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(Fettnäpfchendetektor)

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Zitat:
Wir sind alle krank. Zumindet, wenn es nach amerikanischen Psychologen geht. Die definieren immer neue psychische Störungen - von der Schüchternheit bis zum Jähzorn. Doch nun wird Kritik laut. Über die Folgen einer allgemeinen Pathologiesierung der Gesellschaft.
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In nicht einmal 50 Jahren hat sich die Zahl psychischer Störungen fast verdreifacht. Neben zweifellos sehr ernsthaften Krankheiten wie Depression oder Schizophrenie finden sich darin auch "schwacher Sexualtrieb" und "koffein-bedingte Schlafstörung". Immer mehr Alltagsprobleme werden also als psychische Störung deklariert.
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Das pikante an der Kritik ist, dass Frances und Spitzer selbst die dritte und vierte Fassung des DSM leitend verfasst haben - und daraus Tantiemen beziehen. Im Nachhinein übt Frances nun Grundsatzkritik: So sei die steigende Fallzahl bei Autismus, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und Bipolarer Störung ("Manische Depression") in den USA wohl auch unbeabsichtigte Folge von Veränderungen in den Krankheitsdefinitionen. Oder anders gesagt: Es fallen auch deshalb immer mehr Menschen unter die Kategorie "krank", weil sich die Kategorien verändert haben, nicht aber die Menschen.
"Es gibt eine Tendenz, Verhalten außerhalb eines enger werdenden Normbereichs zu pathologisieren und damit auch zu medikamentalisieren", sagt Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Mainz. Einige Fachleute wollen etwa auch "Internet-Sucht", "pathologischen Rassismus" oder die "Posttraumatische Verbitterungsstörung" in das Handbuch aufnehmen.
Dem DSM fehle es an wissenschaftlichen Grundlagen, kritisiert deshalb der Psychiatrie-Historiker Christopher Lane. Tatsächlich ist immer noch ziemlich unklar, was überhaupt eine "psychische Störung" ist, und wie sie sich von "normalen" psychischen Zuständen oder Verhaltensweisen unterscheidet.
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Die Überlegungen, im nächsten DSM auch "unterschwellige" Diagnosen aufzunehmen, also solche Fälle, in denen nur einige, aber nicht alle Symptome einer psychischen Störung vorhanden sind, sieht Wakefield deshalb mit Unbehagen. Das bedeute die "Pathologisierung der gesamten Bevölkerung".
Die Diskussion über psychische Krankheiten muss also früher oder später auch über Fachkreise hinaus geführt werden. Denn welches Verhalten wir als "normal" ansehen und welches als abweichend und behandlungsbedürftig, ist nicht allein eine wissenschaftliche Frage, sondern auch eine gesellschaftliche.
Quelle
Schön, daß einmal diese Selbstverständlichkeiten in einer Form bestätigt werden, die auch ignorante Eltern anerkennen könnten (so peinlich diese Autoritätshörigkeit andererseits auch ist und bleibt).
Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
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