Zitat:
Seit diesem Schuljahr ist der Elfjährige Gymnasiast. Er ist Schüler der Klasse 5/3 am Goethe-Gymnasium in Bischofswerda. „Ein Wagnis“, sagt Schulleiter Bodo Lehnig, „aber eins, das sich wirklich einzugehen lohnt für den Jungen.“
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Die Heilerziehungspflegerin aus Rammenau ist seit der ersten Klasse an seiner Seite. Wie ein Schutzengel. Sie ist seine Sicherheit. Seine Orientierung durch das riesengroße altehrwürdige Schulhaus. Seine Ordnung im Tagesablauf. Sein Halt im lauten Gewimmel Hunderter Schüler. Seine unauffällig helfende Hand im Unterricht. Das Lernen schafft Noah alleine. Gespannt sitzt er hinten in seiner Bank und hört zu, was die Lehrerin vorn an der Tafel erzählt. Und auch wenn es manchmal so aussieht, als ob er ganz abwesend wäre, ganz in sich selbst versunken, verpasst er offenbar nichts vom Geschehen um ihn herum. Nur geht es eben ein bisschen langsamer als bei den anderen, wenn er mitschreibt, braucht er eben ein bisschen länger als die anderen, um eine Aufgabe zu lösen. Aber er löst sie. Noah ist ein guter Schüler. „Toll!“ und „Sehr gut!“ steht unter vielen der fertigen Arbeitsblätter in seinem Hefter.
Die Lehrerin vorn stellt Fragen. Viele melden sich. Noah nicht. Er meldet sich nie. Er gibt auch fast nie eine Antwort, wenn ihn jemand etwas fragt. Seine Mitschüler irritiert das manchmal. Obwohl sie ja wissen, dass Noah so ist, wie er ist. Annelen Mrosowski, die Klassenlehrerin der 5/3, hat ja lange mit ihnen über Noah gesprochen, hat ihnen erklärt, was Autismus ist. Auch ihren Eltern hat sie das beim Elternabend erklärt. Aber die Berührungsängste der Kinder werden schwinden, da ist sich Annelen Mrosowski sicher. Als Noahs Betreuerin kürzlich mal eine Weile nicht da war, erzählt sie, da haben zwei andere Jungen ganz selbstverständlich die Rolle als Schutzengel übernommen. Und die ganze Klasse hat darauf geachtet, dass Noah auch immer gut hinterherkommt.
Noah zeigt so gut wie nie, was er fühlt. Oft steht er regungslos, als ob er nicht weiß, was er hier überhaupt will und was er jetzt tun soll. Manchmal aber, da macht er mit wie alle anderen.