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Standard: Als Ausweg aus der Krise gilt weiteres Wirtschaftswachstum. Sie gehen von anderen Notwendigkeiten aus, richtig?
Werlhof: Wachstum ist das Gegenteil dessen, was hilft. Mein Ausgangspunkt ist Westend, das Ende der westlichen Moderne, ihrer Zivilisation und Versprechen. Das waren immer Lügen.
Standard: Wohlstand für alle schien in den 1960er- und 1970er-Jahren erreichbar, zumindest in den reichen Teilen der Welt. War das eine Illusion?
Werlhof: Auf die Dauer ja, weil das Projekt der Moderne ein Weltzerstörungsprojekt ist: die Produktionsweise, die Technik, die Politik. Man muss sich fragen, was geschah, sodass jetzt sogar das Klima, ein planetarisches Phänomen, als Ergebnis der Industrialisierung global verändert wurde.
Standard: Was ist denn geschehen?
Werlhof: Begonnen hat es im 17. und 18. Jahrhundert mit dem Entstehen der modernen Naturwissenschaft. Sie versprach eine schöne, neue, reiche Welt - und dass der Reichtum Allen zugute kommen und auf demokratische Weise verteilt würde. Das war und ist Propaganda.
Standard: Die Gegensätze zwischen Arm und Reich haben sich aber vor allem seit 1989 verschärft, dafür wird vielfach der Neoliberalismus verantwortlich gemacht. Sehen Sie das anders?
Werlhof: Der Neoliberalismus versucht, das liberale Programm, das es seit dem 18. und 19. Jahrhundert gibt, fortzusetzen - aber nicht mehr für viele, sondern für eine ganz kleine Gruppe von Konzernen. Die Rohstoffreserven gehen zu Ende, also eignet man sich die Reste auf kriegerische Art an - und macht gleichzeitig auf spekulative Weise noch schnell viel Geld. Der Sozialstaat wird ausgeplündert, ganze Länder ebenso, denken Sie etwa an Island oder Griechenland. Begonnen hat das mit der Abkehr vom Goldstandard in der Geldpolitik unter US-Präsident Richard Nixon in den 1970er-Jahren. So konnte sich das Kapital als Finanzkapital verselbstständigen. Das Resultat sind all die bunten Blasen, die seither geplatzt sind.