe. Daraus ergibt sich ein mehrstufiger Diagnoseprozess.
Was es Patienten bringt
Zunächst wird das Persönlichkeitsprofil ermittelt: Die Persönlichkeit und auffälligen Züge des Patienten werden mithilfe standardisierter Test ermittelt. Fühlt sich der Betroffene durch seine Auffälligkeiten beeinträchtigt, wird überprüft, ob die Beeinträchtigungen Krankheitswert haben. Danach kann der Psychiater feststellen, wie nahe oder fern der Patient zu den Prototypen der Persönlichkeitsstörungen steht. "Neu ist die stärkere Differenzierung in der Ausprägung" , sagt Stompe. Insgesamt verspricht das neue Modell größere Genauigkeit bei den Diagnosen. Von acht Symptomen muss der Patient derzeit drei beliebige haben, damit die jeweilige Persönlichkeitsstörung dia-gnostiziert werden konnte. "Dadurch entstehen unglaublich viele verschiedene Typen, die bisher nicht differenziert wurden. Das sorgte für starke Heterogenität der verschiedenen Persönlichkeitsstörungstypen" , so Stompe, "sehr häufig kam es vor, dass jemand offenbar eine Persönlichkeitsstörung hatte, aber die Kriterien für eine bestimmte Störung nicht erfüllte. Die Diagnose hieß dann immer häufiger ‚nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung‘." Abgesehen von der erhöhten Treffsicherheit bei Diagnosen soll auch die Forschung, die außer bei Borderline-Störungen noch nicht sehr weit gekommen ist, vom neuen Modell profitieren. Stompe: "Das dimensionale Modell schließt an die Persönlichkeitsdiagnostik von normalen Menschen an. Das bringt etwas für die Erforschung vom Weg einer Persönlichkeit zur Persönlichkeitsstörung." Außerdem bedeutet jede neue Auflage des Handbuchs Impulse für die Forschung. "Man schaut dann, ob sich's bestätigt" , sagt er, "wenn nicht, dann entwickelt man DSM-V-R." R steht für "revised" , überarbeitet.