Placeboeffekt durch AS-Diagnose?
19.10.06, 14:31:57
gandalf
Gerade für Nichtautisten sind Aussagen von Autoritäten entscheidend für ihr Selbstbild. Wäre es nicht aufschlußreich zu erfahren wie hoch der Placeboeffekt in einer psychologischen Studie ausfallen würde?
Man könnte möglichst repräsentativ zufällig freiwillige Versuchspersonen anwerben und denen erklären, daß diese Untersuchung zum Ziel hat unter in der Praxis selten vorhandenen vergleichbaren Bedingungen zu klären wieviel % der Bevölkerung von einem vorher nicht genannten seltenen Syndrom betroffen ist. Tatsächlich teilt man diese Versuchspersonen vor dem Kennenlernen zufällig in Gruppen ein und gibt nach aufwändigen Tests und Gesprächen über das ganze Leben den Personen dieser Gruppe in ausführlichen Nachbesprechungen das Feedback vom Asperger-Sydrom betroffen zu sein und legt das anhand erfundener Daten aus den Tests und wohl bei jedem Menschen vorhandenen geeigneter Einzelelemente der Biographie in einer noch halbwegs vergleichbaren Weise plausibel dar. Bei den vor dem Feedback erfolgten Gesprächen wird ein detailliertes Profil des derzeitigen Zustandes und der Alltagsbewältigung angefertigt um eine Vergleichsbasis zu erlangen.
Nun sollte über einen längeren Zeitraum, vielleicht drei Monate um im ethisch vertretbaren Rahmen zu bleiben, Betreuung durch die Versuchsleitung folgen in der erhoben wird inwieweit sich das Selbstbild und dessen Auswirkungen im Verhalten und im Alltag verändern. Wird die Person unsicherer? Zieht sie sich mehr zurück? Fühlt sie sich durch ihr Leben überforderter als zuvor? Beginnt sie zu resignieren und passiv zu werden? Kommuniziert sie sich als hilfsbedüftig?
Wer eine ähnliche Studie kennt, die es bereits gibt soll sie bitte nennen.
19.10.06, 15:30:02
CiCeGa
geändert von: CiCeGa - 20.10.06, 11:44:36
EDIT: Weil völlig unwichtig und am Thema vorbei
19.10.06, 16:17:23
bellaria
Prinzipiell finde ich es gut, sich solche Gedanken zu machen und mögliche Zusammenhänge wie diese zu hinterfragen.
Ich möchte dazu 2 Dinge anmerken:
1. Meinem Partner geht es BESSER seit seiner Diagnose und nicht schlechter.
2. Ich würde vorsichtig sein, wem gegenüber ich solche Gedanken äußere - hier finde ich das völlig legitim und in Ordnung, einer sowieso schon kritischen und desinformierten Umgebung gegenüber würde ich solche Zweifel für mich behalten, solange es nicht zu viele Leute mit Diagnose, sondern eher zu wenige fähige Diagnostiker gibt. Asperger-Syndrom wird von vielen in dieselbe Ecke wie ADHS gerückt und als Modediagnose unfähiger Eltern für ihre verzogenen Kinder diffamiert. Dieser Eindruck kann durch Deine Fragestellung unterstützt werden, was ich für extrem kontraproduktiv für Betroffene halte.
19.10.06, 16:48:18
Goldloeckchen
Sehe keinen Sinn in so einer Studie.
Wenn ich im einigen Lebensbereichen gravierende Probleme habe dann werde ich früher oder später einen Psychiater/Neurologen konsultieren "müssen". Als Betroffene(r) wird man sich idR. mit den "Neurospektren" gründlich auseinander gesetzt haben so dass man sich selbst eine "Schublade zuweisen kann" sofern man im Besitzt seines Verstandes ist. Eine Diagnose dient einer adäquaten Hilfestellung und somit einer Besserung des Wohlbefindes und keiner Verschlimmerung der Lebenslage. Was würde so eine "Diagnosenplacebostudie" indizieren? Dass man nachdem man diagnostiziert würde "behinderter" ist/wird? Mag sein, dass es so wäre wenn man eine AS-Diagnose einen psychisch gesunden Menschen stellt. Aber was haben die Betroffenen von so einer Studie?
Zitat:
1. Meinem Partner geht es BESSER seit seiner Diagnose und nicht schlechter.
Dito, mir auch.
19.10.06, 17:56:40
Lisa M.
Ich fände so eine Studie ethisch bedenklich, aber nicht, weil mir die Ergebnisse "gefährlich" erscheinen würden, sondern weil ich fürchte, dass Versuchspersonen dauerhafte Schäden davontragen könnten...
Für Aspies ist die Situation jedoch ein kleines bisschen anders. Man hatte vermutlich schon als Kind das Gefühl, irgendwie anders zu sein, und wusste nicht warum. Man hat vermutlich schon die einen oder anderen Schwierigkeiten gehabt und wusste nicht, warum. Man wusste nicht, was die anderen eigentlich gegen einen haben und warum man sie so verrückt findet. Man wusste nicht, wieso einem irgendwelche Dinge im Leben einfach nicht gelingen wollten, obwohl man doch gewiss nicht dümmer war als andere. Man ist vielleicht schon mal am Leben verzweifelt. Man hat sich vielleicht längst zurückgezogen.
Und wenn dieses Rätselhafte einen Namen bekommt, dann hat man endlich das Gefühl, zu wissen, wogegen man kämpfen oder womit zu leben man lernen kann.
Wenn man eine solche Studie also macht, dann schlage ich vor, eine Kontrollgruppe einzurichten, bestehend aus Aspies, die nicht wissen, dass sie welche sind. Den einen gibt man das Feedback, sie seien egoistisch, pingelig, eventuell auch faul, geschwätzig oder auch wortkarg, dies, das, jenes. Man macht sich über sie lustig oder grenzt sie aus. Und dann schaut man mal, wie sich dieses Feedback auf ihren Zustand und ihre Alltagsbewältigung auswirkt. "Wird die Person unsicherer? Zieht sie sich mehr zurück? Fühlt sie sich durch ihr Leben überforderter als zuvor? Beginnt sie zu resignieren und passiv zu werden? Kommuniziert sie sich als hilfsbedüftig?"
Einer nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Gruppe erklärt man, dass sie ein Asperger-Syndrom haben.
20.10.06, 00:50:06
christian_k
Wenn man eine solche Studie also macht, dann schlage ich vor, eine Kontrollgruppe einzurichten, bestehend aus Aspies, die nicht wissen, dass sie welche sind. Den einen gibt man das Feedback, sie seien egoistisch, pingelig, eventuell auch faul, geschwätzig oder auch wortkarg, dies, das, jenes. Man macht sich über sie lustig oder grenzt sie aus.
Die meisten (unerkannten) Aspies haben solche Rückmeldungen ihr ganzes Leben bekommen - oft sogar von "Therapeuten", die das Problem nicht erkannt haben. Deshalb nehme ich an, es würde die Versuchspersonen kaum beeinflussen. Es würde deshalb aber auch keine Erkenntnisse bringen, die man nicht durch glosse Auswertung der Lebenserfahrung vor der Diagnose gewinnen könnte.
Gruss
Christian
20.10.06, 09:06:07
Lisa M.
geändert von: Lisa M. - 20.10.06, 09:09:49
Zitat:
Die meisten (unerkannten) Aspies haben solche Rückmeldungen ihr ganzes Leben bekommen
Joa, darum ging es mir eigentlich.
Zitat:
Deshalb nehme ich an, es würde die Versuchspersonen kaum beeinflussen.
Ich nehme an, es hat die Versuchspersonen bereits beeinflusst. (Und genau aus dem Grund meinst du ja auch, dass es sie nicht mehr beeinflussen würde.)
Auf der anderen Seite kann man nicht ausschließen, dass es den "Placebo-Effekt durch AS-Diagnose" auch bei Aspies gibt. Ich denke, dies trifft v.a. auf Kinder zu, denen dann von vornherein weniger zugetraut wird. Das krasseste, was ich zu diesem Thema mal gelesen habe in einem Eltern-Forum, war, dass ein Mädchen nach einer AS-Diagnose nach Auffassung der Schule vom Gymnasium abgehen und auf die Sonderschule sollte. (Oder war es doch nur eine Realschule? In der Sache egal!)
Ich bin da schon oft erstaunt, wie selbstverständlich Kinder mit AS heutzutage oft "als Behinderte" behandelt werden.
[Oma-Modus ON] Das hat es zu meiner Zeit nicht gegeben, und das ist gut so! Die werden verwöhnt, die Gören heute! Die werden verweichlicht! Die müssen erstmal lernen, auf eigenen Beinen zu stehen! [Oma-Modus OFF]
*räusper* Entschuldigung bitte. Ich kann nur hoffen, dass ihr versteht, was ich meine und warum ich das meine. Ich meine, dass Aspies zwar Verständnis und Unterstützung brauchen, aber ganz gewiss keine Überfürsorglichkeit, wo man unter dem Vorwand "Du kannst das sowieso nicht" von allem ferngehalten wird. Viele von uns Älteren sind auf dem Gymnasium ganz gut klar gekommen, ganz ohne Schulbegleiter. Viele haben Abitur und/oder studiert. Und ich jedenfalls habe in meinem Leben sehr viele getan, von denen man annehmen würde, dass ein Aspie gar nicht dazu in der Lage sein sollte!
Zitat:
Wird die Person unsicherer? Zieht sie sich mehr zurück? Fühlt sie sich durch ihr Leben überforderter als zuvor? Beginnt sie zu resignieren und passiv zu werden?
Das wurde dann bei mir vor ca. 3 Jahren so richtig akut, nachdem ich mal wieder bei was gescheitert war und es das so-und-so-vielte Mal in Reihe war und ich die Schnauze absolut voll davon hatte. An AS hab ich da noch nicht im Traum gedacht.
Ansonsten ist mir eine ähnliche Entwicklung vor ca. 9 Jahren passiert, d.h. eigentlich schon davor. Vor ca. 9 Jahren endete das dann in einer schweren Depression. War aber wohl 'ne Erschöpfungsdepression.
Notwendige Ergänzung: Es sieht aber nicht so aus, als ob ich jetzt wieder auf 'ne Depression zulatsche. Es gibt einen Unterschied zwischen Rückzug und Zusammenbruch.
21.10.06, 02:19:27
qBert
geändert von: qBert - 21.10.06, 02:23:33
Ich habe auch schon über den Placebo Effekt nachgedacht, ein Zitat aus Star Trek hat mich zum Nachdenken gebracht: "wenn die Crew weiß, dass sie morgen stirbt, wird sie im unterbewusstsein darauf hinarbeiten."
Dann ist mir aufgefallen, dass ich , seitdem ich ziemlich sicher sein kann, ein Autist zu sein, auch im Unterbewusstsein darauf hinarbeite.
Ein bisschen kommt das vielleicht davon, dass ich mich mehr so akzeptiere und mich weniger anpassen will, aber ich denke auch oft darüber nach, was ein typischer Aspie in einer Situation tun würde, in der ich gerade bin.
Dann tu ich oft genau das, ich habe aber im nachhinen nie das Gefühl, dass es falsch war.
Insgesammt geht es mir jetzt besser, weil ich mich selbst in meiner eigenen Rolle wohl fühle und mich nicht anpassen will.
21.10.06, 08:49:35
Lisa M.
Ja, ich merke auch, dass ich in manchen Situationen "aspiemäßiger" werde. Mir geht's da so weit ganz gut mit.
Vorgestern bei der Ärztin war z.B. so eine Situation. Ich war an dem Tag bestens "in Wallung", weil ich am Tag vorher intensiv an dem schriftlichen Kram gearbeitet hatte, den ich ihr noch geben wollte. Und dann war morgens vor dem Termin ziemlich viel Stress, weil ich die Dateien im StarOffice-Format auf die Diskette gespeichert hatte und im Copyshop ausdrucken wollte... Ging natürlich nicht, die hatten nur Word und Microsoft legt keinen Wert auf Kompatibilität mit anderen Programmen.
Also ich war voll in Form und beobachtete mich nebenher verblüfft selbst, wie ich mich recht offenherzig zu so allerlei äußerte... Und auch gar nicht stoppen konnte. Dabei an Stellen, wo mir die Worte fehlten, angestrengte Gesten in der Luft. Die Ärztin half mir dann weiter mit sehr präzisen Worten für emotionale und soziale Angelegenheiten. Wow, so einfach kann man das sagen? Klasse. Ich denke, ich sollte Sprachunterricht bei ihr nehmen. Der schweigsame AS-Typ bin ich nämlich nur selten (aber dann auch gründlich).
Solche Situationen hat es aber früher in Wirklichkeit auch gegeben - also dass ich nicht stoppen konnte und gemerkt habe, dass ich in diesem "unkontrollierten" Zustand reichlich freizügig daherrede. Früher habe ich mich dann hinterher immer geschämt (obwohl die Leute mich dann wohl ganz originell finden) und ich kann mich auf mindestens zwei Orte besinnen (allein hier in Berlin), wo ich mich nicht mehr so recht blicken lassen mag wegen solcher Auftritte. Das habe ich nur bisher gar nicht so reflektiert, weil niemand dort sauer auf mich ist. Sie lächeln mir nur zu viel, wenn sie mit mir reden... Und dann werde ich so kindchenhaft innen.
Jetzt bei der Ärztin war es halt total anders, weil ich das Gefühl hatte, ich kann ruhig so sein, wie ich bin, und sie wird sich deshalb nicht eine Meinung bilden, dass man mich sowieso nicht ernstnehmen kann, sondern sie wird sich eine Meinung darüber bilden, ob dieses Verhalten nun eher nach AS oder nach ADS aussieht. Grade wenn ich so einen Redeschwall mal kriege (und dann bin ich auch meist sehr aufgedreht), dann finde ich das ja schon auch hyperaktiv. Nur überkommt einen Hyperaktivität normalerweise ja nicht anfallsmäßig, wenn einem mal jemand zuhört...
Also war es mehr ein total erleichtertes Gefühl, einfach sein zu können, wie ich bin. Und ich überlege grade, ob NA's das etwa chronisch haben...
23.10.06, 19:34:17
Altpapier
Hier gibt es mal wieder einen Artikel zu den Folgen unterschwelligen Rassismus. Das könnte man prinzipiell auch auf dieses Thema "Selbstbildveränderungen nach Diagnose" übertragen:
Der Spiegel
24.10.06, 15:02:18
christian_k
Ja, ich merke auch, dass ich in manchen Situationen "aspiemäßiger" werde. Mir geht's da so weit ganz gut mit.
Sicher ? Ich vermute eher, du bist jetzt "nur" sensibilisiert und erkennst solche Verhaltensweisen eher. Früher sind bestimmt ähnliche Dinge passiert, ohne dass du es gemerkt hast oder ohne dass du es einordnen konntest.
Frag mal Leute, die dich lange kennen und einen Vergleich haben. Meine Mutter sagt mir zum Beispiel, dass ich als Kind wesentlich "autistischer" gewirkt hätte.
Gruss
Christian
24.10.06, 15:37:15
Goldloeckchen
Zitat:
Meine Mutter sagt mir zum Beispiel, dass ich als Kind wesentlich "autistischer" gewirkt hätte.
Ich denke das ist nichts ungewöhnliches. Das "Autistische" "wächst" sich mit zunehmenden Alter einwenig raus. Wenn man also annährend in der Lage ist zu erkennen wie neurotypische Menschen ticken dann immitiert man sie mit der Zeit. Das "autistische Gefühl" und eine "Restunfähigkeit" normal zu handeln bleiben.