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Mit ihren Schein-Entdeckungen unterhalten die Verhaltensgenetiker die Öffentlichkeit immer wieder. Schüchtern, cholerisch, melancholisch - alles in die Wiege gelegt. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, Menschen könnten sich nicht ändern.
Welche genetischen Mechanismen prägen die Persönlichkeit?
Doch studiert man genau, was Untersuchungen an Tausenden von Geschwistern, Zwillingen und adoptierten Kindern ergeben haben, dann stellen sich viele offene Fragen. Die genetischen Mechanismen, die hinter der Persönlichkeit stehen, sind in Wahrheit "eines der größten Rätsel der Verhaltensforschung", so das Wissenschaftsmagazin "Science".
Unstrittig ist inzwischen: Die beharrlich vermeldeten Verhaltensgene gibt es so gar nicht. Viele genetische Mechanismen, aber eben auch viele kulturelle Faktoren kommen zusammen, wenn sich Selbstbewusstsein, Religiosität oder etwa Ehrgeiz ausprägen.
Und vor allem: Der Einfluss der Gene auf das Verhalten ist keine Einbahnstraße. Es gibt auch einen Pfeil, der von außen nach innen zeigt: Soziale Faktoren wirken auf Gene der Nervenzellen, verändern das Gehirn und damit das Verhalten. Eindrucksvoll haben Forscher das bei Vögeln beobachtet. Wenn ein Zebrafink den Gesang eines anderen Männchens hört, dann führt das dazu, dass ein Gen namens EGR-1 in seinem Gehirn verstärkt abgelesen wird. Die noch nie gehörte Melodie eines fremden Männchens führt zu einer viel stärkeren Aktivität von EGR-1 als das Gezwitscher, das dem Fink schon vertraut ist.
EGR-1 ist selbst ein Schlüsselgen, das seinerseits andere Gene anschalten oder ausknipsen kann. Auf diese Weise kann, durch eine Art Schneeballeffekt, eine genetische Antwort entstehen, die viele tausend Gene betrifft und sich in verschiedenen Regionen des Gehirns abspielt. Das soziale Umfeld bewirkt also breite Veränderungen an vielen Stellen des Erbguts. Aus Sicht eines Zebrafinken bedeutet das: Die Antwort der Gene hilft dem Gehirn, sich auf eine veränderte soziale Umwelt einzustellen, etwa auf das Eindringen eines singenden Nebenbuhlers in sein Revier. Die genetischen Spuren sozialer Erfahrungen können offenbar auch Säugetiere ein Leben lang prägen, wie etwa Versuche mit Mäusen gezeigt haben.