eraser
(Autistenbereich)

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Ach, wenn ich nicht so ein wahnsinnig unhöflicher Mensch wäre, würde ich auch jeden Tag drei Stunden mit meiner Mutter telefonieren. Davor würde ich vier Stunden lang überlegen, was ich sage.
Ich habe aber früher schon auf die Frage "Na, wie war es in der Schule?" mit Schreianfällen reagiert. Das hat mich gerettet.
Ich bitte nur zu bedenken, dass jeder Mensch anders ist. Vielleicht ist Gabriele so eine ganz liebe und Svenja ist so eine ganz unselbstständige und die beiden kommen gut miteinander aus. Angenommen, Gabriele überbemuttert ihr Kind und Svenja mag das. Dann lassen wir sie doch so bleiben, wie sie sind.
Wir haben ja schon irgendwie zum Ausdruck gebracht, dass es der Selbstständigkeit von Autisten zuträglich ist, sie auch mal in den Fluß zu schubsen, damit sie schwimmen lernen.
Es ist die Entscheidung von Gabriele und es ist die von Svenja.
Svenja kann ausbrechen. Svenja kann sagen: "Lass mich doch mal in Ruhe mein Leben leben, misch dich nicht immer ein!"
Dazu ist sie aber nicht in der Lage. Es ist ein Abhängigkeitsverhältnis.
Ob das gut oder schlecht ist, wissen wir nicht, weil wir nicht wissen, wie viel Hilfestellung Svenja benötigt. Das weiß am ehesten Gabriele, die mal über ihre "Glucken"- Tendenz nachdenken kann.
Vielleicht kommt sie dann zu dem Ergebnis, dass Svenja in den nächsten Jahren lernen muss, kleine Probleme allein zu lösen.
Bei existentiellen Problemen kann man ihr ja weiter "unter die Arme greifen". (lustige Redewendung)
Oder sie weigert sich, das Abhängigkeitsverhältnis zu beenden, weil sie uns nicht glaubt, dass Autisten Selbstständigkeit lernen können.
Das wäre fatal, weil - ohne jetzt jemandem zu nahe treten zu wollen - Eltern nicht ewig leben.
Oder Svenja ist eben wirklich nicht in der Lage, ohne Hilfestellung auszukommen und Gabriele schätzt das richtig ein.
Was mich verwirrt, ist das Bild eines Menschen, der sich nicht sprachlich ausdrücken kann, aber jeden Tag drei Stunden telefoniert.
Das passt doch gar nicht zusammen.
Ich habe auch irgendwie den Eindruck einer jungen Frau, die eine Art Savant ist, der sich die Schuhe nicht selbst binden kann, aber den kompletten Mozart auswendig rückwärts spielt. So jemand würde auch nicht telefonieren.
Darum vermute ich, dass das tägliche Telefonat ein Ritual ist und mit Selbstständigkeit oder Unselbstständigkeit nicht viel zu tun hat, zumal auch immer dieselben Sachen geäußert werden.
LGE
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