02.12.12, 23:07:28
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Zitat:
Ob in der Politik, der Ökonomie oder der Medizin: Wer seine Ansichten auf Fakten stützt, beansprucht damit Wahrheit für das Gesagte. Allerdings sind Wahrheit und Fakten nicht miteinander identisch, sondern stehen in einem überaus komplizierten Verhältnis zueinander.
Dieses Verhältnis gilt es genauer zu verstehen, wenn wir begreifen wollen, warum die Digitalisierung die Fakten und damit das Expertenwissen zu entwerten scheint. Denn wenn die Faktenlage aufgrund digitaler Medien kontinuierlich aktualisiert wird, werden die Fakten zwar immer exakter, zugleich verlieren sie jedoch jene Dauerhaftigkeit, die einst Kennzeichen ihrer Wahrheit war (vgl. Hannah Arendt, "Wahrheit und Lüge in der Politik").
Das ändert sich nun mit der Digitalisierung: Damit unsere Kenntnis der Fakten akkurat bleibt, muss sie laufend aktualisiert werden - und es ist genau diese Veränderbarkeit, die uns mit einem Gefühl der Konfusion und Beunruhigung zurücklässt. Die sich permanent ändernden Fakten müssen falsch sein, schließlich verändert sich die Wahrheit nicht, sie ist zeitlos. Es scheint, dass wir hier immer noch nach den Regeln eines älteren Diskurses denken und uns an eine Logik halten, die uns zwar lange Zeit gute Dienste geleistet hat, die aber im Grunde im Zeitalter der Druckerpresse verhaftet geblieben ist. Denn während der neue Fakt niemals exakter gewesen ist, war er auch nie weniger dauerhaft.
Quelle
05.12.12, 19:47:31
Cadfael
In der Tat gibt es einen Unterschied zwischen Fakten und Wahrheit.
Fakten ergeben eben auch nur Sinn, wenn sie wie in einem Puzzle an die richtige Stelle gesetzt werden.
Man kann alle Teile eines 5000 Teile haben. Setzt man sie an die falsche stelle, kann ein 50 Teile Puzzle (das vielleicht das gleiche Bild wesentlich kleiner zeigt) der Wahrheit mehr entsprechen.
Zudem ist immer die Frage, welche Fakten uns schlicht weg (für immer) fehlen.
Zudem: Wenn ich jemandem einen meiner Finger in die Nase stecken, haben wir beide "einen Finger in der Nase". Das ist Fakt. Trotzdem befinde ich mich in einer völlig anderen Situation als mein Gegenüber ...
Aussagen können auch nicht "absolut" gesehen werden, sondern müssen (wie in der ev. Theologie) generell "historisch kritisch" betrachtet werden.
Sagt ein junger Mensch: "Du bist ja voll fett", kann dies auch für eine beleibte Person ein Lob (fett = toll) sein ...
Gerade die "historisch kritische" Betrachtung kann aber nicht von "reinen Datensammlern" erledigt werden.
Als Webdesigner ärgere ich mich über eingestellte Bilder mit 4000x3000px. Man mag jedes Detail erkennen - aber es interessiert in 99% der Fälle niemanden! Oft sieht man vor lauter "Fakten" (Pixeln) die Wahrheit (da Bild) nicht vollständig.
Gruß
Andreas
27.12.12, 10:35:05
Hans
Durch die Digitalisierung wird die Wirklichkeit in kleine Stückchen zerhackt.
Die Mittelwerte dieser Stückchen werden abgespeichert.
Mögliche Zwischenwerte gar nicht erfasst.
Es wird extremst polarisiert.
Digital ist also nur ein mehr oder weniger grober Ausschnitt aus der Wirklichkeit.
Fakten haben gleich eine ganz andere Bedeutung, wenn man nur das Vorzeichen ändert.
So hat mich z. B. meine Mutter mit falscher Polarisierung mein ganzes Leben belogen,
da braucht es keine Digitalisierung zu,
aber mit ist es noch einfacher.
Ein junger Mensch hat mich neulich gefragt:
"Du Hans, was ist eigentlich das Gegenteil von Virtuell ?"
Das Beispiel mit dem Finger in der Nase gefällt mir sehr gut,
es hat mir wieder eine neue Betrachtungsweise zu Beziehungen gegeben.