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Autor Nachricht
55555
(Fettnäpfchendetektor)

Autisten sind in unbekannten, für sie verwirrenden Umgebungen teilweise nicht handlungsfähig und leiden erheblich.

Das berücksichtigt bisher anscheinend auch die Justiz in Mediation und Gerichten noch nicht.

Autisten werden so systematisch vom Zugang zur Justiz ferngehalten.

Mediations- und Schlichtungsstellen geben an schriftliche Anfragen nicht beantworten zu können. Rechtsantragsstellen in Amtsgerichten verhalten sich ähnlich.

In Gerichtsprozessen werden Autisten systematisch gezwungen sich von Anwälten vertreten zu lassen, die praktisch grundsätzlich NA sind. Bitten auf barrierefreie schriftliche Führung der Verhandlungen werden schlichtweg nicht einmal beantwortet. Stur wird an der Regel festgehalten, daß die Gegenseite zur Reaktion auf schriftliche Stellungnahmen einen Monat Zeit hat.

Auch in der Justiz gibt es erheblichen Enthinderungsbedarf.

Kennt jemand weitere Barrieren in der Justiz? Hat jemand Ideen für deren Überwindung?

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.05.08, 11:30:25
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Wie wäre es damit?
Zitat:
- Offener Brief an das Bundesjustizministerium -

Hallo,

wie ich lese gab es letztes Jahr Maßnahmen zur Enthinderung für Blinde und Sehbehinderte in gerichtlichen Verfahren:

"Stärkung der Rechte von blinden und sehbehinderten Menschen im gerichtlichen Verfahren"
Quelle

Besonders notwendig scheint mir jedoch auch die Enthinderung für Autisten in allen Bereichen der Justiz zu sein. Die besondere Situation von Autisten besteht darin, daß wir in einem Gerichtssaal aufgrund der für uns verwirrenden Sinnesreize sehr stark leiden und gleichzeitig kaum handlungsfähig sind. Diese Situation ist vielleicht damit vergleichbar einem Nichtautisten zuzumuten seinen Gerichtsprozeß unter ständiger physischer Prügel, in einem Raum mit wirr farbig flackerndem Licht, mehreren immens lauten Geräuchhintergründen wie verschiedenen Radiosendern übereinander, sowie unregelmäßig schwankendem Fußboden zuzumuten.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß Autisten generell kaum Kraftreserven besitzen soetwas vielleicht mal einen Tag zu ertragen - wie das bei Nichtautisten der Fall wäre, die nur einmalig einer solchen Situation ausgesetzt wären - und vom Zwang sich solchen Situationen auszusetzen oft stark traumatisiert sind.

Momentan ist Autisten dementsprechend der eigenbestimmte Zugang zur Justiz systematisch versperrt. Dies verstößt jedoch gegen allgemeine Standards von Barrierefreiheit in staatlichen Stellen:

"Es ist immer die Lösung zu wählen, mit der möglichst viele behinderte Menschen eine Einrichtung alleine nutzen können, so dass z. B. ein blinder Mensch ein Gerät mit Hilfe einer akustischen Ausgabe alleine bedienen kann oder ein Rollstuhlfahrer einen Ort selbst erreicht und nicht getragen oder geschoben werden muss.

Ist dies wegen der Art der Behinderung oder der Art des Angebotes nicht möglich, so ist Barrierefreiheit nur dann gegeben, wenn der Anbieter die notwendige Hilfe bereitstellt (z. B. Bedienung der mobilen Rampe eines Busses) bzw. der behinderte Mensch die notwendigen Hilfsmittel oder Assistenzpersonen (z. B. Blindenführhund, Dolmetscher) mitnehmen und einsetzen darf."
Quelle

Auch Hilfsmittel oder Dolmetscher können Autisten nicht die Teilnahme an Gerichtsverfahren oder Schlichtungsverfahren ermöglichen. Daher ist der einzig sinnvolle Weg der Enthinderung in dieser Frage aus meiner Sicht als Vertreter der Interessenvertretung von Autisten (ESH) uns zu ermöglichen fernschriftlich Verhandlungen beizuwohnen.

Dazu wäre es denkbar, daß über eine sichere Datenverbindung ein schriftliches Protokoll der mündlichen Verhandlungen in die vertraute eigene Wohnung des Autisten übertragen wird. Eine andere Möglichkeit wäre die Schaffung eines speziellen Verhandlungstakts für Verhandlungen an denen Autisten beteiligt wären, der vorsieht, daß alle Beteiligten lediglich virtuell in einem schriftbasierten "Raum" wie einem Forum kommunizieren, wobei zu gewährleisten ist, daß der Takt der Antworten in angemessener Frist erfolgt, also in allen Fragen, die sonst innerhalb einer mündlichen Verhandlung erörtert werden würden die Antwort spätestens innerhalb 24h zu erfolgen hat. Das hätte zur Folge, daß es keine Verhandlung mehr zu bestimmten Terminen gäbe, sondern eine solche spezielle barrierefreie Verhandlung einen Beginn hat und für alle Beteiligten dann laufend neben dem sonstigen Alltag stattfindet.

Die zweite Option wäre aus meiner Sicht vorteilhafter, da Autisten manchmal längere Zeit brauchen, um eine Frage genügend zu verstehen und die Antwort zu formulieren. Dies gilt besonders für alle Inhalte die nicht logisch korrekt aufgebaut oder mehrdeutig sind. Zudem wäre diese Lösung wohl die kostengünstigere, wenn man von der Herstellung der Infrastruktur, am besten als freie Software, absieht.

Über diese Fragen möchte die ESH dringend in Dialog mit den Verantwortlichen treten um geeignete barrierefreie Zugangsverfahren für Autisten zur Justiz zu entwickeln, da die Enthinderung in der Justiz für Autisten ein Schlüsselthema ist und z.B. Rechte aufgrund des AGG nur so auch ohne abschreckende Hürden wahrgenommen werden können.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.05.08, 12:58:16
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cave
(Standard)

geändert von: cave - 20.05.08, 13:06:12

Ich habe schon so einige Sachen mit Gerichten zu tun gehabt, und fand das nicht problematisch, die Rechtsantragsstelle Amtsgericht Berlin Schöneberg hat mir immer alle Fragen beantwortet, und man kann Anträge entweder schriftlich als auch mündlich zu Protokoll geben, eine Klage vorm Sozialgericht lief nur auf dem Postweg, das Jobcenter bekannte seinen Fehler und seit dem ruht die Sache in Frieden.
20.05.08, 13:05:57
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Dann hast du wohl Glück gehabt. Wie lange dauerte der Schriftverkehr mit diesem Sozialgericht?

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.05.08, 13:30:41
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cave
(Standard)

Es handelte sich um die erste Klage nach meinem Widerspruch, 2 Monate dauerte das, ich gab schriftlich meine Klage mit Begründung, dann wurde das zum Jobcenter gesendet, was dann eine Anwort gab und so ging das hin und her, über das Gericht, das fand ich nicht schwer.

Auch sonst finde ich die klaren Vorgaben und Rituale der Gerichte eher angenehn.
20.05.08, 13:43:48
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Wie lange dauerte ein "hin und her"?

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.05.08, 15:50:33
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drvaust
(stillgelegt)

Zitat von cave:
Es handelte sich um die erste Klage nach meinem Widerspruch, 2 Monate dauerte das, ich gab schriftlich meine Klage mit Begründung, dann wurde das zum Jobcenter gesendet, was dann eine Anwort gab und so ging das hin und her, über das Gericht, das fand ich nicht schwer.
Das war keine Gerichtsverhandlung, sondern nur eine Klärung über das Gericht. Die Klage war schon eingereicht, der Gegner wurde zur Stellungnahme aufgefordert und es kam zu einer Einigung ohne Prozess. Sozusagen ein verschärfter Wiederspruch mit angedrohter Gerichtsverhandlung, der über das Gericht lief. Wenn der Gegner nicht einlenkt, kommt es anschließend zum Prozess, mit den oben erwähnten Problemen.
20.05.08, 16:18:06
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Falls das einigen unklar sein sollte: Der Text oben ist bisher nur ein Entwurf, wenn jemand Änderungsvorschläge hat, her damit.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
20.05.08, 23:06:50
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uppsdaneben
(Autistenbereich)

Ich kann dein Problem nicht verstehen.

Bei meinem letzten Rechtsstreit verlief praktisch die gesamte Kommunikation schriftlich, auch mit meinen Anwälten. Lediglich selten sprach ich mit den Anwälten und meist war dies auch deutlich schneller.

Weil ich anwaltlich vertreten war, hätte ich auch nicht vor Gericht erscheinen müssen.

Dass Termine gesetzt werden, ist notwendig, weil sonst eine Seite alles verschleppen würde, bis die andere Seite müde geworden ist.
21.05.08, 15:05:03
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Schön, wenn du alles über den Anwalt geregelt hast, es geht hier aber um Fälle in denen das nicht sinnvoll ist, in denen es anzuraten ist, daß ein Autist selbst am Verfahren teilnimmt. Wie schon zitiert definiert sich ja Barrierefreiheit auch danach, ob ein eigenständiger Zugang existiert. Solange es mündliche Verhandlungen vor Gerichten gibt überzeugt mich deine Argumentation nicht.
Zitat von uppsdaneben:
Dass Termine gesetzt werden, ist notwendig, weil sonst eine Seite alles verschleppen würde, bis die andere Seite müde geworden ist.

Was laut meinem Vorschlag ja nicht mehr funktionieren würde als in einer mündlichen Verhandlung, in der auch nicht jeder unendlich lange redet.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
21.05.08, 15:50:55
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Da nur die üblichen "Es gibt doch gar kein Problem"-Kommentare kamen, die ignorieren, daß es eben doch ein gravierendes Problem gibt, habe ich es jetzt mal so losgeschickt.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
22.05.08, 20:30:44
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Gast
(Gastzugang)

Beispiel Diskriminierung in Verfahren im Zivilrecht durch Anwaltszwang...


Durch Wegfall der "Alltagshilfe" kam es bei mir (Diagnose AS und ADHS) zu massiven Problemen mit der Alltagsorganisation. Laut ärztlichen Gutachten kann allenfalls eine Abnahme der Alltagsbelastungen meinen Gesundheitszustand verbessern.
Es gab eine Klage vor dem Landgericht, wo ein Anwalt (zwangsweise) beauftragt wurde. Kurz danach kam es zu einer Verhandlungsunfähigkeit verbunden mit totalem Verdienstausfall bei mir.
Verhandlungsunfähigkeit und Einkommenslosigkeit wurden dem Gericht und dem Anwalt mitgeteilt.
Zum Einen forderte das Gericht Stellungnahmen von mir persönlich an, die aber dann als unzulässig wieder abgelehnt wurden, da ich keine Anwaltszulassung habe.
Allerdings durch meine Behinderung war ich nicht in der Lage, einen Anwalt aufzusuchen. Telefonate mit Anwälten ergaben bezüglich Prozesskostenhilfe folgende Aussagen "Eine Anwaltskanzelei ist ein Wirtschaftsunternehmen und bei schwierigen Sachverhalten sollte man sich einen jungen Anwalt suchen, der Geld braucht und bereit ist quasi umsonst zu arbeiten"
Jedenfalls hat mein Anwalt während meiner Verhandlungsunfähigkeit sein Mandat niedergelegt und es ist ein rechtskräftiges Versäumnisurteil ohne Sachverhaltsprüfung erlassen und em Anwalt (nicht mir!) zugestellt worden.
Meine Mitteilung (Kopie der Verhandlungsunfähigkeit) an das Landgericht war ja wegen Anwaltszwang unzulässig!
Vom Urteil erfuhr ich erst als meine verbleibende persönliche und finanzielle Integrität dur Pfändungen und Gerichtsvollzieherbesuche ruiniert war.
Parallel hatte ich aber noch ein weiters Verfahren vor dem Amtsgericht, wo ebenfalls das obige von mir Attest eingereicht worden ist.
Das Amtsgericht fragte jedoch beim Arzt nach und setzte das Verfahren aus.Weiter wurde beim Familiengericht angeregt, die Voraussetzungen für eine rechtliche Betreuung zu überprüfen.
Das Familiengericht kam nach Einholung eines Gutachtens zu der Erkentnis, dass durch das Aspergesyndrom nicht die freie Willensbildung beeintächtigt , sondern "nur" Hilfe im Alltag notwendig ist.
Das Zivilgericht hat laut Familiengericht die Option, das Verfahren weiter ruhen zu lassen oder aber einen Prozesspfleger zu bestellen.

Zumindest sehe ich hier eine Grundrechtsverletzung wegen meiner Behinderung durch das Landgericht und durch den Anwalt als Organ der Rechtspflege aufgrund der Regelungen des "Anwaltszwanges" und der dadurch ausgelösten formellen Zwangsvollstreckungsmassnahmen

mfg Gast
10.07.08, 13:39:49
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