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Ruhezustand

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12.03.15, 16:49:07

Antares

geändert von: Antares - 12.03.15, 16:50:59

Das ist auch ein sehr interessanter Gedankengang hundeherz, die Unterscheidbarkeit dieser beiden Zustände von Außen.

- Ruhezustand der tatsächlichen Ruhe, das autistische Sein des wohl fühlens
- Funktionalitätszustand unter Stress

Mir ist der zweite Zustand auch sehr bekannt, auch beobachte ich ihn bei Vielen. Nach der Schulzeit, eigentlich erst mit meiner eigenen Familie dann lernte ich den ersten Zustand, den Ruhezustand für mich als Basis - Sein herzustellen. Dennoch finde ich es persönlich als Mutter wichtig den zweiten Zustand auch zu haben, denn auf diese Weise kann unter extremem Stress dennoch nach außen hin ruhig und besonnen gehandelt werden, wie es bei einer Familie sehr notwendig ist. Ohne den ersten Ruhezustand allerdings als Basis, würde der zweite Zustand vermutlich früher oder später zu einem Melt- oder Shutdown führen. Durch die Kernpunkte allerdings ist für mich der Ruhezustand wieder herstellbar.
12.03.15, 19:41:20

elf

ich kann das auch bestätigen, ich habe in den letzten jahren sehr darunter gelitten, daß mir niemand geglaubt hat, daß es mir wegen eines jetzt erst festgestellten vitamin-d-mangels so schlechtg ging. auf die außenwelt wirkte ich ausgeglichen und gut drauf, tatsächlich war ich vor lauter erschöpfung kein mensch mehr! eher ein roboter - kurz vorm stromausfall...
13.03.15, 01:07:48

drvaust

Zitat von Antares:
- Ruhezustand der tatsächlichen Ruhe, das autistische Sein des wohl fühlens
- Funktionalitätszustand unter Stress
Ich kenne diesen Funktionalitätszustand extremer. Das ging über Jahre, mehr oder weniger, ich hatte zunehmend nur noch funktioniert, mir war alles relativ egal, ich habe nur mitgemacht, hatte keine Lust mehr. In der Zeit störte mich nicht mehr viel, ich ärgerte mich kaum noch, ich war psychisch wenig verletzlich. Aber das hatte auch eine Gegenseite, nichts Gutes ohne das Schlechte. In der Zeit konnte ich mich kaum noch freuen, das Leben war langweilig und lästig, emotional tot. Zum Glück kam ich da wieder heraus (Das war keine Depression).
Zitat von Antares:
Dennoch finde ich es persönlich ... wichtig den zweiten Zustand auch zu haben, denn auf diese Weise kann unter extremem Stress dennoch nach außen hin ruhig und besonnen gehandelt werden, ...
Diesen Notfall-Zustand kenne ich auch. Wenn in einem Notfall alle panisch durcheinander sind, werde ich ruhig und mache, was gemacht werden muß. Dann übernehme ich die Führung und alle folgen mir, obwohl ich sonst garnicht führen kann.
Zitat von Antares:
... Nach der Schulzeit, ...
Das scheint bei Autisten häufig zu sein. Am Ende der Schulzeit sind die psychischen Kräfte am Ende, da geht es nur noch weiter. Manchmal wird deshalb die Schule abgebrochen. Danach geht es meistens wieder aufwärts, wenn es noch eine Chance gibt.
13.03.15, 03:30:59

Fundevogel

@Antares:
Einen wissenschaftlichen Ansatz halte ich nicht für ungeeignet, wenn er denn kritisch betrachtet wird. Obwohl du gerne ins Detail gehst, lässt du doch einen Teil von Details außer Acht?

Unwissenschaftlich ist nicht zu hinterfragen, warum Wissenschaft an Kategorien (entgegen der Aussagen von Fachleuten in eigener Sache) festhält und welche Vorteile damit verbunden sind, welche Stigmatisierung sie auslöst und unterstützt, welche wirtschaftlichen Interessen hinter der Forschung stehen.
Persönliche Vorteile und Sichtweisen nehmen starken Einfluss und können die Wissenschaft geradezu verderben.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass fast Dreiviertel aller Studien zu Autismus nicht verwendet werden können, weil sie unwissenschaftlich zustande kamen. Mich hält das davon ab, das Vokabular und die Erkenntnisse der Betrüger zu benutzen.

Ich stelle manchmal fest, dass nur allzugern auf diese Bezeichnungen zurück gegriffen wird, ohne dass über Alternativen in der Denk- und Herangehensweise nachgedacht wird. Mir scheint, dass es neben dem Interesse häufig was Selbstverliebtes/Schmeichelndes hat, sich als Objekt der Wissenschaft zu sehen?
13.03.15, 08:46:33

Antares

@Fundevogel: Du hast sehr recht mit der Wissenschaft, es ist vieles kritisch zu betrachten.

Zitat von Fundevogel:
Mir scheint, dass es neben dem Interesse häufig was Selbstverliebtes/Schmeichelndes hat, sich als Objekt der Wissenschaft zu sehen?

Ich bin sowieso Selbstverliebt und mein liebstes Objekt meiner Gedanken, nur an den Selbstschmeichelungen arbeite ich noch. Das tue ich viel zu selten, mir Selbst etwas Gutes.
14.03.15, 04:44:01

elf

ich glaube das mit der selbstverliebtheit nicht! es ist nur so, daß es einfach toll ist, sich nach jahrzehnten des falschseins endlich irgendwo wiederzufinden, sich zugeörig und passend zu fühlen! und daß man zu beginn dieser entdeckung die einzelnen wissenschaftlich festgestellten parameter fast anbetet ;O). später hinterfragt man auch vieles.
14.03.15, 06:23:17

Antares

geändert von: Antares - 14.03.15, 07:11:14

Zitat von elf:
ich glaube das mit der selbstverliebtheit nicht! es ist nur so, daß es einfach toll ist, sich nach jahrzehnten des falschseins endlich irgendwo wiederzufinden, sich zugeörig und passend zu fühlen! und daß man zu beginn dieser entdeckung die einzelnen wissenschaftlich festgestellten parameter fast anbetet ;O). später hinterfragt man auch vieles.

Jetzt habe ich mir die Mühe gemacht und nachgesehen, was "selbstverliebt" denn nun eigentlich bedeutet, wenn es denn angezweifelt wird:

"von sich selbst angetan und naiv um sich selbst kreisend"

Na gut. So recht viel mit "Selbst" und "verliebt" hat das gar nicht mehr zu tun. Ich meinte eher ich bin in mich Selbst verliebt, ich liebe mein Selbst. Aus dieser Liebe zur mir selbst heraus kann ich viele wissenschaftliche Thesen nicht annehmen:

ABA: Das sei wissenschaftlich erwiesen eine feine Sache für Autisten, da schüttelt es mich

Ich verstehe nur noch nicht so ganz, weshalb auf die Wissenschaft geschlossen wurde, ich sei ihr treu ergeben. Weil ich Begriffe verwendet habe, wie meltdown, shutdown und overload?

Dass ich Autistin bin, weiß ich schon seit 15 Jahren, von daher kann ich nicht bestätigen, es würde an einer frischen Diagnose liegen. Diese drei Begriffe im Speziellen fand ich brauchbar. Zumindest kann ich bei mir ebenso wie bei anderen feststellen, dass es so etwas gibt bei uns, was hinter den drei Bezeichnungen steht. Den Ruhezustand und die Kernpunkte gibt es auch, doch habe ich hierfür etwa keine Begriffe finden können, was auch dazu führte, dass ich hier nachgefragt habe.

Ich habe viel mit Menschen zu tun in meiner Umgebung, auch mit Autisten deren Angehörigen und Berufsgruppen die mit Autisten arbeiten. Mir persönlich gefällt es immer ganz gut, wenn ich mit definierten Worten arbeiten kann, die ich dann erkläre und dann hat man sich in diesem Punkt verständigt. In der deutschen Literatur konnte ich bisher noch überhaupt nichts finden über Autismus, das mir auch nur annähernd Worte gegönnt hätte, mit denen ich Autismus beschreiben könnte. Aus meiner Sicht fehlt an solchen Werken, die einem auch brauchbare Worte liefern, sich über Autismus zu unterhalten. Es ist natürlich gut möglich, dass ich die Begriffe shutdown, meltdown und overload falsch übernommen habe aus der englischen Literatur, denn so richtig gut Englisch kann ich nicht. Das Hochdeutsche erschließt sich mir schon oft sehr schwerfällig, siehe Selbstverliebtheit.

Wenn ich nun jemandem das mit dem Ruhezustand erklären möchte, mit der Unterscheidung zu diesem Zustand der völligen Ruhe unter enormem Stress und Belastung, den Kernpunkten und was alles dazu gehört, dann ist es für mich schwer, habe ich keine Worte. Der Ruhezustand erscheint mir aber als etwas Wichtiges. Ich könnte mir z.B. vorstellen, wenn eine Autist im Ruhezustand aufwächst, seine Kernpunkte genau kennt, auf sich achten gelernt hat, dass es ihm damit relativ gut gehen müsste. Es erscheint mir erstrebenswert dafür zu sorgen, dass Autisten in diesem Ruhezustand bei sich Selbst sind.

Ich habe gerade festgestellt, dass es hier im Forum ein Autismus-Lexikon gibt. Zumindest der Overload steht dort:

- Overload = Überforderung der Sinne eines Autisten, die mehr oder weniger große Handlungsunfähigkeit und Schmerz nach sich zieht.

shutdown wäre nach Definition der englischen Literatur dahingehend dann die mehr oder weniger große Handlungsunfähigkeit, meltdown der Schmerz der mit Abwehr und Aggression beantwortet wird. Ich werde das dort einmal zur Diskussion stellen.




14.03.15, 11:40:23

Fundevogel

Wenn die neuen medizinischen Bezeichnungen eine Befreiung oder Konkretisierung ermöglichen würden, dann wäre ich zu überzeugen.
Ich sehe aber in der Praxis nur wenig Befreiung sondern eher Einengung, Bevormundung, Überrumpelung und Wegsperrung.

Während beim traditionellen Gebrauch der Sprache weit mehr Autisten ihre Ecke finden konnten, sehe ich heute eine Menge Förderkarrieren insbesondere bei Kindern, die mit 10 Jahren 20 seitenlange Gutachten hinter sich haben (die hinter ihren Rücken lebenslang weitergereicht werden), von einem Therapeuten zum anderen geschleppt werden, seit ihrem dritten Lebensjahr keine Ruhe mehr hatten vor Beäugungen, Animierungen, Klinikaufenthalten, Besserwisserei...

...wo aber ist der Gewinn dieser Maltretierungen und der Konkretisierungen von Sprache:

Haben wir deshalb geeignetere Umfelder erreicht? Nein.
Haben wir ein anderes Verständnis und mehr Respekt in der Bevölkerung erreicht? Nein.

Aus meiner Sicht hat diese sprachliche Spezialisierung maßgeblich dazu beigetragen, den Autisten-Zoo mächtig zu erweitern, medizinischen Buchautoren Geld zu beschaffen, mit Kliniken und Einrichtungen Geld zu scheffeln und geldorientierten Eltern gesellschaftliches Ansehen zu erhalten.

Warum also nicht zurück kehren zu sprachlichen Äußerungen wie sie alle Menschen als für sich nachvollziehbar verstehen? Wie wäre es mit den klassischen Bezeichnungen wie "völlige Erschöpfung", "augenblicklich in Ruhe lassen", "sich erholen lassen", "andere Bedingungen haben" "das ist alles zuviel für ihn". Da wären viele Menschen Autisten näher im Verständnis als bei der Verwendung von medizinischem Vokabular, weil sie Zustände und Umstände als den ihren ähnlich nachempfinden könnten. Vielleicht würde das sogar dazu beitragen können, dass die Mehrheit der Menschen sich trauen würde, ein gesünderes Leben zu führen.

Wer durch medizinisches Vokabular als "irgendwie krank" ausgewiesen wird, der ist schon allein dadurch ausgegrenzt... ein urzeitlicher Reflex?
14.03.15, 13:00:54

Antares

Zitat von Fundevogel:
Wenn die neuen medizinischen Bezeichnungen eine Befreiung oder Konkretisierung ermöglichen würden, dann wäre ich zu überzeugen. ... Wer durch medizinisches Vokabular als "irgendwie krank" ausgewiesen wird, der ist schon allein dadurch ausgegrenzt... ein urzeitlicher Reflex?

Man könnte medizinische Bezeichnungen in der deutschen Sprache festlegen. Der deutsche Markt ist noch ziemlich leer, was Literatur über Autismus angeht. Die Wissenschaft ist hier auch noch ganz am Anfang, es wäre somit möglich ein Bild zu prägen sogar.

Allerdings müsste dies streng wissenschaftlich geschehen, damit überhaupt eine Anerkennung zu finden wäre. Das wäre ein sehr großes Vorhaben, aber rein theoretisch möglich. Dort könnte man dann Begriffe festlegen wie: Ruhezustand, Völlige Erschöpfung, Kernpunkte, Erholungsbedürftig, Überreizung, schmerzhafte Überreizung, Abwehrhaltung, Maßnahmen zur Schmerzabwehr,... dann könnte man sich die englischen Begriffe wie overload, meltdown, shutdown sparen.

Man müsste sich nur die Mühe machen so etwas zu verfassen und das dann verbreiten. Das dauert aber eine Weile und bräuchte ein paar Leute.

14.03.15, 14:07:41

haggard

@Antares:
Dass der Markt an Autismusliteratur ziemlich leer wäre, bei seit Jahrzehnten zunehmend mehr Neuerscheinungen, bezweifele ich.

Meltdown = Nervenzusammenbruch = akute Belastungsreaktion

Shutdown = Dissoziation/dissoziativer Stupor

Aus meiner Sicht nichts exklusiv Autistisches, aber Autisten könnten diesbezüglich dispositioniert sein.

Kernpunkte wären für mich gleichbedeutend mit Rahmenbedingungen.

Was du bezüglich Ruhezustand und davon abgeleiteter "normaler" Funktionalität beschreibst, finde ich kritisch unter Berücksichtigung dessen, was seitens der Fachwelt angestrebt wird.

Angekommen ist z.B. in Teilen der Arbeitswelt, dass Angestellte/Mitarbeiter bessere Leistungen erbringen, wenn sie für sie passende Bedingungen vorfinden. Bei Realisierbarkeit wäre dies optimal.

Seitens der Fachwelt wird jedoch nach außen hin "normale" Funktionalität angestrebt - und ist diese erreicht, greifen die Diagnosekriterien nicht mehr.

So lange Menschen Hilfen hauptsächlich nur dann erhalten, wenn sie eine Diagnose auf dem Papier stehen haben, Rahmenbedingungen und individuelle Belastungsgrenzen veränderlich sind...
14.03.15, 14:39:13

Antares

geändert von: Antares - 14.03.15, 14:42:15

Zitat von haggard:
Dass der Markt an Autismusliteratur ziemlich leer wäre, bei seit Jahrzehnten zunehmend mehr Neuerscheinungen, bezweifele ich.

Ich bezog mich auf Literatur, die auch von Autisten willkommen geheißen wird, worin sich Autisten wiederfinden. Der ganze "Schrott" der existiert den ich bisher auf Deutsch gelesen habe über Autismus, zählt für mich nicht. Dass Autismus Deutschland das allerdings schon tut, das ernst nehmen was da steht, weiß ich. Die wenden skrupellos ABA bei LFA an uvm.

Zitat von haggard:
So lange Menschen Hilfen hauptsächlich nur dann erhalten, wenn sie eine Diagnose auf dem Papier stehen haben, Rahmenbedingungen und individuelle Belastungsgrenzen veränderlich sind...

Kannst Du den Satz zu Ende schreiben bitte? Ich verstehe nicht, was Du mir sagen möchtest.

Wie erwähnt bin ich selbst im Ruhezustand wunderbar diagnostizierbar. Die Rahmenbedingungen sind veränderlich, aber gerade das ist doch gut, oder nicht? Ich habe mir derzeit als ich noch gearbeitet habe vor der Mutterschaft meinen Arbeitsplatz als Freiberuflerin so angepasst, dass meine Rahmenbedingungen für mich perfekt waren. Weniger autistisch wurde ich dadurch aber nicht, nur authentischer. Hilfeleistungen bekäme ich auch jetzt, einen Autismushund etwa könnte ich mir holen wenn ich wollte. Ich sehe die Diskrepanz nicht.


15.03.15, 08:26:41

haggard

"So lange Menschen Hilfen hauptsächlich nur dann erhalten, wenn sie eine Diagnose auf dem Papier stehen haben, Rahmenbedingungen und individuelle Belastungsgrenzen veränderlich sind", wäre es bei dem Bestreben der Fachwelt kontraproduktiv für Autisten zu veröffentlichen, sie seien aus innerer Ruhe heraus "normal".
 
 
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