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Thema: AGG im Berufsleben - mittelbare Benachteiligungen (http://autismus-ra.unen.de/topic.php?id=1717)


Geschrieben von: 55555 am: 15.05.08, 10:25:18
Zur Veranschaulichung dessen, was eine mittelbare Benachteiligung im Berufsleben allgemein darstellt zunächst dieses Zitat:
Zitat:
Eine mittelbare Benachteiligung ist gegeben, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen, es sei den, sie sind gerechtfertigt (§ 3 Abs. 2). Die Benachteiligung erfolgt gerade nicht aufgrund eines in § 1 genannten Benachteiligungsgrundes, sondern ist vielmehr auf neutrale Kriterien zurückzuführen, wie z.B. auf Teilzeitbeschäftigung. Die Vorschriften wirken sich aber bei einer Personengruppe, die zumindest eines der in § 1 genannten Merkmale aufweist, in benachteiligender Weise aus. Da Teilzeitbeschäftigte überwiegend Frauen sind, kann eine Regelung zu Teilzeitbeschäftigung bei Frauen zu Benachteiligung führen. Es geht bei der mittelbaren Diskriminierung nicht darum, Personen Benachteiligungen zuzurechnen, für deren Entstehung sie nicht verantwortlich sind. Sinn und Zweck dieses Verbots ist es, zu verhindern, dass aus sozialen Ungleichheitslagen Profit gezogen werden kann (Schiek 2007). Es gibt verschiedene Gründe, warum vor allem Frauen in Teilzeit beschäftigt sind, für die nicht der einzelne Arbeitgeber verantwortlich gemacht werden kann. Es ist aber ein legitimes Ziel von Antidiskriminierungsrecht, dafür Sorge zu tragen, dass einzelne Arbeitgeber aus der Teilzeitbeschäftigung von Frauen keine Vorteile ziehen können.

[...]

Eine mittelbare Diskriminierung liegt dann nicht vor, wenn ein sachlicher Grund vorliegt und dieser geeignet, erforderlich und angemessen ist, also dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprichtt. Das AGG enthält keine Definition, wann ein sachlicher Grund vorliegt. Vielmehr muss im Einzelfall geprüft werden, ob der vorgetragene Grund einen sachlichen Grund darstellt. Dabei ist die Intention des AGG zu bedenken, nämlich Diskriminierungen zu unterbinden. Diese Bemühen würde unterlaufen, wenn auch die einfachsten Gründe akzeptiert würden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein sachlicher Grund gegeben ist, wenn er auf einleuchtenden Erwägungen beruht und gegen keine verfassungsrechtliche Werteentscheidung verstößt. Das Einsparen von Kosten genügt diesen Anforderungen jedenfalls nicht (Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert, § 3, 2007).

Quelle

Der Gesetzestext lautet wie folgt:
Zitat:
§ 3 Begriffsbestimmungen

[...]

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

Quelle

Auch Autisten können im Berufsleben mittelbar benachteiligt werden, etwa indem ohne zwingende Erfordernis Anforderungen verlangt werden, die Autisten oft schlecht erbringen können. Das betrifft z.B. mittelbare Benachteiligung von Autisten durch ungerechtfertigte Überbetonung von lautsprachlicher Kommunikation.

Ein weiteres Zitat in Bezug auf einen konkreten Fall, der zudem veranschaulicht, daß eine Rechtsprechung zum AGG noch in der Entwicklung begriffen ist:
Zitat:
Das Arbeitsgericht übersieht, dass es bei der Berücksichtigung der Deutschkenntnisse als Einstellungskriterium um eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs.2 AGG geht. Im Einzelnen verweise ich hierzu auf meine Urteilsanmerkung in der Zeitschrift Arbeit und Recht (AuR), 2008, S.112f (Heft 3).

Die mangelhaften Deutschkenntnisse sind nur dem Anschein nach ein neutrales Kriterium, tatsächlich sind überproportional häufig Bewerber nichtdeutscher Herkunft davon betroffen. Gemäß § 3 Abs.2 AGG kommt es deshalb darauf an, ob sachliche Erwägungen es rechtfertigen, auf die Deutschkenntnisse des Bewerbers abzustellen, ob also der zu besetzende Arbeitsplatz besondere Deutschkenntnisse erfordert. So wird eine Bürotätigkeit bessere Deutschkenntnisse erfordern als eine Tätigkeit am Bau. AGG nix schwer, muss Gericht aber schon bissle anstrengen.

Quelle

Somit müßte für jede Tätigkeit, die ein Autist ausüben will einzeln geprüft werden, ob z.B. lautsprachliche Kommunikation für diese in einem höheren Maße erforderlich ist. In etlichen Bereichen dürfte das nach meiner Einschätzung nicht der Fall sein, da die Alternative einer schriftlichen Kommunikation keine all zu große Schwierigkeit darstellen dürfte.