Ist es richtig, dass NA dieses Kosten-,Nutzendenken nicht zu 100%, aber vordergründig besitzen?
Gibt es deshalb so wenig Zivilcourage?
Das kommt natürlich auch auf den NA an, wie egoistisch bzw. altruistisch er ist, aber im allgemeinen ja.
Ich würd es aber nicht als vordergründig bezeichnen. Es ist eher wie etwas das tief verankert ist , quasi ein Bauteil eines Fundamentes. Selbstlose NA's sind selten und ein NA der in einem Bereich selbstlos ist (z.b. Zeit) kann in einem anderen Bereich sehr geizig sein (z.B. Geld) und umgekehrt. Aber grundsätzlich wägen NA's schon ab. Ich weiss nicht wie andere NA's das handhaben, aber ich persönlich wäge Situationen so gut wie immer ab (auch wenn das für andere vielleicht gar nicht so erscheint, da ich mit meiner Zeit relativ großzügig bin).
Gibt es deshalb so wenig Zivilcourage?
Ich glaub dass es sowenig Zivilcourage gibt liegt zum einen daran dass viele Menschen erstmal nur an sich denken (es gibt ja auch den Spruch: misch dich nicht ein in anderer Leute Angelegenheiten) und dann daran das Zivilcourage oft auch die Bereitschaft erfordert sich einer Risikosituation zu stellen (und das dann auch noch für andere) und man dafür desöfteren Ängste überwinden muss. Courage heißt ja Mut.
Dazu mal eine Episode die 3Wochen her ist. Ich denk sie veranschaulicht ganz gut den Kosten/Nutzen/Abwägfaktor sowie das Umschalten von Emotionen.
Ich bin in den Supermarkt um Flaschen zurückzugeben. Vor mir stand ein tätowierter Mann mit ein paar Bierflaschen. Am Pfandautomaten stand eine ältere türkische Frau die gerade ihre Flaschen einzelnd zurückgab. Sie hatte 2 große Taschen vollgefüllt mit Flaschen dabei.
Der Mann vor mir sagte relativ laut : "Immer diese Scheiß-Kanaken."
Das hat mich innerhalb von 1Sekunde so wütend gemacht (nicht nur der beleidigende Satzteil hat mich aufgeregt, sondern auch dass die Herkunft der Frau doch gar nichts mit dem Flaschenzurückgeben zu tun hat, sowie dass er echt so ne alte Frau beschimpft) dass ich sofort bereit gewesen wäre mich mit diesem Mann zu schlagen falls er mich weiter reizt(was sehr ungewöhnlich ist für mich).
Er war ungefähr meine Größe und ich hatte deshalb für mich schon abgewägt dass ich es drauf ankommen lassen kann.
Aber: wären es 3 muskelbepackte Skinheads gewesen hätte ich zwar auch irgendwas gesagt oder gemacht, aber nicht so energisch und respektlos unhöflich wie ich es dann tat!
Jedenfalls war ich sofort unter Adrenalin und hab den Mann angeraunzt. Während er sich umgedreht hat habe ich geguckt wie wir beide positioniert sind, ich habe bemerkt dass links neben mir im Regal schwere Flaschen stehen (für den Fall das ich eine Waffe brauche) und kombiniert wo wahrscheinlich der nächste Supermarktmitarbeiter ist.
Als der Mann dann etwas überrascht war dass ihn jemand so anraunzt (er hatte mich bis dahin nicht bemerkt da ich ja hinter ihm stand) war mir dann wiederum klar dass es wahrscheinlich zu keiner aggressiven Auseinandersetzung kommen würde (ich hab Angst in seiner Körperhaltung und Mimik gesehen) und das hat mich etwas beruhigt.
Ich hab dann einen etwas 2minuten langen Monolog darüber gehalten wie unmöglich er sich benimmt und das wars dann.
Nach 15 Minuten war ich dann fast wieder wie vorher, auch wenn ich mich noch 3Tage nach dem Vorfall irgendwie darüber hätte aufregen können.
Aber: Von einer 1,50m großen 45kilo schweren Bekannten würde ich fast schon erwarten bei so einem Vorfall nichts zu sagen (aus Selbstschutz).
Oder wäre es keine alte türkische Frau gewesen sondern nur ein junger türkischer Mann hätte ich wahrscheinlich auch nichts getan (auch wenn es mich immer noch aufgeregt hätte), dann hätte ich abgewägt dass der Beleidigte sich selbst helfen kann wenn er will.
Und auch meine Beteiligung war im Grunde sinnlos- ich hab es für mich getan, aber den Mann geändert hab ich wahrscheinlich nicht, insofern kann man gut gegen mein Verhalten argumentieren. Das ist bei Zivilcourage oft so.
Die Leute die sich nicht einmischen haben meistens alle irgendein Grund dafür (mal außen vor ob das ein trifftiger Grund ist oder nicht).
Das ist jetzt nur ein Beispiel dass sicher nicht alle Fälle von Zivilcourage bzw. dem Fehlen davon erklären kann, aber es gibt da sicher Gemeinsamkeiten zu anderen Beispielen.
Die letzten 2 Fragen kann ich nicht beantworten. Diese sind so komplex und auch für mich schwer erklärbar, da bin ich überfordert.
Als erstes würde mir Zeit verloren gehen für eine Übung, die für mich fragwürdig ist.
Ich unterhalte mich gern über bestimmte Themen und finde dann neue Gedankengänge sehr interessant, da sie mich in meinem eigenen Denken weiterbringen. Beim small talk habe ich dieses jedoch noch nicht festgestellt.
Ich befürchte, ich würde zweitens anfangen mich selbst zu verleugnen, Spaß am Denken gegen Oberflächlichkeiten tauschen, um besser integrierbar zu sein?
Inwieweit diese Überlegungen dann tatsächlich eintreffen kann ich auch nicht sagen, aber für NA's ist Small-Talk desöfteren sowas wie der Schlüssel zu einer Tür. Man benutzt den Small-Talk sozusagen um überhaupt zu einem wirklichen Austausch zu kommen. Eventuell liegt das daran das NA's ja keine homogene Masse sind sondern alle ihre Charakterdispositionen und Eigenheiten und Meinungen haben die sich sehr unterscheiden können. Vielleicht sehen es NA's es instinktiv als zu gefährlich an mit jedem sofort einen 100% authentischen Kontakt herzustellen (könnte ja sein dass man dadurch sofort in eine negative Situation involviert wird , zum Beispiel wenn man politisch extrem links ist und es stellt sich heraus der Gegenüber ist ein DVU-Wähler). Insofern ist Small-Talk ein beschnuppern, ein langsames herantasten das bei kleineren Unannehmlichkeiten dann ohne viel Involviertsein abgebrochen werden kann.