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Einschränkung der exekutiven Funktion

original Thema anzeigen

05.11.06, 01:06:57

Goldloeckchen

Vorab Infos zum Thema.

Die exuktive Funktion umschreibt die Unfähigkeit erlernte und erfasste (!) Dinge nach "Aussen" zu übertragen. Um das mal an einen banalen Beispiel zu verdeutlichen: Ein Mensch mit einer exekutiven Funktionsstörung kann anhand eines Modells die einzelnen "Wirtschaftsabläufe" (Transaktion) begreifen aber sobald es darum geht diese mit den realen Abläufen zu verknüpfen und richtig auszuführen (zb. selbstständig Geld vom Konto abheben) ist der Betroffene nahezu handlungsunfähig.
Ein vereinfachtes Beispiel, dass vllt eher auf Kannerautisten zutreffen dürfte aber in einer etwas "milderen Form" dürfte diese Störung auch den AS- bzw HFA-Autisten betreffen. Das würde erklären weshalb ich oft weiß wie man manche Dinge erledigt und sie dennoch nicht richtig auf die Reihe kriege weil mir die einzelnen Schritte die mich ans Ziel bringen könnten sehr diffus erscheinen und deshalb von mir kaum bewältigt werden können. Ich halte das für den Grund weshalb ich meine Fähigkeiten oft nicht einsetzten kann. Sowohl die "Gabe" die Herangehensweisen miteinander zu Verknüpfen als auch der Überblick fehlt mir. Halte das für einen Faktor weshalb viele Menschen mit Autismus [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] von Erfolgslosigkeit geplagt sind. Das betrifft vorallem den sozialen und den existenziellen Bereich.

Ein Freund von mir der sich an der Uniklinik Köln diagnostizieren lassen hat, hat sogar die `eingeschränkte exekutive Funktion` auf seiner Diagnose stehen.
05.11.06, 10:47:21

christian_k

geändert von: christian_k - 05.11.06, 10:48:20

Morgen,

zunächst möchte ich sagen, bei dem Untersuchungsbefund aus Köln geht es um meinen.

Ich war etwas erstaunt, dies auf dem Bericht zu lesen, denn bei der Untersuchung war mir nicht bewusst, dass dieser Aspekt überhaupt untersucht wurde. Später fand ich im Internet, dass zumindest einer der durchgeführten Tests damit im Zusammenhang steht.

Etwas enttäuschend fand ich, dass man mir beim Nachgespräch nicht sagen konnte, wie man in diesem Bereich eine Verbesserung erreichen kann oder ob das überhaupt möglich ist.

Als Jugendlicher - lange vor der Diagnose - wusste ich, dass ich meine Fähigkeiten nicht effektiv einsetzen konnte und hatte das Gefühl, etwas in mir wäre "kaputt" (Kleiner Gehirnschaden o.Ä.) . Ich fragte meine meine Mutter, ob es sein könnte, dass ich bei der Geburt einen "Hau weg" bekommen hätte (es gab erhebliche Komplikationen). Weder sie noch ein Therapeut, mit dem ich später über das Problem sprach, konnten nachvollziehen, worum es mir eigentlich ging.

Erstaunlich, dass beim Thema AS/Autismus immer die sozialen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden - meiner Meinung nach geht das Problem weit darüber hinaus. Die soziale Problematik ist vielleicht einfach nur das, was andere als erstes bemerken. Wenn aber Menschen, die theoretisch gute Fähigkeiten haben, mehrere Ausbildungen abbrechen müssten, dann ist das Problem sicherlich durch Probleme im Lesen vom Mimik usw. allein nicht zu erklären.

Gruss
Christian

05.11.06, 11:18:04

Goldloeckchen

geändert von: Goldloeckchen - 05.11.06, 11:18:39

Zitat von christian_k:

Erstaunlich, dass beim Thema AS/Autismus immer die sozialen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden - meiner Meinung nach geht das Problem weit darüber hinaus. Die soziale Problematik ist vielleicht einfach nur das, was andere als erstes bemerken.


Ja, da muss ich dir zustimmen. Allerdings könnte diese Einschränkung für die Beeinträchtigung im sozialen Bereich mit verantwortlich sein. Das Herstellen und Pflegen sozialer Kontakte bedarf auch einiger Schritte die man auszuführen hat.

Zitat:
Wenn aber Menschen, die theoretisch gute Fähigkeiten haben, mehrere Ausbildungen abbrechen müssten, dann ist das Problem sicherlich durch Probleme im Lesen vom Mimik usw. allein nicht zu erklären.


Das sehe ich auch so. Die Angelegenheit ist viel komplexer als vermutet.
05.11.06, 17:19:04

Lisa M.

Zitat:
weil mir die einzelnen Schritte die mich ans Ziel bringen könnten sehr diffus erscheinen


Genau. Das kenne ich ich. Auch der Eindruck, es müsse wohl am Überblick fehlen. Es ist mir auch immer ziemlich rätselhaft, weil ich theoretisch ganz gut durchblicke im Vergleich zu anderen Leuten.

Zitat:
Erstaunlich, dass beim Thema AS/Autismus immer die sozialen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden


Ich weiß nicht, ob nicht bei anderen die sozialen Aspekte viel mehr im Vordergrund stehen. Bei mir kann ich so im Nachhinein vermuten, dass die früher mal viel größer waren, als mir selbst überhaupt bewusst war. Ich weiß, dass ich eine ziemliche Außenseiterin war und dass z.B. mein Bruder sich sehr darüber aufgeregt hat, dass ich aus sozialen Kontakten so einfach "verschwinden" konnte, wobei ich selbst fand, dass doch gar kein richtiger sozialer Kontakt bestanden hatte... Aber man lernt ja 'ne Menge dazu im Leben, und in diesem sozialen Bereich hab ich viel gelernt, aber bei den exekutiven Funktionen fallen die Schwächen immer mehr auf, je mehr ich auf mich selbst gestellt bin und nicht mehr aufgrund von "Jugendlichkeit" usw. mir ein bisschen was abgenommen wird. Vielleicht verschlechtert sich das auch schon aufgrund von Alter und weil ich da schon so blöde Erfahrungen gemacht habe mit mir... Auf jeden Fall ist das jetzt eigentlich das, was mir Schwierigkeiten macht im Leben. Was das Soziale angeht: Ein bisschen Kauzigkeit verkraften die Leute schon. ;)
05.11.06, 22:44:55

arlette

hmm. ja, das 'genau wissen, wie ablauf xy funktioniert' und dann auch wirklich alle infos dazu zu sammeln, um das ganze in einen gesamtzusammenhang einbetten zu können, aber dann nicht agieren können, kommt mir bekannt vor. ich hatte auch lange den verdacht, ich hätte einen 'hirnschaden'. bei einigem habe ich dann irgendwann die strategie entwickelt, mich in situationen zu manövrieren, aus denen ich nicht mehr herauskam, ohne eben den - nun schon beinahe überlebenswichtig gewordenen ablauf - zu 'vollziehen'. das waren wohl - für andere menschen - eher banale dinge, aber für mich ziemlich grosse erfolge. die soziale interaktion kommt hier eben noch erschwerend dazu - menschen sind oft nicht berechenbar bzw. ein 'unsicherheitsfaktor' in einem geplanten ablauf-konzept.
05.11.06, 23:04:36

arlette

zu dem thema fällt mir noch ein: es gibt viele einfache abläufe, die ich einfach dann nicht mehr 'verstehen (???finde das passende wort nicht???)' kann, wenn ich in den ablauf involviert bin. das sind für mich dann zwei total verschiedene dinge: der ablauf als kognitives, logisches ding an sich, isoliert; und als zweites ich als interagierende, involvierte in diesem ablauf. irgendwie passiert dann ein informations-overload und mach alles sehr schwierig.
05.11.06, 23:22:28

Lisa M.

Au ja. So kommt mir das auch vor. Als ob die Perspektive halt eine andere ist, wenn man drin steckt, als wenn man drauf schaut. Wie bei einem Labyrinth - da ist das ja auch so. Von oben sieht man, wo man lang muss, aber wenn man drin steckt, sieht man nur überall Wände.
06.11.06, 11:20:42

Goldloeckchen

geändert von: Goldloeckchen - 06.11.06, 11:26:04

Zitat von Lisa M.:
... Bei mir kann ich so im Nachhinein vermuten, dass die früher mal viel größer waren, als mir selbst überhaupt bewusst war. Ich weiß, dass ich eine ziemliche Außenseiterin war


Ja, das ist bei mir nicht anders. Allerdings musste ich noch nicht vor allzu langer Zeit feststellen, dass ich immer noch nicht richtig im Gruppen integriert werde (Schule) auch wenn ich die Aussenseiterfunktion nicht mehr ganz erfülle. Teils läßt man mich links liegen. Das finde ich akzeptabel. An den Pausengesprächen habe ich mich ohnehin nicht so gern beteildigt. Wie gesagt können kommunikative Fähigkeiten bzw. das Knüpfen von Freundschaften durchaus etwas mit der Einschränkung exekutiver Funktionen haben. Immerhin muss man bei dem Aufbau einer Freundschaft auch Schrittweise vorgehen und das sollte möglichst intuitiv erfolgen und nicht rational nach Plan oder "Patentrezeptsuche"

Zitat von arlette:
zu dem thema fällt mir noch ein: es gibt viele einfache abläufe, die ich einfach dann nicht mehr 'verstehen (???finde das passende wort nicht???)' kann, wenn ich in den ablauf involviert bin. das sind für mich dann zwei total verschiedene dinge: der ablauf als kognitives, logisches ding an sich, isoliert; und als zweites ich als interagierende, involvierte in diesem ablauf. irgendwie passiert dann ein informations-overload und mach alles sehr schwierig.


So würde ich es auch beschreiben.
06.11.06, 17:53:30

arlette

Zitat von Sheila:

So würde ich es auch beschreiben.

am schlimmsten ist es für mich dann, wenn mir 'das konzept erklärt' wird, und nicht in sachlicher sprache, welche aktion ich nun vollziehen soll. ich fühle mich dann (sehr wahrscheinlich unberechtigterweise) als trottel behandelt.

gehört die 'informations-sicherheit' auch zu diesem thema? ich brauche immer ungeheuer viel informationen zu allem, womit ich zu tun habe; meistens lese ich gleich im net abhandlungen und vorträge über das thema oder ein lexikon. ich habe folgendes bild dazu im kopf: muss 'person NA' etwas erledigen, braucht sie vielleicht 'den informationsradius um die kerninformation herum' hierfür, der räumlich etwa eine armlänge um sie herum ist. ich brauche informationen über die gesamte topologie von etwa einem radius 1-10 km (je nach thema) um die kerninformation herum; am besten gleich auch noch die ganze entstehungsgeschichte und das wissen über wechselwirkungen, zweitmeinungen etc. ohne diese informationen bin ich einfach verloren.
06.11.06, 18:20:45

Lisa M.

Zitat:
ich brauche informationen über die gesamte topologie von etwa einem radius 1-10 km (je nach thema) um die kerninformation herum


Da habe ich von mir einen anderen Eindruck. Ich neige zwar dazu, mir erstmal alle diese Informationen - inklusive Wechselwirkungen - zu beschaffen, aber das ufert oft so aus, dass ich am Schluss gar nicht mehr handlungsfähig bin, weil so ziemlich jedes Kernthema sich bis an die Grenzen des Universums ausdehnen lässt... Wenn es um was ganz Konkretes geht, bringen mich eher simple Handlungsanweisungen weiter. Z.B. wenn am Computer was gemacht werden muss (da hab ich nicht mehr viel Lust und Interesse dran), dann wird das am ehesten was, wenn man mir bis zu 5 Kommandozeilen einfach diktiert. *hüstel* Allerdings muss ich schon sehr mit mir kämpfen, einfach was zu tun, was ich nicht verstehe. Meist endet das ganze doch erstmal in langen Debatten und Erklärungen, um die ich selbst gebeten habe, die mich dann aber doch nerven. Dieses "Ich will selbst wissen, was ich warum tue" ist schon mal so weit gegangen, dass ich in der U-Bahn einfach sitzen blieb und meinen Stadtplan rauskramte, als ein Ortskundiger meinte: "Wir müssen hier umsteigen." (Aber hilfreich ist diese Marotte nicht!)
06.11.06, 18:42:14

arlette

Zitat von Lisa M.:
[Dieses "Ich will selbst wissen, was ich warum tue" ist schon mal so weit gegangen, dass ich in der U-Bahn einfach sitzen blieb und meinen Stadtplan rauskramte, als ein Ortskundiger meinte: "Wir müssen hier umsteigen." (Aber hilfreich ist diese Marotte nicht!)

ja, das hat mir meinem beschriebenen bild zu tun. geht mir auch so. aber mal ganz ehrlich: der ortskundige hätte auch ein nicht-wisser sein können.

offtopic on - übrigens sagt mir meine empirische datenbank, dass man in italien nie so reagieren darf, man muss helfenden blind vertrauen, auch wenn es total unlogisch ist, denn die sind dann echt super gekränkt und versuchen alles mögliche, um dir das aufzuzeigen; egal, was für deppen es sind und ob sie recht hatten... - offtopic off
06.11.06, 18:56:50

Lisa M.

Ich bin gewarnt und werde Italien meiden. Schon hierzulande sind Helfende desöfteren mal verärgert und beklagen meinen Mangel an blindem Vertrauen. Wobei es sehr spannend ist, sich da mal bewusst auf ein Abenteuer einzulassen... *witzel* Das ist dann für mich in etwa so aufregend wie für andere Bunjee-Jumping.
 
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