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Thema: Uniklinik Lübeck prescht bei Einstieg in Menschenzucht vor (http://autismus-ra.unen.de/topic.php?id=5317)


Geschrieben von: 55555 am: 27.01.12, 20:49:08
Nicht wie sonst bei der üblichen Salamitaktik wird mit besonders "kritischen" Fällen begonnen. Nein, man fängt gleich mit einem vermeintlichen Risiko von weit unter 50% an.
Zitat:
Im Universitätsklinikum in Lübeck ist das nach Klinikangaben erste Baby Deutschlands geboren, bei dem eine Präimplantationsdiagnostik (PID) zum Ausschluss eines einzelnen Genfehlers gemacht wurde.

[...]

Mit Hilfe der PID habe ein 25-prozentiges Risiko für die neue Schwangerschaft ausgeschlossen werden können, sagte Diedrich.

Quelle


Geschrieben von: PvdL am: 27.01.12, 23:38:07
Ich halte besonders den letzten Absatz für gravierend:
Zitat:
Die Eltern des kleinen Mädchens hatten sich nach Angaben der Klinik für die Untersuchung entschieden, weil beide die Erbanlage für eine Skelett-Anomalie in sich tragen, bei der die Kinder meist während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt sterben. Das Paar hatte bereits drei Schwangerschaften hinter sich, bei denen der Fötus jeweils im Mutterleib gestorben war. Mit Hilfe der PID habe ein 25-prozentiges Risiko für die neue Schwangerschaft ausgeschlossen werden können, sagte Diedrich.

Daraus ergibt sich für mich die Frage, ob die PID in solchen Fällen, wo es nicht um hübsch oder häßlich, klug oder dumm, sondern tatsächlich um Leben oder Tod geht, nicht als sinnvoll erachtet werden muß.


Geschrieben von: 55555 am: 27.01.12, 23:58:26
Und was für Antworten findest du zu der Frage?


Geschrieben von: PvdL am: 28.01.12, 01:23:01
Zumindest zeigt das Beispiel, daß kein einfaches JA oder NEIN zu einer vernünftigen Lösung führt. Ich denke, es kommt ganz darauf an, wie sachlich verständig und vernünftig die Gestaltung und Verwaltung der diesbezüglich notwendigen Gesetze vollzogen werden wird.


Geschrieben von: Fundevogel am: 28.01.12, 02:21:21
Eine mögliche Antwort könnte sein, dass man eher ein Kind adoptiert, ehe man seinen Körper malträtiert.

Bei durchschnittlich 80 erfolglos befruchteten Eizellen ehe eine Geburt glückt dürfen sich besonders die Frauen fragen, warum sie ihre "unantastbare Würde" so wegwerfen.


Geschrieben von: PvdL am: 28.01.12, 21:59:50
Der Einwand ist sicher berechtigt, wenngleich als Gegenargument bestimmt nicht erfolgreich, da es für diejenigen, die solche Prozeduren über sich ergehen lassen wollen, bestimmt nicht in Frage kommt. Wenn doch, dann kann man sich sicher nur wundern.


Geschrieben von: 55555 am: 29.01.12, 00:41:26
Und wo kann man eine klare und stabile Grenze ziehen zwischen guter und schlechter Eugenik?


Geschrieben von: PvdL am: 30.01.12, 02:12:11
Es wird dies sicher nicht leicht sein; gleichwohl ist es m.E. nicht Grund genug, auf PID zu verzichten, nur weil es so problematisch ist, eine Grenze zu ziehen. Gegebenenfalls wird eben jeder Fall einzeln gerichtlich entschieden werden müssen.

Was man sich auch klar machen muß, ist, daß ein Verbot von PID nicht automatisch dazu führt, daß Minderheitsmenschen von Mehrheitsmenschen akzeptiert oder gar Willkommen geheißen werden würden. Darum wird Aufklärung wichtiger sein, als Verbote. Aufklärung setzt allerdings die Bereitschaft der Unaufgeklärten voraus, sich aufklären zu lassen.


Geschrieben von: 55555 am: 30.01.12, 11:54:44
Ich denke was diese Frage angeht sind wir sehr weit auseinander. Bisher kann ich auch nicht erkennen, daß dir die Tragweite des Themas bewußt ist. Alleine bezüglich der Menschenwürde stellt sich bereits die Frage, ob es mit dieser vereinbar sein kann Ergebnisse von menschlichen Zuchtvorgängen zu sein. Letztendlich ist für mich auch die Frage, was das Ganze überhaupt soll, welchen Sinn es haben soll.


Geschrieben von: PvdL am: 30.01.12, 12:17:26
Wenn tatsächlich so etwas wie die Veredelung der menschlichen Rasse durch Züchtung gemeint beziehungsweise angestrebt ist, dann bin ich definitiv, absolut dagegen. Wenn es aber darum geht, ob der Nachwuchs im biologischen Sinne lebensfähig ist, dann halte ich es für sinnvoll, darüber zu diskutieren, ob und wie es sich ethisch vertretbar realisieren ließe. Deshalb denke ich nicht, daß wir "was diese Frage angeht [...] sehr weit auseinander" sind. Ich versuche lediglich -- so zu sagen -- Ausnahmetatbestände zu identifizieren, wogegen Du für ein ausnahmsloses Verbot bist.


Geschrieben von: 55555 am: 30.01.12, 12:58:00
Selbst wenn es "nur" darum ginge Genvarianten auszusortieren, die die reine Lebensfähigkeit als Neugeborenes unmöglich machen, ist man da mit seiner Absicht schon im Züchtungsdenken drin, denke ich. Dafür braucht es ja keinen vollendeten Plan. Zudem gibt es eine Fülle von Bedenkenspunkten (einige standen bereits oben und blieben von dir bisher unbeantwortet), so kann die menschliche Entscheidung sich immer nur nach begrenzten Erkenntnissen des Menschen und seines Wissens richten. Dieses kann falsch sein oder unvollständig. Es ist also fast sicher, daß es irgendwann Situationen gibt, in denen die Wissenschaft feststellt, daß man jahrelang das falsche Genprofil auf die schwarze Liste gesetzt hatte. Im o.g. Fall wären nach den Vermutungen der Mediziner (mehr sind solche %-Angaben oft nicht, bestenfalls gibt es umfassenderes statistisches Datenmaterial, das in keiner Weise eindeutig ist, aber dennoch gedeutet wird) von vier geborenen Kindern eins gestorben. Es geht beim o.g. Fall also schon in keiner Weise mehr um soetwas wie annähernde 100%-Sicherheit im Rahmen einer Vermutung. Und was sind solche Maßnahmen anderes als Menschenzucht mit dem Ziel der "Gesundheitsaufrassung"?


Geschrieben von: PvdL am: 30.01.12, 21:09:43
Es ist schon richtig, daß man es nicht immer wissen kann, was gut oder schlecht ist. Mein Beispiel ist an dieser Stelle immer die Sichelzellenanämie, die zwar zu einer -- absolut gesehen -- geringeren Lebenserwartung führt, dafür aber gegen die tödliche Tropenkrankheit Malaria unempfindlich macht und daher in verseuchten Gebieten einen erheblichen Vorteil bedeutet: Menschen ohne diese Mutation sterben meist schon vor der Geschlechtsreife und können daher ihre Gene nicht weiter vererben; Menschen mit der Mutation werden zwar vergleichsweise nicht sehr alt, können sich jedoch fortpflanzen. Deshalb sollte meines Erachtens die PID nur für solche Fälle in Betracht kommen, wo es nicht um "Optimierung" geht, sondern darum, solche Defekte zu identifizieren, die zu nicht lebensfähigen Individuen führen. Wenn also, wie in dem Beispiel, schon mehrere Totgeburten aufgrund einer solchen Ursache festgestellt wurden, dann scheint es mir nicht unethisch, weitere Totgeburten ausschließen zu wollen. Wenn überhaupt, dann kann man meiner Ansicht nach in einer solchen Situation nur noch ablehnen mit der Begründung, daß es so viele Waisenkinder gebe, daß es unverhältnismäßig sei, so viele Mittel auf einen Versuch anzuwenden, der die Zeugung eines Lebens betrifft, wenn man mit denselben Mitteln dutzende Kinder in Entwicklungsländern bis zum Volksschulabschluß durch peppeln könnte. Wenn man indes anfängt utilisaristisch zu argumentieren, dann muß man sich konsequenterweise beispielsweise auch gegen die Behandlung alter Menschen zugunsten junger Menschen aussprechen, die noch viel mehr ihres Lebens vor sich haben.