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Hilfe gesucht!

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11.11.11, 14:46:59

Gast

Moin!

Kurze Vorstellung:

Ich bin Erzieherin und arbeite seit kurzem als integrative Schulbegleitung. Autismus ist für mich ein relativ neues Feld, zumindest was die intensive Beschäftigung mit dem Thema und die Förderung autistischer Kinder betrifft.
"Mein" Junge hat die Diagnose Asperger und ist 15 Jahre alt. Die Diagnose wurde erst sehr spät gestellt. Er besucht eine Regelschule und meine Aufgabe ist ihn in schulischen Belangen und im sozialem Leben zu unterstützen.

Da ich nun noch nicht über große Erfahrungswerte verfüge (ich hatte mal einen autistischen Kollegen, aber das ist was anderes), wollte ich es langsam angehen lassen, den Jungen und seine Familie besser kennenlernen, noch viel mehr darüber lesen, beobachten...

Aber wie das so ist, stehen wir gerade vor einem Problem das zeitnah gelöst werden muß und es wäre schön wenn jemand von euch einen Ratschlag für mich hätte.
Mein Junge (im folgenden mal Thomas genannt) nimmt sehr häufig Körperkontakt zu einem seiner Klassenkameraden auf, ankuscheln, anfassen, Hand geben usw. Einmal hat er ihn in den Schritt gefasst, das war allerdings vor meiner Zeit. Diesem Klassenkameraden ist das sehr unangenehm und er sagt Thomas auch, daß er das nicht nicht möchte und daß er aufhören soll. Er ist dabei sehr freundlich, aber auch sehr hilflos, denn Thomas hört einfach nicht auf oder nur für kurze Zeit.

Vor einiger Zeit haben schon Gespräche dazu stattgefunden, woraufhin Thomas seinen Klassenkameraden beschimpft hat, sich einige Wochen später dafür entschuldigt hat und alles wieder von vorn begann.

Das ist für beide eine blöde Situation und ich würde das jetzt gern mal grundlegend klären, nur wie mache ich das am besten? Da vorherige Gespräche nichts gebracht haben, möchte ich das gern richtig angehen...

Wäre toll, wenn ihr Tipps für hättet.

Liebe Grüße
E.
11.11.11, 22:35:19

55555

Was an "Thomas" kann überhaupt als autistisch betrachtet werden? Auf mich wirkt das erstmal eher wie ADS oder so.
11.11.11, 23:49:59

lächeln

Hat "Thomas" schon einmal geäußert, warum er es macht?
lg
12.11.11, 11:40:16

Gast

Zitat von 55555:
Was an "Thomas" kann überhaupt als autistisch betrachtet werden? Auf mich wirkt das erstmal eher wie ADS oder so.


Meine Tochter hat ADS und das ist definitiv ganz anders, sie ist abwesend, Thomas wirkt nur abwesend. Das merkt man sehr deutlich. Ich weiß nicht, ob Asperger wirklich die richtige Diagnose ist, dazu kenne ich ihn zu wenig und habe schon zu oft erlebt, daß Psychologen die falsche Diagnose stellen, aber soweit ich das beurteilen kann sind autistische Verhaltensweisen da.

@lächeln

Er sagt, daß er ihn mag und gern sein Freund sein möchte.

Eine Zeitlang haben sie sich wohl nachmittags ab und an getroffen, bis Thomas eben angefangen hat ihn ständig zu berühren, daraufhin hat sich sein Klassenkamerad zurückgezogen. Das ist jetzt nur das was ich von der Mutter und der voherigen Schulbegleitung weiß.
Die Situation ist mittlerweile total verfahren. Der Klassenkamerad möchte das nicht, ist aber auch nicht wirklich in der Lage sich richtig abzugrenzen, er will Thomas halt nicht wehtun. Was in Thomas selbst vorgeht kann ich nur vermuten.
Ich finde das sehr schade, sicher hätte das ganz anders laufen können, aber nun ist es halt so.

P.S.
Ich lerne noch....sollte ich mich also hier mal ungemessen verhalten oder mich falsch ausdrücken, von falschen Vorraussetzungen ausgehen, dann wäre es lieb, wenn ihr mir das sagt, ich da ganz offen.

Und danke für die Antworten.

Liebe Grüße
E.
12.11.11, 14:00:33

55555

Zitat von Gast:
Meine Tochter hat ADS und das ist definitiv ganz anders, sie ist abwesend, Thomas wirkt nur abwesend. Das merkt man sehr deutlich.

Das hältst du für quasi den maßgeblichen Unterschied?
Zitat:
aber soweit ich das beurteilen kann sind autistische Verhaltensweisen da.

Welche sind das?
13.11.11, 12:39:59

E.rina

geändert von: E.rina - 13.11.11, 12:41:47

Ich hab mich jetzt mal richtig angemeldet, dann ist es übersichtlicher als wenn ich immer über den Gastzugang schreibe.

Zitat von 55555:

Das hältst du für quasi den maßgeblichen Unterschied?


Nein, aber für einen der großen Unterschiede zwischen den beiden. Es gibt natürlich noch viel mehr.

Zitat:

Welche sind das?


Ich mach das mal stichwortartig, wenn das ok ist...

- er meidet Blickkontakt, wenn er mich anspricht oder selbst angesprochen wird schaut er zwar meist kurz auf, aber dann geht der Blick in eine andere Richtung

- motorische Ungeschicklichkeit, z.B. beim Werken, beim Kochen, aber nicht bei Gartenarbeit

- schlechtes Schriftbild, es sieht ähnlich aus wie Sütterlinschrift

- er nimmt alles wörtlich, kein Verständnis für Sarkasmus oder Ironie, für, ich nenne es mal dumme Sprüche, wobei letzteres sich auf Aussagen von Erwachsenen bezieht, bei seinen Mitschülern weiß er offenbar, daß das nicht ernst gemeint ist

- er mag Sprachspiele mit Städten, hat auf dem Gebiet Städte auch ein großes Wissen

- er fragt gern nach bestimmten persönlichen Dingen, Geburtstage und die dazugehörigen Feiern z.B. oder in welchen Ländern und Städten man schon mal gewesen ist

- er hat ein großes Interesse an amerikanischen und englischen Sportarten, scheinbar aber nur in Teilbereichen, also z.B. was Baseball wörtlich übersetzt heißt und das Schlagen des Balls fasziniert ihn, daß man auch noch laufen muß im Verlauf des Spiels ignoriert er scheinbar

- bis auf zu dem bereits genannten Klassenkameraden nimmt er keinerlei Kontakt zu anderen Schülern auf

- er hat eine sehr gute Rechtsschreibung und mag keine falschgeschriebenen Wörter, aber er hat probleme damit, daß ein Verb ab und an auch mal groß geschrieben wird

- er killert, wann immer irgendwo Tinte zu sehen ist, auf dem Tisch, an den Fingern, manchmal habe ich den Eindruck, daß er Wörter absichtlich falsch schreibt, um dann killern zu können

- er hat einen ausgeprägten Sockentick, wenn eine Socke ein Loch hat geht das für ihn gar nicht, ohne Socken ins Bett geht auch nicht, lose oder hervorstehende Fäden werden sofort beseitigt, wenn er lange Strümpfe anhat zieht er sie auch manchmal über die Schuhe

Das ist jetzt nur ein Teil dessen was ich beobachtet habe, ich hoffe das verschafft einen groben Überblick.
Ich maße mir nicht an zu sagen das alles sind autistische Verhaltensweisen, in der Gesamtheit scheint es mir aber so.
14.11.11, 13:43:33

55555

Diese Beobachtungen können tatsächlich als Hineis auf Autismus gedeutet werden. Dennoch bleibt das geschilderte Verhalten für mich ungewöhnlich, wenn man Autismus annehmen würde. Offenbar ist z.B. daß er gemachte Vereinbarungen (ist es sicher, daß eine faire Vereinbarung aus seiner Sicht wirklich getroffen wurde?) nicht einhält. Inwieweit hat ihm jemand in Ruhe mal erklärt, daß der andere Junge diese Berührungen nicht möchte und was diese bei ihm auslösen (das setzt voraus, daß der Erklärende es selbst weiß, irgendwas zu erfinden wäre wohl weniger hilfreich, wenn es sich tatsächlich um einen Autisten handeln sollte)? Hat ihn mal jemand ebenso in Ruhe gefragt, was diese Aktionen für ihn bedeuten, eventuell im Beisein des anderen Jungen und was hat er darauf angegeben?
14.11.11, 18:23:35

E.rina

Was genau findest Du denn ungewöhnlich? Daß er sich nicht an eine Vereinbarung hält? Oder noch etwas anderes?

Ich weiß nicht inwieweit das geklärt wurde, ich weiß nur daß es darüber Gespräche gab, durchaus möglich daß das nicht eindeutig und in Ruhe besprochen wurde.

Heute habe ich erfahren, daß er seiner Mutter gegenüber wohl geäußert hat in seinen Klassenkameraden verliebt zu sein und ob das bedeutet, daß er schwul ist. Seine Mutter hat das rigoros verneint. Das ist aber alles nur Hörensagen, ich bin nicht dabei gewesen und bei mehreren Personen ist es immer schwierig zu beurteilen was nun wirklich gesagt wurde oder doch nur Vermutung ist.

Rein intuitiv würde ich sagen es sollte nochmal ein Gespräch stattfinden, am besten mit beiden zusammen mit genau den Fragen, die Du ansprichst, nur ist das in dem Alter natürlich ein sensibles Thema und ich kenne die beiden noch nicht so lange.
14.11.11, 22:57:23

55555

Zu hoch hängen sollte man es in der Gesprächsatmosphäre auch nicht, es sollte schon klar werden, daß es darum geht zu verstehen. Wenn es aus seiner Sicht eine Vereinbarung gab finde ich das Verhalten ungewöhnlich ja. Es könnte vielleicht damit erklärt werden, daß er gelernt hat "ja" zu sagen und dann doch zu tun was er gerne will. Ich kenne das Elternhaus nicht, vielleicht wurde dort zuviel Druck gemacht, ihm allgemein zu wenig Freiraum gelassen vielleicht auch Z.B. in Form einer ABA-"Therapie", so daß er psychisch keine andere Wahl hatte als sich "auszuklinken" wenn auf ihn eingeredet wird.
15.11.11, 12:55:31

Vendela

Wenn es möglich ist, würde ich erst einmal nur mit ihm allein in Ruhe darüber reden, weil es ein sensibles Thema ist. Außerdem könntest du ihn so besser kennen lernen, ihn und seine Beweggründe besser verstehen, mehr über die Vorgeschichte (aus seiner Sicht) erfahren und eine Beziehung als Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit mit ihm aufbauen.
Erst danach würde ich in Absprache mit ihm ein "offizielles" Gespräch mit beiden anberaumen.
15.11.11, 14:56:06

E.rina

Danke für eure Antworten.

@55555

Er hat definitiv gelernt "ja" zu sagen, das bezieht sich zumindest auf Verständnisfragen. Zum Elternhaus kann ich sagen, daß es viel Freiraum gibt, in einigen Dingen aber auch Druck, daran muß definitiv noch gearbeitet werden (Druck wegnehmen). Inwieweit das alles dieses Problem betrifft versuche ich noch herauszufinden.
Meinst Du mit "zu hoch hängen" keine große Sache daraus machen?

@Vendela

Ja, ich denke Du hast recht. Ich muß mal schauen wie ich mir für solche Dinge Freiraum in der Schule schaffe. In den Pausen mag er nicht reden und zwingen möchte ich ihn nicht.

Einen Schritt habe ich gestern unternommen. Ich habe seinem Klassenkameraden gesagt, daß er Thomas ruhig sagen soll, daß er nicht berührt werden möchte, also eine klare Aussage treffen, nicht lediglich eine abwehrende Haltung einnehmen, die möglicherweise nicht verstanden wird.
Daraus ergab sich heute morgen folgender Dialog nach wiederholtem Hände geben und diversen Berührungen:

K: "Lass das bitte sein!"
Thomas reagiert nicht.
K: "Hör auf jetzt!"
Thomas: "Wir scherzen doch nur."
K: "Nein, ich will das nicht, das nervt."
Thomas: "Du nervst auch! Du bist böse! Böser K.!
Thomas geht weg, kommt aber kurz danach wieder und stellt sich wieder dazu.
Den Rest des Tages ist nichts mehr vorgefallen. Ich hoffe , daß das so ok war. Besprechen sollten wir (Thomas und ich erstmal) das trotzdem noch, denke ich, auch wenn vorerst nichts mehr passiert.

15.11.11, 16:14:40

55555

Zitat von E.rina:
Meinst Du mit "zu hoch hängen" keine große Sache daraus machen?

Wichtig ist die Sache ja schon, ich meine eher, daß man das besser im kleinen Kreis klären sollte.
 
 
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