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(Fettnäpfchendetektor)
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Seit einiger Zeit mache ich mir darüber Gedanken wie man die widersprüchlichen und dadurch problematischen Maßstäbe dieser Zeit in einer neuen besseren Systematik überwinden könnte.
Auf der einen Seite sieht man heute ethnische Minderheiten, die sich weitgehend als genetisch-kultureller Komplex fortpflanzen. Religiöse Minderheiten, die sich meist zu großen Teilen kulturell durch das Elternhaus fortpflanzen (aber bei weitem nicht nur!). Diskriminierungen aufgrund des biologischen Geschlechts. Diese Gruppen gelten als akzeptiert, hier wird der Diskriminierungsbegriff inzwischen weitgehend korrekt angewandt.
Auf der anderen Seite hat man eine Gruppe der "Behinderten" konstruiert, die sich nach allgemeinem Verständnis bis heute über das medizinische Diagnosenverzeichnis bestimmt. Aber auch wenn allgemein in der Bevölkerung davon ausgegangen wird die Medizin sei auch in ihren Grundannahmen eine Wissenschaft, so fehlen gerade dort in massiver Weise entsprechende Fundamente. Festlegungen irgendwelcher Gremien ersetzen nämlich nie eine objektive wissenschaftliche Herangehensweise. Diese Art der Grundlagenfindung erinnert eher an Religion.
Es ist ziemlich klar, daß der Behinderungsbegriff von der Medizin gelöst werden muß. Konsequent wurde das jedoch bisher nicht angegangen, auch in der UN-Behindertenrechtskonvention nicht.
Auch nicht neu ist, daß sich bei Vergleichen peinliche Fragen aufdrängen. Wenn ein Mensch mit "schwarzer" Hautfärbung in einer Gesellschaft aufgrund dieses Merkmals diskriminiert wird, dann wird das bisher in einer ganz anderen Kategorie beschrieben als die Diskriminierung von Menschen mit "abstoßendem Gesicht", wofür es eine entsprechende medizinische Diagnose gibt.
Kernpunkt der verschiedenen Maßstäbe scheint die Tatsache zu sein, daß behinderte Bevölkerungsgruppen sich nicht in einer so direkten Weise fortpflanzen, wie man es von anderen diskriminierten Gruppen her kennt. Das mag sich aus der Rudelfixierung von NA erklären und daraus, daß diese teils als Familie agierenden Gruppen in dieser Welt mehr Chancen haben sich durch Widerstand Gehör zu verschaffen.
Der Bereich von "Behinderung" ist die weitestgehend kulturunabhängige Diversität menschlicher Gesellschaften in Hinsicht unfreiwilliger Personeneigenschaften. Die Medizin betrachtet diese Diversität rein nach dem Maßstab eines erdachten idealen Menschenbildes. Ja, sie erkennt nicht, daß es sich um eine Diversität handelt, die auch das natürliche Funktionieren menschlicher Gesellschaften bedingt. Diese Wirkmechanismen fallen jedoch nicht in ihren Kompetenzbereich und werden daher weitgehend ignoriert.
Ähnlichkeiten von "Behinderung" gibt es insofern eher zu "Diskriminierung von Frauen" (welche jedoch eine Sonderstellung einnehmen, da sie bisher noch für die Fortpflanzung jeder Gesellschaft nötig sind) und "Diskriminierung sexueller Minderheiten" (deren Lobbys im Zuge der allgemeinen heute als weitgehend selbstverständlich geltenden Folgen der "sexuellen Revolution" kräftigen Rückenwind hatten).
Hingegen fehlt heute weitgehend das Verständnis dafür, in welchem Maße die Gesellschaft auf dem Zusammenwirken verschiedener Kräfte basiert. Minderheitenperspektiven düngen die Ansichten der gesamten Bevölkerung. Verschiedenheit regt das Denken an, erzeugt produktive Reibung. Die Rolle unfreiwilliger Festlegungen in der Natur wird bis heute weitgehend nicht verstanden, man rätselt z.B. noch heute, warum Tiere nicht überwiegend funktionale Zwitter sind, sondern zwei festgelegte Geschlechter haben, obwohl dadurch nach moderner Logik ein Nachteil entsteht, indem die mögliche Reproduktionsrate nur halb so hoch ist.
Als zentral kann man hierbei den Psychosektor betrachten, in den sich die Medizinreligion (der Schlüssel zur Verbesserung der Welt liegt in der Änderung der Einzelperson) in den letzten Jahrhunderten parallel zur Verlagerung der Erwerbsarbeit hin zu geistigen Aufgaben immer weiter ausgebreitet hat.
Behinderung ist nun nach dem konsequent erfassten klassischen sozialen Modell eine spezielle Form der Diskriminierung gegenüber Personen mit den o.g. unfreiwilligen Personeneigenschaften. Da aber bisher hierfür als Grundlage das jeweils aktuelle Ergebnis medizinischer Gremienentscheidungen herangezogen wurde fehlt bisher auch eine systematische Definition, denn eine solche ist auf der Grundlage der Diagnosekataloge nicht denkbar, da diesen die wissenschaftliche Fundiertheit abgeht.
Es ist also nötig den Behinderungsbegriff von dem der "Krankheit" (objektive Definition und Ableitung daraus unbekannt) strikt zu trennen und an besten auch den Begriff der Krankheit von Seiten der Politik komplett aufzugeben und durch eine bessere unproblematischere Herangehensweise zu ersetzen. Im Rahmen dessen sind Fragen nötig wie die, ob Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung nicht objektiv gesehen eine Behinderung bedeuten würde und ob Schwangerschaft nicht ebenfalls eine Personeneigenschaft ist, an der sich die Diskriminierungsform Behinderung festmachen kann.
Wenn hier Widerstände wahrscheinlich sind, dann aus dem Grund, daß Behinderung bis heute mit Krankheit in Verbindung gebracht wird und dieser Krankheitsbegriff an sich in diskriminierender Weise aufgrund kultureller Wertigkeiten angewendet wird und somit selbst ein diskriminierender Begriff ist.
Der neue Behinderungsbegriff muß weiterhin den Anspruch auf Universelles Design oder notfalls Barrierefreiheit im Einzelfall oder notfalls noch minderwertigere "Hilfeansätze" als gesellschaftliche Verpflichtung fortführen. Dabei muß künftig selbstverständlich sein die Maßgabe der echten Interessenvertretungen der jeweiligen einzelnen Bevölkerungsgruppe umzusetzen, statt irgendwelche Fremdmeinungen.
Und nun frage ich nach euren Ideen zu einer objektiven Definition von Behinderung oder vielleicht auch ganz anderen Ansätzen dieses Thema diskriminierungsfrei und wertneutral zu beschreiben.
Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
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