Bitte tut mir nichts an

, aber ich halte etwas vom ersten Eindruck.
Ich habe mühsam erlernt, erlernen müssen, Menschen schnell einschätzen zu können. Wenn ich in eine fremde Gesellschaft komme oder in einer fremden Situation nicht alleine klarkomme, muß ich die Anwesenden schnell einschätzen. Wen könnte ich um Hilfe bitten, wer würde mir helfen. Wen muß ich meiden, wer könnte mir gefährlich werden. Wer ist der Chef, wer ist für bestimmte Dinge zuständig. Ich kann mich nicht locker vorarbeiten, muß den richtigen Leuten Fragen stellen, die evtl. blöd wirken.
Dabei habe ich erstaunliche Fähigkeiten entwickelt. Ich weiß meistens nicht warum, aber habe oft den richtigen Eindruck, auch wenn alle Anderen anderer Meinung sind. Vermutlich liegt das auch daran, daß ich Äußerlichkeiten und Stimmungen schlecht erkenne, also nicht von der Kulisse getäuscht werde.
Man muß den ersten Eindruck aber auch nur als ersten Eindruck behandeln. Jeder hat gute und schlechte Zeiten. Um einen Menschen halbwegs beurteilen zu können, braucht man viele Eindrücke und muß die Hintergründe kennen. Eigentlich kann man keinen Menschen endgültig beurteilen.
Der erste Eindruck ist keine Wahrheit, wohl aber sehr oft eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Denn der erste Eindruck wirkt sich auf unser eigenes Verhalten aus, und unser eigenes Verhalten wirkt sich auf den anderen aus.
Dem stimme ich teilweise zu, der erste Eindruck ist nur eine vorläufige Einschätzung, kann aber der Wahrheit sehr nahe kommen.
Die Gefahr, daß mein Verhalten meinen Eindruck erzeugt, ist gering, weil ich wenig kommuniziere und mir wenig anmerken lasse. Ich versuche alle Menschen distanziert neutral zu behandeln.
Eine tyrannische Chefin kann zu Hause eine rührende Mutter sein - und umgekehrt.
Wenn meine Chefin auf Arbeit tyrannisch ist, habe ich auf Arbeit ein Problem mit ihr. Wie sie zu Hause als Mutter ist, spielt da erstmal keine Rolle. Erst wenn ich sie verstehen will, weil ich irgendwie mit ihr klarkommen muß, interessiert mich das.
Auf diese Weise können wir den anderen dazu bringen, unser Bild von ihm durch sein eigenes Verhalten zu bestätigen. Durch seine Reaktionen auf unser Benehmen macht sich der andere ungewollt zu genau dem Tollpatsch oder klugen Strategen, den wir in ihm sehen. So schnell werden Vorurteile Wirklichkeit."
Das stimmt.
Meistens ist jemand so wie er wirkt. Wer wie ein Idiot wirkt, kommt als Idiot am leichtestens durchs Leben. Dadurch entsteht ein Kreislauf, der dazu führt, daß der erste Eindruck oft richtig ist. Wirkt wie ein Idiot, wird in die Rolle eines Idioten gepresst, ist ein Idiot, also ist der erste Eindruck richtig. Manchmal ist der erste Eindruck aber auch völlig falsch, wer sich nicht an das Bild, das die Gesellschaft von ihm hat, anpasst, kann völlig anders sein.
Die Universität von Houston unternahm 1970 ein unfreiwilliges Experiment dazu. Da die Plätze zum Medizinstudium begrenzt waren, suchten sie in Tests die besten Bewerber heraus. Später stellte sich heraus, dass sie sich mit den Zahlen vertan hatten, und ein Teil der abgelehnten Bewerber wurde doch noch zugelassen. Das Resultat: Die anfangs abgelehnten Bewerber schnitten im Durchschnitt im Studium exakt ebenso gut ab wie die, die man gleich angenommen hatte. Sie schafften nicht nur ebenso gute Abschlüsse, sondern waren auch schon bei den ersten Prüfungen genauso gut.
Wenn diese Universität die Bewerber für ein Medizinstudium nach dem ersten Eindruck bewertet hatte, sollte man dieser Universität fernbleiben. Für ein Medizinstudium sind andere Kriterien als der Eindruck wichtig. Da war vermutlich der Test falsch.