Vielen Dank für Dein ausführliches Gefrage!
So, jetzt wirds etwas unübersichtlich mit dem Zitieren, ich versuch's mal:
Sie spricht, im Gegensatz zu ihrer Schwester, die kein Wort sagt, teilweise sogar sehr viel,
Das "kein Wort sagen" ist wörtlich zu nehmen oder eher metaphorisch gemeint?
Also ihre Schwester sagt kein Wort. Sie konnte in frühester Kindheit mal ca. zehn Wörter sagen glaube ich, aber das ist verloren gegangen. Sie gibt natürlich Töne und Geräusche von sich, aber sie "spricht" eben nicht. Bei ihr wurde aber kein Autismus, sondern eine geistige Behinderung diagnostiziert.
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Meine Tante hat ihre Selbstständigkeit aber schon früh gefördert, sie kann z.B. problemlos mit dem Zug von München zu uns kommen, bis vor die Haustür,
Weswegen mußte diese Fähigkeit vielleicht gefördert werden? Was ist anders als bei durchschnittlichen Mitmenschen?
Gefördert in dem Sinne, dass man es ihr eben genauer und öfter erklären muß, als anderen Menschen. Außerdem ist sie ab und an abgehauen, trotzdem wollte meine Tante, dass sie alleine unterwegs sein kann.
Auch schreit sie manchmal rum, wenn ihr was nicht paßt, und schimpft fremde Menschen auf der Straße an. Wenn sie umplant, und zum Beispiel erstmal einen Kaffe trinken gehen möchte, man aber vorher eine Zeit ausgemacht hat, wann man sich wo trifft (was sie meistens auch einhält) ruft sie nicht an, sodaß oft Sorge herrscht, wo sie nur bleibt. Sie hat dann auch keine Vorstellung davon, warum man sich gesorgt hat, wenn man es ihr erklärt.
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besteht auch immer darauf, Sachen allein tun zu können.
Warum besteht sie darauf? Hindert sie etwas oder jemand daran?
Das weiß ich eben nicht. Eigentlich wird sie nicht gehindert, die Sachen, die sie kann, auch allein zu tun, im Gegenteil. Trotzdem betont sie bei jedem Telefonat, dass sie Kaffe trinken war, weil sie das ja alleine kann, und will immer den Tisch abräumen, weil sie das alleine kann. Manchmal möchte es eben der Mann meiner Tante machen, wenn es z.B. schnell gehen muß, und das regt sie dann total auf.
Das empfindet sie wohl schon als Hinderung, oder als Absprechen ihrer Fähgkeiten. ??
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Denn alles, was sie alleine tun kann, soll sie auch alleine tun, wenn sie nicht ihre Mutter besucht sondern in diesem betreuten Wohnen ist, geht sie fast täglich Kaffee trinken, Pommes essen oder schwimmen.
Weswegen ist sie im betreuten Wohnen? Was kann sie scheinbar nicht alleine?
Entschuldige, ich bin mir nicht mehr sicher, ob es sich um betreutes Wohnen, oder doch ein Behindertenheim handelt. Es geht um diese Einrichtung:
http://www.evbz-steinhoering.de/WH/wohnbereiche.htm
Sie könnte sich z.B. nie alleine um die Organisation einer Reise kümmern, hat keine Ahnung was Behörden, Ämter und Konsulate sind (das Beispiel fällt mir grade ein, weil sie ja mindestens einmal pro Jahr nach Algerien fliegt), sie könnte sich insofern nicht um sich kümmern, als sie keine Ahnung von einkaufen hat (also selbstständig, wenn sie mit Zettel geschickt wird holt sie meist das richtige), nicht kochen kann, und, alleine, wohl wirklich nur von Chips und Pommes leben würde.
Sie ist im betreuten Wohnen, weil ihre Mutter mit ihr überfordert ist. Allerdings hätte sie sie trotzdem gerne bei sich, und ist so in einem ständigen Gewissenskonflikt. Meine Cousine ist schon aus mehreren Heimen rausgeflogen, bzw. wurde gar nicht erst angenommen, weil sie zu kompliziert ist, die anderen terrorisiert, "Unruhe in die Gruppe bringt" (nicht meine Formulierung), manchmal Anfälle mit rumgeschreie hat, oder auch haut, wo wir sie am Telefon grade so beruhigen können, aber sonst kaum jemand.
Außerdem, neben der persönlichen Überforderung, hat meine Tante die Befürchtung ihr zuhause nicht gerecht werden zu können, denn in dem "Heim" (wenn es denn eines ist) hat sie eine "Arbeit", kann handwerklichen und künstlerischen Interessen nachgehen und ist "selbständig".
Das sind aber alles Dinge, die man sich als durchschnittlicher Mitmensch (gute Formulierung
) wünscht, bzw. für gut befindet. Ob es für meine Cousine ein schönes Leben ist, weiß ich nicht.
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Krach und Lärm sind für sie dermaßen unerträglich, dass sie jedes Silvester in Algerien, bei unseren Verwandten verbringt. Allein die Anwesenheit von Luftballonen in einem Zimmer macht es für sie unbetretbar.
Wie äußert sich das? Was passiert, wenn Sylvesterlärm für sie "unerträglich" ist
Darauf haben wir es nie ankommen lassen (ihr schreien und weinen, wenn sie nur einen Böller hört, reicht dicke). Aber wenn jemand zu laut mit dem Geschirr klappert, rast sie in die Küche und schreit "Nicht so laut!", wenn sie ein Gewittergrollen hört, verkriecht sie sich im Bett, komplett unter der Decke, wenn ich mit meiner anderen, kleinen Cousine zu laut rumtobe (selbst wenn zwei Türen zwischen uns verschlossen sind) kann es passieren, dass sie heulend und schreiend ins Zimmer gerannt kommt, weil wir zu laut sind.
Meine Tante dachte, als meine Cousine noch ein Kind war, dass sie sie abhärten könnte, gegen die Lärmempfindlichkeit, und hat eine Spielzeugpistole gekauft, hat ihr dann erklärt, dass sie es mal so versuchen wollen, vielleicht wäre der Lärm dann nicht mehr so schlimm für sie. Meine Cousine hat sogar zugestimmt, aber als ihre Mutter gesehen hat, wie blaß sie geworden ist, am ganzen Körper gezittert hat, hat sie es doch nicht übers Herz gebracht. Gott sei Dank.
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Sie würde am liebsten den ganzen Tag nur naschen, wenn sie zu mittag gegessen hat geht sie häufig aufs Klo und spuckt.
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Allerdings ist sie trotzdem eher schlank.
Kotzt sie gezielt von ihr gewünscht oder weil ihr dann übel wird? Ist sie nur schlank oder untergewichtig?
Sie sagt, es "kommt von alleine", aber das kann ich nicht glauben. Sie hustet erstmal viel, und würgt und räuspert sich, bis der Würgereflex eintritt.
Untergewichtig ist sie nicht, überhaupt nicht.
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das mit dem Kuchen war nur ein Beispiel, das so konkret zwar auftritt, aber das generelle Problem verdeutlichen sollte: einfach alles gestatten, oder eben doch versuchen zu korrigieren.
Ich würde zu etwas Drittem raten: Laßt ihr Eigenheiten, erkennt diese an, aber wenn es euch stört, daß sie Essen verschwendet, dann sagt das auch so statt euch über sie zu erheben und Korrektur zu betreiben. Wie reagiert sie, wenn ihr jemand sagt, daß ihn etwas an ihrem Verhalten stört?
Das sagen wir ihr ja, ich kann nicht zählen, wie oft ihre Mutter und wir ihr versucht haben klarzumachen, warum das mit dem Essen verschwenden nicht gut ist. Sie würde auch am liebsten jeden Tag beim Chinesen essen, aber meistens läßt sie mehr als die Hälfte stehen. Nur, wenn man ihr beim nächsten Mal versucht zu erklären, warum man jetzt eigentlich nicht nochmal essen holen möchte, dass sie eh kaum anrührt, dann ist sie jedesmal der Überzeugung, dass sie es DIESMAL aufessen wird.
Wenn man ihr sagt, dass einen etwas an ihr stört, versteht sie das nicht. Zumindest habe ich den Eindruck. Wie es in ihr aussieht, weiß ich nicht. Sie versteht auch oft nicht, warum man sie etwas fragt, was SIE weiß, zum Beispiel wieviel Uhr es ist, und ist dann genervt. Ich habe das Gefühl, sie versteht dann nicht, warum man es nicht selbst weiß. Als ob kein Unterschied zwischen ihr und anderen bestünde. Wenn man ihr sagt, warum einem das und das an ihrem Verhalten nicht gefällt, dann kommt meistens gar nichts, oder, dass es ihr aber gefalle. Was will man dazu sagen?
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Die Frage ist, und das können wir nicht beantworten, wie das auf einen Autisten wirken kann. Ob, welche Alternative auch immer, Sinn haben kann.
Ich würde meine, daß man das nicht allgemein festlegen kann. Autisten haben unterschiedliche Persönlichkeiten, Situationen sind unterschiedlich.
Das ist richtig, aber trotzdem habe ich die Hoffnung, dass Menschen die über mehr autistische Züge verfügen, als ich, besser verstehen könnten, warum manches bei ihr so ist wie es ist, und was in gewissen Situationen helfen kann. Zumindest wollte ich es nicht unversucht lassen.
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Was wären das beispielsweise für Dinge in denen ihr den Eindruck habt ihr fehle abstrakte Denkfähigkeit?
Das ist schwer, ich kann jetzt tatsächlich kein greifbares Beispiel herauspicken. Ich weiß nur, dass immer, wenn man versucht ihr etwas zu erklären, was über "wenn Du Musik hören willst, mußt Du diesen Knopf drücken" und ähnliches hinausgeht, sie nicht "mitkommt". Dass sie, wenn sie in der linken Hand ein volles Glas hat, und am linken Arm die Uhr, sich dann den Inhalt des Glases über die Bluse kippt, wenn sie auf die Uhr schaut. Ah doch, eine Sache fällt mir ein, weiß nicht ob das ein sehr geeignetes Beispiel ist, aber ich gebe es mal
Und zwar hat sie mal eine Musikkassette gehört, die am Anfang sehr leise bespielt war, und später normal. Da sie dann am Anfang natürlich sehr laut aufgedreht hat, um etwas zu hören, ging plötzlich der Krach los, als es an eine Stelle kam, die in normaler Lautstärke aufgenommen war. Daraufhin meinte sie zu meine Vater, der Kassettenspieler wäre kaputt, mein Paps hat ihr die Sache ganz langsam erklärt, sie hat ihn nur angesehen und gemeint "Der Kassettenspieler ist kaputt."
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Nur dieser Eindruck sie würde das praktisch Mögliche nicht erfassen? Ist sie zuhause aufgewachsen? Seit wann wird sie "betreut"?
Ja, sie war bis vor ca. 8 Jahren immer zuhause. Dann war sie zuerst in einem anderen "Heim" (eher ein kleines Dorf, in dem sie in einer Gruppe, ähnlich einem Familienverband, gewohnt hat, sich dort aber nie wohl gefühlt hat, bis ihre Mutter sie wieder raus zu sich genommen hat), dann mehrere Testläufe in diversen Häusern und nun in Steinhöring.
Hab gestern in einem Text etwas gelesen, was ziemlich genau mein Problem trifft, ich glaube der Text war sogar hier von Dir verlinkt, 55555, ich zitiere:
"Zum anderen wird aus der Erkenntnis, dass die Handlungen autistischer Menschen subjektiv sinnvoll sind, oft die Konsequenz abgeleitet, den wie immer gearteten Handlungsabläufen gegenüber tolerant zu sein, was damit identifiziert wird, die Bedürfnisse der Person zu achten und das Gefühl stärkt, eine gute Fachkraft zu sein. Diese Position ist geradezu zynisch, da sie die Lebensgeschichte und die Lebensbedingungen wie die individuelle Situation der Betroffenen negiert, unter denen diese Verhaltensweise autokompensatorische, ja sogar lebensnotwendige funktionen gewinnen können, auch wenn sie in ihrer Folge, wie ich das schon oft erleben mußte, das Leben der Betroffenen gefährden." (- Georg Feuser, "Autismus: Eine menschenmögliche und menschliche Lebensform", 02/2005, S. 11).
Das stellt ziemlich genau das Problem dar, was ich habe. Soll man "Handlungsabläufe" tolerieren, (zumindest solange sie der Betroffenen Person nicht schaden, und das tun sie nicht, soweit ich das beurteilen kann), oder nicht? Was ist die Alternative, die man einführen kann, ohne zu "gängeln"?
Denn meine Cousine fühlt sich anscheinend schon gestört und ungeachtet, wenn man aus Zeitgründen das Tischabräumen übernehmen will.