Tipps für den Unialltag
14.10.10, 17:50:50
Sepio
Hallo,
ich bin neu hier im Forum, 19 Jahre und Asperger.
Ich habe vor Kurzem mein Studium begonnen.
Nun wollte ich euch fragen, was ihr für Erfahrungen bezüglich eines Studiums gemacht habt und welche Tipps ihr habt, den Unialltag zu meistern.
Wie seid ihr zurecht gekommen mit unregelmäßigen Vorlesungszeiten, dem hohen Maß an geforderter Selbstständigkeit, vollen Hörsälen?
Momentan bin ich kurz vor dem Verzweifeln. In den Vorlesungen fühle ich mich allein schon durch durch die Menschenmenge abgelenkt. Überall redet jemand, der Nachbar sitzt viel zu nah neben einem, ständig stößt einen jemand an. Wie soll man bitte irgendetwas mitbekommen, was der Professor erzählt? Wenn dieser seinen Vortrag mit grellbunten Präsentationen begleitet, in denen das Gesagte noch einmal mit anderen Worten steht, plötzlich ein Video gezeigt wird, was er gleichzeitig noch kommentiert und er wenige Sekunden später auch noch seine Powerpointpräsentation durch eine Tafelanschrift ergänzt. Und das in einem Tempo, dem nicht zu folgen ist.
Vorhin wäre ich am liebsten schreiend aus dem Hörsaal gerannt.
Wie ist es möglich, da etwas zu lernen? Überhaupt den Unialltag zu "überleben"?
14.10.10, 20:56:17
zoccoly
geändert von: zoccoly - 14.10.10, 20:59:47
Bei meinem Erststudium (ist nun eine Ewigkeit her und mit deinem sicher nicht vergleichbar)habe ich auch immer nur die Hälfte mitbekommen, habe dann nachts aus Büchern mir das Wissen selbst angeeignet, da ich nachlesen musste.
Mein Sohn "ziehe" ich manchmal aus dem Studium raus bzw. er kommt selbst, damit er für einige Wochen wieder Kräfte sammelt.
Ansonsten haben wir den Hochschulort nach bestimmten Kriterien ausgewählt. (relativ klein, übersichtlich, geordneter Studienablauf, WG 5 min vom Campus) Vorlesungen müssen nicht zwingend besucht werden. Einige Professoren veröffentlichen zu ihren Veranstaltungen gute Scripte im Netz.
Eine Abstimmung mit Kommilitonen ist dabei aber unerlässlich.
Eine Anwesenheitspflicht existiert i.d.R. nicht.
14.10.10, 20:58:57
horrorvren
Hallo Sepio,
Ich habe auch vorgestern mein Studium begonnen. Ich kann dir zwar im Moment noch nicht viel konkretes raten, da ich ja auch noch in der "Anfangsphase" stecke, aber vielleicht können wir uns ja ein bisschen gegenseitig unterstützen und Erfahrungen austauschen.
Zu den Vorlesungen, bei uns ist es so, dass man die Skripte für alle Vorlesungen bekommt. Und bei Vorlesungen herrscht normalerweise keine Anwesenheitspflicht.
Man muss also nicht unbedingt da hingehen, sondern kann sich auch alles aus den Skripten und evtl. empfohlener Literatur aneignen. Wenn du alleine gut lernen kannst, wäre das evtl eine Möglichkeit.
Mehr weiß ich im Moment nicht, bin auch gerade ziemlich fertig von der Uni, aus ähnlichen Gründen wie du.
lg horrorvren
Edit: ich sehe, zoccoly ist mir in einigen Punkten zuvorgekommen ;)
14.10.10, 22:13:05
feder
geändert von: feder - 14.10.10, 22:24:34
In Vorlesungen bin ich meistens nicht anwesend, die Powerpointpräsentationen sind i.d.R. im Internet verfügbar und da kann ich mir den Stoff dann selber anlesen. Bei präsenzpflichtigen Veranstaltungen versuche ich möglichst Veranstaltungen zu wählen, die nicht mehrheitstauglich sind und entsprechend wenige Teilnehmer haben – meine Interessen unterscheiden sich aber allgemein auch innerhalb meines Studiums von denjenigen der Mehrheit. Präsenzpflichtige Pflichtveranstaltungen, bei denen es keine Wahlmöglichkeiten gibt, sitze ich irgendwie ab – sind in meinem Studium eh nicht so viele.
Bei der Wahl der Veranstaltungen achte ich ausserdem darauf, dass die zeitlich so liegen, dass ich nicht täglich von Morgens bis Abends unterwegs sein muss, sondern möglichst zusammenhängende "Blöcke" habe, um dann auch entsprechend viel veranstaltungsfreie Zeit zu haben, die ich dann irgendwo verbringen kann, wo ich mich auch tatsächlich konzentrieren kann.
15.10.10, 07:07:16
Leah
Mir ist es persönlich sehr wichtig, bei allen Vorlesungen anwesend zu sein, da ich auf die mündlichen
und schriftlichen Ausführungen des Dozenten angewiesen bin, um den Stoff zu verstehen
und abzuspeichern. Ich versuche immer, eine Art "Kommunikationstunnel" zum Dozenten aufzubauen (analog zu VPN bei Netzwerken), der dazu dienen soll, alles andere um mich herum auszublenden.
Das Semester hat vor zwei Wochen begonnen und die erste Woche hat mich sehr belastet. Viel zu eng, zu viele fremde Gesichter, quatschende Kommilitonen ... Aber in der zweiten Woche lief es schon besser. Es gibt ja auch immer eine "natürliche Fluktuation" von Studenten, die jetzt erstmal das "lockere" Studentenleben "genießen" wollen - dadurch werden die Veranstaltungen sowieso leerer und ruhiger. Und mit der zeitlich abhängig sinkenden Fremdheit der Gesichter sinkt das eigene Stresslevel ebenso.
15.10.10, 07:52:09
Sepio
Vielen Dank für die vielen Antworten.
@zoccoly: Mein Studienort ist zum Glück relativ klein und überschaubar (zumindest was die Uni angeht, der Rest der Stadt interessiert mich relativ wenig). Die Lehrorte befinden sich alle auf dem Campus, ich wohne im Studentenwohnheim nur wenige Minuten entfernt.
Da bin ich sehr froh darüber, dass mir viele Fahrzeiten erspart bleiben.
In den Vorlesungen nicht anwesend sein kommt für mich nicht in Frage. Erstens steht es auf meinem Stundenplan also ist es für mich selbstverständlich, dort hinzugehen. Zweitens versuche ich wenigstens die wesentlichen Stichworte aufzunehmen, um später zu wissen, was ich selbstständig erarbeiten muss. Aber genau das fällt mir extrem schwer. Früher in der Schule sagte der Lehrer genau, bis Datum xy habt ihr diese und jene Aufgabe gelöst. Das ging gut, ich hatte meine Aufgaben erledigt zum entsprechenden Termin. Das fehlt mir jetzt vollkommen. Was genau soll ich erarbeiten und wann? Das für mich ein riesiges Problem, ich bekomme fast nichts erledigt.
@Leah: So habe ich bis jetzt in der Schule immer gelernt, im Unterricht verstehen und abspeichern.
Habe jetzt schon versucht, möglichst in der ersten Reihe zu sitzen, um möglichst wenig Störfaktoren zwischen mir und dem Dozenten zu haben. Ich finde es leichter, die Geräusche hinter mir auszublenden. Aber es gelingt mir nicht, es sitzen dort nicht mehr zehn Personen wie in der Schule, sondern 500. Ich kann den Ausführungen der Professoren nicht folgen, ich höre die einzelnen Wörter, verstehe aber nicht den Sinn des Gesagten. Sie könnten genausogut Chinesisch sprechen.
Wird das mit der Zeit einfacher? Gewöhnt man sich irgendwann an Menschenmassen und Geräuschpegel?
@feder: Ich habe sowohl Tage mit zusammenhängenden "Blöcken" als auch welche mit viel Pause dazwischen. Ich weiß nicht, was mir besser gefällt. Einerseits finde ich es angenehm, alles hintereinander weg "abgearbeitet" zu haben und dann für den Rest des Tages alleine sein zu können. Andererseits finde ich es sehr anstrengend, mehrere Vorlesungen hintereinander hören zu müssen, sodass es gut ist, Freiblöcke zu haben, wo ich Nachhause gehen kann, da ich fast neben der Uni wohne. Ich weiß nicht, was ich lieber mag. Auf jeden Fall finde ich es unangenehm, dass es jeden Tag unterschiedlich ist.
@horrorvren: Ich denke, etwas gegenseitige Unterstützung und Erfahrungsaustausch ist gerade am Anfang eine gute Idee. Ich wünsch dir viel Erfolg für dein Studium.
15.10.10, 10:49:59
feder
An Menschenmassen und Geräuschpegel habe ich mich bislang nicht gewöhnt, trotz fortgeschrittenerem Studium, weswegen ich dem mittlerweile möglichst aus dem Weg gehe.
Um nach Hause zu fahren, muss ich quer durch die Stadt – einerseits dauert das ziemlich lange und andererseits will ich mir den Weg auch nicht unbedingt unnötig oft antun.
15.10.10, 13:04:52
Leah
@sepio: 500 Menschen in einem Raum ist extrem viel, bei uns sind es "nur" ca. max. 80, dafür sind die Hörsäale dementsprechend kleiner, der relative Füllstand vermutlich vergleichbar.
Für mich gibt es zur Senkung des Stresslevels folgende Prioritäten:
1. Ich muss die Rämlichkeiten kennen (wo muss ich hin, wie komme ich dorthin, wie sieht es dort aus).
2. Ich muss die Dozenten (wiederer-)kennen und ihre Namen wissen.
3. Ich muss meinen Stundenplan mit Uhrzeiten auswendiglernen.
4. Ich muss ein paar wenige Kommilitonen wiedererkennen und ihre Namen wissen.
Ich konnte jetzt feststellen, dass alle Punkte zeitabhängig sind, d.h. es wird wirklich besser, wenn man die Aufmerksamkeit erstmal dahin lenkt, dann kann man (jedenfalls ich) Störeinflüsse in der Vorlesung besser ausblenden.
Ansonsten sitze ich auch immer in der ersten oder zweiten Reihe; solange nicht direkt hinter mir oder in unmittelbarer Nähe jemand quatscht kann ich die anderen Nebengeräusche mittlerweile recht gut ausblenden.
Was mir noch sehr schwer fällt ist, wenn der Dozent gleichzeitig spricht und schreibt, alles mitzubekommen worum es geht, aber nur dann, wenn ich selbst gerade am mitschreiben bin.
Woran ich mich aber wohl nie gewöhnen werde: vollkommen überfüllte Trambahnen. Die ständige Ganzkörperkontakt stresst mich extrem, weswegen ich nun auf ein anderes Verkehrsmittel ausgewichen bin.
15.10.10, 20:45:59
sebihepp
Mir machen die Vorlesungen auch sehr zu schaffen. Ich studiere in Heidelberg Informatik und in LA1 sind wir über 680 Studenten. Der größte Hörsaal ist für nur 600 gedacht. Es müssen immer welche auf dem Boden sitzen.
Ich habe bisher auch fast nie die Vorlesungen besucht und mir stattdessen das Wissen selbst angeeignet. Blöd finde ich noch den Stress mit den Übungsgruppen. Wir müssen Aufgaben lösen und abgeben und bekommen dafür Punkte. Jede Klausur hat so eine Mindestpunktzahl, sonst darf man nicht mitschreiben. Nachdem ich die Professoren auf Asperger angesprochen habe gab es jedoch immer eine Möglichkeit doch mitzuschreiben. Sei es einfach so eine Zulassung oder ich sollte eben 2 Klausuren schreiben und dann werden die Punkte der zweiten als Übungspunkte gerechnet.
Okay, es ist spät. Ich muss leider aufhören, aber schreibe Morgen vielleicht nochmal weiter. Schönen Abend noch.
Viele Grüße
Sebihepp
15.10.10, 21:24:34
Herr Meier
Regelungen wie z.B. Anwesenheitspflicht sind an unterschiedlichen Universitäten und z.T. sogar an einzelnen Instituten unterschiedlich geregelt. Bei vielen Veranstaltungen besteht zwar offiziell eine Anwesenheitspflicht. Viele Professoren, die selbst in ihrer Studienzeit die Rechte erkämpft haben, die uns heute wieder weggenommen werden, sehen das aber nicht so eng. Bei sehr großen Teilnehmerzahlen ist es auch aus praktischen Gründen häufig gar nicht möglich, die Anwesenheit zu kontrollieren. Real wird es also nicht immer so streng gehandhabt wie es auf dem Papier gedacht ist.
Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, daß es schon Sinn macht, wenn man meistens da ist. Die gesamten Inhalte nur aus der Literatur nachzuarbeiten stelle ich mir extrem schwierig vor. Das habe ich nur in einem Seminar gemacht, an dem ich aus Zeitgründen nicht teilnehmen konnte. Da wir das Thema in der Meisterschule schon intensiver bearbeitet haben, habe ich die Klausur trotzdem bestanden.
Die großen Gruppen sind natürlich nicht unbedigt von Vorteil. Es gab in meinem Studium allerdings sehr wenige Veranstaltungen, in denen man deshalb nichts mitbekommen hat. Man merkt schon, daß die Leute alle Interesse haben und lernen wollen und sich daher sehr diszipliniert verhalten. Auch bei 150 Teilnehmern in einem Raum, der für 50 gedacht war, konnte ich selbst mit meiner leichten Hörschwäche noch das meiste mitbekommen. Schlimmer war der Sauerstoffmangel, ich bin öfter mal eingeschlafen und das lag nicht an den Inhalten der Seminare.
Obwohl ich absolut kein Freund von großen Menschenansammlungen bin, hat mir das im Studium nicht viel ausgemacht. Das ist einfach anders als bei sonstigen Massenveranstaltungen. Man ist da mit Leuten zusammen, die die gleichen Ziele und Interessen haben und mindestens 90% davon waren sehr angenehm. Auch die Gruppenarbeiten haben fast immer gut funktioniert, selbst dann, wenn man sich die Gruppe nicht nach Sympathie ausgesucht hat, sondern sich die Leute durch Zufall zusammengefunden haben, z.B. weil ihnen gerade der Termin für das Referat am besten paßte.
Ich habe jetzt mein Studium fast hinter mir und kann nur sagen: Es hat viel Spaß gemacht, mal abgesehen von einem gewissen Leistungs- und Zeitdruck und daß ich einfach Prüfungen aller Art hasse. Aber die Kommunikation unter den Studenten und auch mit den Dozenten habe ich fast immer als positiv empfunden.
18.10.10, 16:29:57
Sepio
geändert von: Sepio - 18.10.10, 19:12:36
Direkte Anwesenheitspflicht gibt es hier kaum, allerdings ist ein sehr hoher Praxisanteil enthalten, sodass in fast jedem Fach die Teilnahme an Praktika und Exkursionen nachgewiesen werden muss. Und die dafür notwendige Vorbereitung ist im Selbststudium nur schwer oder oft nicht möglich (aktenkundige Arbeitsschutzbelehrung, Verhalten im Labor...).
Wobei, wenn ich überlege, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass zeitgleich 300 Studenten im Labor stehen, werden die Praktika, zumindest was die Personenanzahl angeht, eher ruhig.
Zu Leahs Prioritätenliste bezüglich Stresslevel:
Ich habe selbst schon gemerkt, dass ich deutlich entspannter in eine Vorlesung gehe, wenn ich vorher genau weiß, wo sie stattfindet und wie ich hinkomme. In den ersten Tagen bin ich mit Campusplan die Wege abgelaufen, um dann nicht unter Stress und Zeitdruck den Raum zu suchen.
Stundenplan hab ich auch schon auswendig gelernt, trotzdem schaue ich vor jeder Stunde mehrmals drauf, um wirklich sicher zu sein, dass ich richtig bin.
Wie habt ihr es geschafft/ wie schafft ihr es, euer selbstständiges Studium zu organisieren? Mein Problem ist, ich weiß genau, dass ich etwas tun muss, aber nicht was und bis wann. Letztendlich tue ich nichts oder zu wenig und schiebe die Arbeit vor mir her.
19.10.10, 07:04:33
Leah
Ich mache mir eine Liste, bis
wann ich
was erledigen muss. Die arbeite ich dann nach und nach ab. Es gibt z.B. einen Tag, an dem ich z.B. vormittags frei habe, der ist dafür fest eingeplant, ebenso wenn ich nachmittags nur eine Vorlesung habe (sind bei mir zwei Tage) und am Wochenende noch jeweils ca. zwei Stunden (nach Bedarf). Auf jeden Fall habe ich zum Ziel, dass ich am Sonntag alles erledigt habe, was auf meiner Liste für die folgende Woche steht.