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Probleme mit Feiertagsgestaltungsritualen

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16.10.06, 18:14:55

drvaust

Hier treffen zwei typische Autismus-Symptome aufeinander. Die Einen wollen an gewohnten Ritualen festhalten, die Anderen wollen die Ruhe der Einsamkeit.
Ich vermute, daß der Streß und die Arbeit der Vor- und Nachbereitung nicht das Hauptproblem ist, wenn jemand keine Familienfeier will.

Mir graut es schon vor dem nächsten Weihnachten. Am liebsten würde ich mich von Anfang Dezember bis Anfang Januar einschließen, Klingel und Telefon abstellen, kein Kontakt mit normalen Menschen. Die Weihnachtsstimmung ist mir fremd und abstoßend. Wenn mir die Leute, süß lächelnd, "Schöne Feiertage" o.ä. wünschen, würde ich sie am liebsten erschlagen. Ich beneide die Menschen um ihre Weihnachtsstimmung und hasse sie dafür, das macht mich wütend und traurig.
Unsere vorige Familien-Weihnachtsfeier war eine Katastrophe. Ich habe die Pflichtveranstaltung abgeleistet, so getan als ob, aber ich kann das nicht richtig. Die Mutter war sauer, weil ihre (übertriebenen) Vorbereitungen nicht richtig gewürdigt wurden und die Stimmung nicht stimmte. Mein Bruder war sauer, weil es verkrampft war. Die Großmutter lächelte, wie immer, und war auch unzufrieden. Am Ende hat die Mutter wütend erklärt, daß sie dieses Jahr keine Feier macht, hoffentlich hält sie dieses Versprechen (unwahrscheinlich).

Liselotte, wie Du schriebst, fehlen Dir die Verwandten, die mit Dir das gewohnte Ritual durchführen. Vielleicht kannst Du ein ähnliches Ritual mit anderen Menschen feiern? Zumindest in Großstädten gibt es bestimmt Menschen, die gerne mit Dir feiern würden. Hier in Dresden werden zu Weihnachten immer Helfer gesucht, die mit einsamen Menschen feiern, in Kirchen, Alters- und Pflegeheimen, Obdachlosenasylen usw.. Als meine Großmutter im Altersheim war, sah ich den kläglichen Rest, der nicht zu Familienfeiern war, traurig. Das Personal war schon normalerweise überlastet. Da hatte ich (meine Großmutter war zur Familienfeier) dem Personal, und damit auch den Alten, geholfen und bin vor der Feier durch den Hintereingang verschwunden.
16.10.06, 23:29:06

liselotte

Hallo zusammen

Ich danke Euch für die vielen Antworten. Ich hab auch schon Adressen von in Frage kommenden Gästen gesammelt und werde diese Leute einladen. Zusammen mit meiner Wohnungspartnerin werde ich wahrscheinlich auch ein Christbaum schmücken. Mal sehen was sich daraus entwickelt.

Mit freundlichen Grüssen
Liselotte
17.10.06, 08:38:11

uppsdaneben

Zitat von Snape:
Was das Thema "man kann nur sich selbst ändern" bzw. selbst an der Situation etwas ändern an betrifft, sehe ich das nicht pauschal so, das man nur wollen muß.

Bei mir persönlich sind auch sehr viele Ängste da, die mich allein schon daran hindern, einfach mal so meine Wohnung zu verlassen oder einfach so mal ins Grüne zu fahren.


Du musst an deinen Ängsten arbeiten, sonst wird sich gar nichts ändern. Ich habe auch viele und vermutlich werde ich vor meinem Tod etliche nicht aufgearbeite haben. Aber mit jeder Angst, die ich beseitige, wird mein Leben lebenswerter.
17.10.06, 08:44:52

uppsdaneben

Zitat von Lisa M.:
Zitat:
Ich bin jetzt total verunsichert, ob ihr annähernd verstehen könnte, warum ich denke das ich nicht einfach so was ändern kann. Oder warum es mir extrem schwer fällt.


Da ist auch erstmal die Frage, ob man es denn ändern möchte. Ich hätte z.B. überhaupt keine Lust, Feiertage in so einer Einrichtung zu verbringen. Das wäre für mich der Graus.


Niemand muss sich ändern. Doch die Ausgangssituation war so, dass sich die Welt änderte und diese das überhaupt nicht tun durfte, weil es der Schreiberin nicht passte.

Als Betroffener habe ich immer das Recht, mich nicht zu ändern. Und mit den Konsequenzen muss ich leben. Keinesfalls habe ich das Recht zu erwarten, dass Andere ihren Arsch bewegen, damit es mir gut geht.
17.10.06, 09:57:28

Lisa M.

Zitat:
Niemand muss sich ändern. Doch die Ausgangssituation war so, dass sich die Welt änderte und diese das überhaupt nicht tun durfte, weil es der Schreiberin nicht passte.


Ja, stimmt - was ich da geschrieben habe, bezog sich nicht auf die Ausgangssituation, sondern auf das, was Snape über sich schrieb. Ich meinte, ob man vor seinen Ängsten zurückweicht oder sich über sie hinwegsetzt, ist eine Frage der subjektiv empfundenen Dringlichkeit. Die meisten Leute meinen übrigens, es sei eine mehr moralische Frage von Mut oder Feigheit. Aber das schätze ich nicht so ein. Bei mir jedenfalls ist das nicht so. Ich werde "mutig", wenn mir gar nichts anderes übrig bleibt subjektiv (außer noch, mich mit etwas Unerträglichem abzufinden). Vielleicht können wir daraus schlussfolgern, dass es Liselotte wirklich unerträglich fände, auf solche Feiertagsrituale einfach zu verzichten?

Zitat:
Als Betroffener habe ich immer das Recht, mich nicht zu ändern. Und mit den Konsequenzen muss ich leben. Keinesfalls habe ich das Recht zu erwarten, dass Andere ihren Arsch bewegen, damit es mir gut geht.


Das klingt hart, aber so ist das Leben. Für jeden (damit kann man sich trösten), nicht nur für von irgendwas Betroffene. Eine "weise Frau" hat geschrieben, man solle unterscheiden lernen, was "Gottes Angelegenheiten" sind, was die eigenen und was die der anderen. Jeder Mensch hat nur die Kontrolle über das, was er selbst tut, nicht über das, was die anderen tun - das ist damit gemeint.

In einem erweiterten Sinne haben Abhängige natürlich ein Recht darauf, dass man sich um sie kümmert. Ich glaube nicht, dass ein Richter sich davon überzeugen ließe, wenn eine Mutter, die ihr Kind hat verhungern lassen, argumentiert, das Kind hätte kein Recht darauf gehabt, dass sie ihren Arsch bewegt, damit es was zu essen kriegt. Auch gibt es einen Paragraphen, der "unterlassene Hilfeleistung" unter Strafe stellt.

Aber primär und zuverlässig ist es einfach Fakt, dass ich meine eigenen Hände bewegen kann, wenn ich es wünsche, aber nicht die der anderen.
17.10.06, 11:36:48

uppsdaneben

Zitat von Lisa M.:
Zitat:
Als Betroffener habe ich immer das Recht, mich nicht zu ändern. Und mit den Konsequenzen muss ich leben. Keinesfalls habe ich das Recht zu erwarten, dass Andere ihren Arsch bewegen, damit es mir gut geht.


...

In einem erweiterten Sinne haben Abhängige natürlich ein Recht darauf, dass man sich um sie kümmert. Ich glaube nicht, dass ein Richter sich davon überzeugen ließe, wenn eine Mutter, die ihr Kind hat verhungern lassen, argumentiert, das Kind hätte kein Recht darauf gehabt, dass sie ihren Arsch bewegt, damit es was zu essen kriegt. Auch gibt es einen Paragraphen, der "unterlassene Hilfeleistung" unter Strafe stellt.


Mir geht es bei der Diskussion nicht um lebensnotwendige Handlungen. Darauf hat selbstverständlich jeder Mensch Anspruch. Wenn ich ertrinke, habe ich natürlich Anspruch auf eine helfende Hand, und für meine persönliche Bequemlichkeit dagegen nicht.
17.10.06, 11:55:32

Lisa M.

Ich wollte dir da auch nichts anderes unterstellen. Nur der Vollständigkeit halber ergänzen, dass es halt schon auch Situationen gibt, in denen man den Anspruch erheben kann, dass andere einem helfen.
17.10.06, 20:05:39

Snape

danke für eure antworten !

sicher habt ihr recht, das man an seinen ängsten arbeiten sollte /muß. da will ich gar nicht widersprechen und daher mach ich ja u.a. auch therapie.

ein anderes beispiel, was vielleicht mehr erklärt, als ich es mit meinem vorigen posting schaffte:
ich fahre seit über zwei jahren jetzt dreimal die woche morgens zur ergotherapie, aber der weg von meiner wohnung zu meinem auto ist nach wie vor der horror für mich. auch wenn ich das also immer wieder übe und versuche die ängste durch gewohntheit etc. zu beseitigen, hilft es nicht ! es ist für mich in der ganzen zeit nicht einfacher geworden zu meinem auto zu gehen, obwohl ich genau weis, wo ich hin muß und den weg dahin kenne.
17.10.06, 20:18:37

arlette

überleg dir doch, das ganze so nett wie möglich zu gestalten. als ich mit dem auto zur arbeit fahren musste, habe ich 2 jahre lang immer das gleiche lied gehört. es wurde je länger je mehr eine 'kompakte routine'; schlussendlich habe ich das total vermisst und werde manchmal sogar nostalgisch, wenn ich daran zurückdenke.
 
 
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