- Offener Brief an das Bundesjustizministerium -
Hallo,
wie ich lese gab es letztes Jahr Maßnahmen zur Enthinderung für Blinde und Sehbehinderte in gerichtlichen Verfahren:
"Stärkung der Rechte von blinden und sehbehinderten Menschen im gerichtlichen Verfahren"
Quelle
Besonders notwendig scheint mir jedoch auch die Enthinderung für Autisten in allen Bereichen der Justiz zu sein. Die besondere Situation von Autisten besteht darin, daß wir in einem Gerichtssaal aufgrund der für uns verwirrenden Sinnesreize sehr stark leiden und gleichzeitig kaum handlungsfähig sind. Diese Situation ist vielleicht damit vergleichbar einem Nichtautisten zuzumuten seinen Gerichtsprozeß unter ständiger physischer Prügel, in einem Raum mit wirr farbig flackerndem Licht, mehreren immens lauten Geräuchhintergründen wie verschiedenen Radiosendern übereinander, sowie unregelmäßig schwankendem Fußboden zuzumuten.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß Autisten generell kaum Kraftreserven besitzen soetwas vielleicht mal einen Tag zu ertragen - wie das bei Nichtautisten der Fall wäre, die nur einmalig einer solchen Situation ausgesetzt wären - und vom Zwang sich solchen Situationen auszusetzen oft stark traumatisiert sind.
Momentan ist Autisten dementsprechend der eigenbestimmte Zugang zur Justiz systematisch versperrt. Dies verstößt jedoch gegen allgemeine Standards von Barrierefreiheit in staatlichen Stellen:
"Es ist immer die Lösung zu wählen, mit der möglichst viele behinderte Menschen eine Einrichtung alleine nutzen können, so dass z. B. ein blinder Mensch ein Gerät mit Hilfe einer akustischen Ausgabe alleine bedienen kann oder ein Rollstuhlfahrer einen Ort selbst erreicht und nicht getragen oder geschoben werden muss.
Ist dies wegen der Art der Behinderung oder der Art des Angebotes nicht möglich, so ist Barrierefreiheit nur dann gegeben, wenn der Anbieter die notwendige Hilfe bereitstellt (z. B. Bedienung der mobilen Rampe eines Busses) bzw. der behinderte Mensch die notwendigen Hilfsmittel oder Assistenzpersonen (z. B. Blindenführhund, Dolmetscher) mitnehmen und einsetzen darf."
Quelle
Auch Hilfsmittel oder Dolmetscher können Autisten nicht die Teilnahme an Gerichtsverfahren oder Schlichtungsverfahren ermöglichen. Daher ist der einzig sinnvolle Weg der Enthinderung in dieser Frage aus meiner Sicht als Vertreter der Interessenvertretung von Autisten (ESH) uns zu ermöglichen fernschriftlich Verhandlungen beizuwohnen.
Dazu wäre es denkbar, daß über eine sichere Datenverbindung ein schriftliches Protokoll der mündlichen Verhandlungen in die vertraute eigene Wohnung des Autisten übertragen wird. Eine andere Möglichkeit wäre die Schaffung eines speziellen Verhandlungstakts für Verhandlungen an denen Autisten beteiligt wären, der vorsieht, daß alle Beteiligten lediglich virtuell in einem schriftbasierten "Raum" wie einem Forum kommunizieren, wobei zu gewährleisten ist, daß der Takt der Antworten in angemessener Frist erfolgt, also in allen Fragen, die sonst innerhalb einer mündlichen Verhandlung erörtert werden würden die Antwort spätestens innerhalb 24h zu erfolgen hat. Das hätte zur Folge, daß es keine Verhandlung mehr zu bestimmten Terminen gäbe, sondern eine solche spezielle barrierefreie Verhandlung einen Beginn hat und für alle Beteiligten dann laufend neben dem sonstigen Alltag stattfindet.
Die zweite Option wäre aus meiner Sicht vorteilhafter, da Autisten manchmal längere Zeit brauchen, um eine Frage genügend zu verstehen und die Antwort zu formulieren. Dies gilt besonders für alle Inhalte die nicht logisch korrekt aufgebaut oder mehrdeutig sind. Zudem wäre diese Lösung wohl die kostengünstigere, wenn man von der Herstellung der Infrastruktur, am besten als freie Software, absieht.
Über diese Fragen möchte die ESH dringend in Dialog mit den Verantwortlichen treten um geeignete barrierefreie Zugangsverfahren für Autisten zur Justiz zu entwickeln, da die Enthinderung in der Justiz für Autisten ein Schlüsselthema ist und z.B. Rechte aufgrund des AGG nur so auch ohne abschreckende Hürden wahrgenommen werden können.