Wann habt ihr von Asperger erfahren?
29.11.11, 23:09:14
Vendela
zur Eingangsfrage: Ich kann mich nur noch teilweise daran erinnern, wie ich es erfahren habe, das geschah so allmählich. Als Kind (4 - 8 Jahre) wurde ich immer wieder zu Ärzten, Psychologen etc. gebracht, die einen Verdacht in die Richtung (Autismus, teilweise mit HB) äußerten, musste Medikamente nehmen und zwei Therapien machen. Die zweite Therapie (Festhaltetherapie) fand ich furchtbar. Kurz danach (mit 8 Jahren) sollte ich in der Uniklinik von zwei Psycholgen eine ganz offizielle Diagnose bekommen (mit der irgendwas hätte beantragt werden sollen), aber ich habe mich geweigert, mit ihnen zu reden oder etwas zu machen, weil ich Angst hatte und nicht wusste, was kommen wird und welche Konsequenzen die Diagnose haben könnte. Sie haben dann gesagt, wenn ich gar nicht mitmache, können sie auch keine Diagnose stellen. Seitdem beschränke ich den Kontakt zu Ärzten und sonstigen Therapeuten auf das Allernötigste, aber ich hab immer wieder Hinweise unterschiedlichster Art bekommen, dass ich glaube, dass die Vermutung von damals richtig sein könnte. Hab es aber nirgends schwarz auf weiß.
Im Nachhein bin ich mir nicht sicher, ob es besser oder schlechter gewesen wäre, wenn ich bei der Uniklinik-Diagnose mitgemacht hätte. Vielleicht wäre manches dann ganz anders gekommen. Nachdem ich aber sowieso auf keinen Fall für eine Diagnose zu Ärzten / Psychologen etc. gehen würde, ist es irgendwo auch egal.
30.11.11, 16:30:58
Lenz2011
Ich wurde erst dieses Jahr mit 46 Jahren diagnostiziert. Bei mir ist es AS mit ADHS. Beides ist wohl nicht extrem ausgeprägt. Dennoch führte das gefühlte Anderssein und das permanente Überfordertsein dann ein eine Depression. Obwohl ich in den 100 Stunden Psychotherapie nicht in der Lage war über meine Gefühle so zu sprechen wie es der Therapeut erwartete und ich einmal sogar sagte dass ich mich wie behindert vorkomme kam er nicht auf die Idee Asperger zu vermuten. Seine Aussage war: "Sie hemmen sich selbst." Das Ganze schien mir so aussichtslos dass ich auch phasenweise Selbstmordgedanken hatte. Ganz am Ende der Therapie, als ich selber auf das AS gestoßen war und meine Vermutung in der Therapie auch ansprach hiess es nur: "Schauen Sie mehr nach innen und suchen Sie die Ursache nicht immer außen." Wenn AS nicht innen ist, dann weiß ich auch nicht.
Die Diagnose brachte erstmal eine momentane Erleichterung weil es einen Grund und einen Namen für das Anderssein gab. Die Probleme sind aber noch lange nicht gelöst. Erst so langsam wird mir klar, dass die Ursache für meine Probleme und die Überforderung darin liegt, dass ich immer "normal" sein wollte und versucht habe mich anzupassen und wie ein NT zu verhalten. Das hat zwar lange Zeit ganz gut funktioniert, führte letztlich aber in eine Sackgasse. Bei dem Weg da heraus bin ich erst ganz am Anfang.
01.12.11, 07:15:55
Loni
geändert von: Loni - 01.12.11, 07:38:18
Du hast dich, obwohl du da bist und offensichtlich gewollt bist, selbst angezweifelt?
Solltest du nicht jeden Tag feiern, dass es dich gibt und dass dein Hier-Sein einen Sinn und einen Platz hat?
Warum willst du eine Diagnose, also bildlich gesehen,
ein "Preisschild" auf der Stirn tragen;)?
trifft leider nicht auf mich zu, denn ich bin NICHT gewollt. Ich wurde schon im Mutterleib lautstark als Unfall verflucht.
Meine Adoptivmutter hat die Adoption bereut und empfand mich nur noch als lästig. Nach meinem ersten Suizidversuch hat sie mich in eine geschlossene Anstalt gesteckt in der ich medikamentös auf Schizophrenie behandelt wurde.
Und meine Kinder haben vor vier Jahren den Kontakt abgebrochen, weil ich "peinlich" bin.
Dabei geht es doch nur um Begriffe, nicht um die Erkenntnis an sich, daß Vieles tatsächlich eins ist? Wieso soll sich das in Luft auflösen, nur weil sich die Sache "Autismus" nennt?
ach so
dann musst du den untertitel unter deinem usernamen eben umändern.
von "asperger-autistin" in "autistin"
oder wir sparen uns mal ganz die label und freuen uns darüber dass wir zu anderem denken fähig sind? ;)
stimmt, das werde ich tun :)
Und zum Thema: ich habe mich immer gefühlt wie hinter Glas. Auch Menschen die mir nahe kamen in meinem Leben haben mir gesagt dass sie eine Distanz spüren und sich deshalb nicht richtig angenommen fühlen. Ich habe die Anderen nie verstanden und auch nicht verstanden was an mir so ärgerlich ist. Aber erklären konnten sie es auch nie.
So bin ich dann mit einem sehr geringen Selbstwertgefühl durchs Leben geschlichen und habe meine Umwelt dadurch nur noch mehr gereizt.
Später dann wurde ich sehr aggressiv.
Das Kennenlernen einer Aspergerin vor einem Jahr und das mich Belesen über das Thema ließ mich endlich verstehen. Und damit ging es mir dann gleich viel besser.
Auch der Test ließ keinen Zweifel.
Einen ärztlichen Ansprechpartner habe ich inzwischen auch.
01.12.11, 07:47:48
Lenz2011
Du hast dich, obwohl du da bist und offensichtlich gewollt bist, selbst angezweifelt?
Solltest du nicht jeden Tag feiern, dass es dich gibt und dass dein Hier-Sein einen Sinn und einen Platz hat?
Warum willst du eine Diagnose, also bildlich gesehen,
ein "Preisschild" auf der Stirn tragen;)?
An der Stelle bin ich zwar nicht angesprochen, es passt aber.
Gewollt bin ich ebenfalls nicht - wurde aber akzeptiert, als ich da war.
Dass mein Sein einen Sinn hat, mag sein, aber zu welchem Preis? Zu 80 % des Tages spiele ich Rollen nach antrainierten und abgeguckten Regeln, mal mehr mal weniger gut. Bei den restlichen 20 % habe ich ständig das Gefühl, das das jetzt nicht o.k. ist, aber im besten Fall geduldet wird. Ist das nicht genug Grund für Selbstzweifel?
Kann es sein, dass reine Asperger nicht unbedingt zu übertriebenen Selbstzweifeln neigen sondern dass diese eher in Komorbiditaten wie ADHS begründet sind?
Versteht mich bitte nicht falsch. Ich finde das Zitat von Fundevogel sehr schön und würde mir diese Ansicht gerne zu eigen machen, es gelingt mir aber bisher nicht, es so auch zu empfinden und zu spüren.
02.12.11, 22:16:39
Fundevogel
Loni und Lenz2011: Das Gewolltsein betrachte ich "bei Weitem" nicht nur als einen Willensakt von zwei liebenden Menschen sondern im natürlichen/göttlichen Sinne als einen abgeschlossenen Schöpfungsakt als Dasein als Geschöpf und etwas Schöpferisches. Über Glück oder Unglück unseres Seins entscheidet nicht, wie wir gesehen werden, sondern wie wir uns sehen.
Im Hydepark stand ein Prediger und erzählte von der Schönheit und ERhabenheit der Schöpfung. Da nahte ein bucklig/verwachsener Mann und sagte zum Prediger: "Wie kannst du von der Schönheit der Schöpfung reden, schau mich an, was an mir ist denn schön und erhaben? Der Prediger anwortete: "Ich weiß nicht was du siehst, ich sehe, dass du für einen Buckligen ein wunderschönes Exemplar abgibst."
Manchmal muss man sich von sich selbst verabschieden, um woanders hingehen zu können.
02.12.11, 22:32:45
schuschu
Deine Worte berühren mich sehr, Fundevogel.
Es ist mir ein Bedürfnis, mich Deinem Beitrag anzuschliessen.
Und es ist dem von mir nichts hinzuzufügen.
03.12.11, 06:09:07
Loni
geändert von: Loni - 03.12.11, 06:12:14
Guten Morgen, :-D
meine erste Antwort auf Fundvogels Beitrag ist bitte als Reaktion zu sehen, nicht als Jammern und Klagen. Denn von meiner Vergangenheit bin ich so weit entfernt, als gehöre sie nicht zu mir.
Von Gott fühle ich mich geliebt und angenommen und getragen.
Danke für Deinen letzten Beitrag, Fundvolgel :-)
03.12.11, 12:04:15
Lenz2011
Danke für eure Beiträge. Loni, wenn du das so spürst ist das wunderbar! Nach dem was du schreibst war deine Vergangenheit ja geradezu traumatisierend.
Leider bin ich irgendwie noch nicht so weit. Obwohl ich in der letzten Zeit so viele positive Begegnungen hatte, sowohl elektronisch in Foren als auch in Wirklichkeit z.B. mit Kollegen und ich jeden Tag die Liebe und Zuneigung meiner Familie erleben darf komme ich mir immer falscher vor...Ich kanns mir nicht erklären.
03.12.11, 14:05:24
Fundevogel
Lenz2011: Die Hamburger Intendantin und Schauspielerin Ida Ehre erzählte sinngemäß in einem Interview, dass sie als Frau eines Halbjuden verhaftet und mit ca. 30-40 Personen in einen großen Kerker eingesperrt wurde. Es habe ihnen an nichts gefehlt (Essen, sanitäre Einrichtungen, Waschgelegenheiten). Zu ihrem großen Erstaunen hätten sich am anderen Morgen bereits ein Viertel der eingesperrten Menschen nicht mehr gewaschen, am nächsten Morgen bereits die Hälfte nicht mehr. Diese SelbstAufgabe habe sie sehend gemacht.
03.12.11, 14:51:53
Lenz2011
Das ist eine interessante Geschichte, aber ich verstehe den Zusammenhang jetzt nicht.
03.12.11, 15:00:49
wolfskind
lenz, selbstaufgabe kann auch sein dass man sich nicht so annehmen kann wie man ist.
03.12.11, 23:11:29
Lenz2011
Vielen Dank für eure anregenden Beiträge. In diesem Forum sind ganz bemerkenswert sensible und aufmerksame Menschen aktiv.