christian_k
(Autistenbereich)
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geändert von: christian_k - 22.07.06, 23:54:51
Hallo,
das ist eine schwierige Frage. Da ich ausdrücklich gefragt wurde, schreibe ich wie es bei mir ist. Sorry, wenn das jetzt ein wenig von der urspünglichen Fragestellung abweicht. Mein eigener Fall scheint diese gängige Einschätzung zumindest nicht ganz zu bestätigen, deshalb schreibe ich auch, warum ich dennoch so diagnostiziert wurde und wie ich glaube, dass es mit den Unterschieden im Spektrum zusammen hängt.
Meine Diagnose lautet "Frühkindlicher high functioning Autismus (F84.0)".
Die beiden formalen Abgrenzungskriterien gegenüber AS sind ja Sprachverzögerungen und ein Beginn deutlich vor dem 3. Lebensjahr. Beides war bei mir der Fall, es gibt schriftliche Unterlagen, aus denen das eindeutig hervor geht. Folglich musste die Diagnose so lauten.
Vermutlich ist das aber bei vielen anderen schwieriger, wenn der Diagnostiker solche Belege nicht hat, woher soll er die Information bekommen ? Waren vor dem 3. Lebensjahr wirklich keine Symptome da, oder nur niemand , der sie dokumentiert hätte?
Das führte wohl dazu, dass man auf Erfahrungswerte zurückgreift ("sprachbegsbt und ungeschickt" -> AS). Ohne die Infos über meine frühe Kindheit wäre die Einordnung bei mir vielleicht schwierig geworden.
Bei den neuropsych. Tests und bei der Einschätzung durch den Diagnistiker (ADOS-Algorithmus) hatte ich Ergebnisse, die mich nicht am Rand des Spektrums erscheinen liessen, sondern deutlich weiter drinnen ( für die Diagnose AS wohl zu weit innerhalb).Ich wurde auch schon mehrfach von "Laien" auf Autismus angesprochen, wohingegen ich oft gelesen habe, dass viele Aspies so perfekt "schauspielern", dass es keiner merkt. Dazu bin ich nicht in der Lage. Das stützt wohl die Einordnung als HFA.
Motorische Schwierigkeiten habe ich, jedoch halte ich die nicht für besonders ausgeprägt. Mein kleiner Halbbruder scheint z.B. auch autistische Eigenschften zu haben, aber weniger ausgeprägt, dafür hat er mehr motorische Probleme (Ich HFA, er AS? Weis nicht, bisher keine Diagnose). Ein Kinderarzt schrieb damals, dass er sich nicht sicher sei, ob meine Probleme z.B. beim Laufen nicht nur durch ein zu hohen Gewicht bedingt gewesen wären. Ich denke über diesem Punkt wird man mich schlecht einordnen können.
Wie ihr geschrieben habt, schreibt man Menschen mit HFA typischerweise eher eine Intelligenz im "unteren Normalbereich" und eher schwache verbale Fähigkeiten zu. Das passt auf mich nicht. Der IQ Test war 132 dabei war der verbale Teil erheblich höher als der nonverbale. Über diesen Punkt möchte ich mit denen unbedingt noch einmal sprechen beim Nachgespräch, denn ein weit überdurchschnittlicher Verbal IQ und Sprachverzögerungen passen auf den ersten Blick natürlich nicht so gut zusammen. Meine eigene Vermutung dazu ist, dass ich die reine Fähigkeit zum sprachlichen Ausdruck immer sehr ausgeprägt hatte, jedoch Probleme, diese zur tatsächlichen Kommunikation zu nutzen. Das erlernen der Sprache ist bestimmt schwieriger und verzögert, wenn schon vorher die nonverbale Kommunikation nicht gut gelingt, als diese Hürde allergings irgendwann durbrochen war, konnte ich meine sprachlichen Fähigkeiten wohl nutzen und hatte im Grundschulalter dann eine sehr "exakte" und "formale" Sprache, ähnlich wie man es sonst bei AS für typisch hält. Das hat mir vermutlich geholfen, die Problematik ein wenig ausgleichen zu können, ansonsten hätte ich wohl deutlich mehr Probleme und wäre wohl weniger selbständig.
Die Überlegung "Sprache vs. Kommunikation" bringt mich auf einen Punkt, den ich für noch zentraler halte als die ganze soziale Problematik:
Die "exekutiven Funktionen", die auch laut dem Bericht eingeschränkt sind. Ich stelle mir das vor als den Komplex, mit dem man aus allen Möglichkeiten, die man hat, etwas zusammensetzt, was einen seinem Ziel näher bringt. Etwa das, was einer Fussballmannschaft, in der alle fit sind, schnell laufen, feste schiessen, gut Zielen usw. , dann wirklich das Tor ermöglicht.
Ich aber kann gut formulieren und dennoch schlecht Kontakt knüpfen, kann logisch denken, bekomme den Gegner beim Schach trotzdem nicht matt gesetzt, hatte ein sehr gutes Abi, war einem Studium aber bei weitem nicht gewachsen und habe Probleme, realistische berufliche Ziele zu erreichen.
Bei Autismus, gerade wenn es um die leichten Formen geht, wird oft der soziale Apsekt sehr in den Vordergrund gestellt. Für mich mindestens genauso wichtig und problematisch ist aber diese Unfähigkeit, seine (vielleicht besonderen!) Fähigkeiten ausserhalb der eigenen Innenwelt einzubringen. Wenn man das noch weiter zuspitzt, ist man bei einer (zugegeben etwas stereotypen) Vorstellung von LFA ( man kann z.B. ein Telefonbuch auswendig lernen, aber sich nicht alleine anziehen).
Andererseits scheint dies in der anderen Richtung des Spektrums (AS) nicht so das Thema zu sein, in Foren wird meiner Einschätzung nach viel mehr über Kontaktprobleme diskutiert und auch die typischen Selbsttests zielen deutlich mehr darauf ab.
Gruss
Christian
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