Können Autisten trösten?
23.12.09, 11:41:35
mor
@AutistAlsFreund
Ich hatte mal eine Freundin, die ich kennengelernt hatte. Sie war wegen etwas traurig und weinte. ich wusste nicht, wie ich sie trösten sollte und habe es jemanden anderem überlassen, sie zu trösten. Da war ich ca 17.
Vor Wochen oder Monaten sah ich eine Frau oder Mädchen, das weinend auf einer Treppe sas und ich hatte es bemerkt. Habe sie angesprochen, aber sie antwortete nicht. Dadurch wusste ich nicht, was sie hatte und ich holte da eine erwachsene Person, dass sie sich mal um sie kümmert.
Was ich damit schreiben möchte, wie soll man selber Personen trösten, wenn man Berührungen scheut und andere Leute nicht berühren mag (Mutter ausgeschlossen).
Gruß
mor
23.12.09, 11:51:51
55555
geändert von: 55555 - 23.12.09, 11:52:26
@Threaderöffner: Und du kannst nicht über deinen Schatten springen die schriftliche Kommunikation aufzunehmen?
23.12.09, 12:11:28
AutistAlsFreund
@ mor:
Er scheut ja keine Berührungen, es ist alles gut. Die Liebe, das Sexualleben, alles in Ordnung, aber trösten kann er nicht.
Genauso wie mit dem Danke und Bitte sagen. Für ihn ist es unlogisch nach den "Normen" zu gehen. Aber das hab ich ja mehrfach hier schon gelesen und das weiß ich inzwischen. "Was bringt es Danke udn BItte zu sagen?" So auch mit dem Trösten.
Also bei mir zum Beispiel, wenn ich jemanden weinen sehe, dann kommt bei mir wie so ein Instinkt auf: "umarmen, helfen, aufmuntern, nachfragen". Da muss man einfach was machen, er aber steht da und "kann" nichts machen, weil er wie gelähmt is, aus Angst, etwas falsch zu machen.
Ist das normal bei Autisten, die Angst, etwas falsch zu machen?
Er sagt auch, gearde bei mir hat er Angst etwas falsch zu machen, weil ich ihm am wichtigsten bin.
@ 55555:
Wen meinst du mit Threaderöffner?
23.12.09, 12:18:47
mor
Threaderöffner ist derjenige, der ein neues thema schreibt und er/sie die erste/r ist, der... ach, das ist eine Person, die ein neues Thema startet. Ich habe mal geantwortet, auch wenn ich nicht 55555 bin, wenns in Ordnung ist. ;)
23.12.09, 12:22:36
55555
Ich meinte dich, du hast diesen Thread eröffnet. Natürlich macht es unsicher, wenn man als Angehöriger einer Minderheit in einer letztlich weitgehend fremden Gesellschaft lebt.
23.12.09, 12:25:20
AutistAlsFreund
Achsooo ... ok!
@ 55555
Natürlich ich sag ach oft zu ihm, dass wir nicht streiten sollen, sondern er mir lieber einen Brief schreiben soll, dann versteh ich's.
Aber in dem Moment, wenn etwas passiert oder wenn es mir schlecht geht oder ich seine Hilfe brauch, einen Brief von ihm schreiben zu lassen, also das ist das selbe, als wenn er nichts macht. Weil es geht ja um DEN MOMENT.
Aber wir haben jetzt neuerdings auch schon gesagt, dass er (wenn er wieder nicht reden kann und ich nur rede), er einfach "Stopp" sagt und ich dann ruhig bin und er Zeit bekommt, seine Gedanken aufzuschreiben und NUR ER das Recht hat, sich zu äußern, weil meist muss er seine Meinung ja unterdrücken, weil er sie nicht schafft, rauszubringen. Das find ich echt schade!
23.12.09, 12:37:12
55555
Hm, also ich entnehme dem eher, daß er dir mehr entgegenkommt als du ihm. Er kann sich wie viele Autisten schriftlich wesentlich besser ausdrücken, du aber scheinst ziemlich fest auf deinen Maßstäben zu beharren, erwartest, daß er sich vor allem dir anpasst. Es wurde nicht einmal erwähnt, daß du ihm selbst mal schriftlich geantwortet hattest.
23.12.09, 13:20:56
AutistAlsFreund
Ich antoworte ihm auch ma schriftlich, aber warum soll ich ihm schriftlich antworten? ICH kann mich doch ausdrücken? Ihn trösten, in den Arm nehmen, Entschuldigung sagen ...
23.12.09, 13:40:05
uppsdaneben
geändert von: [55555] - 23.12.09, 16:09:26
[Kettenbeiträge zusammengefasst, mfg [55555]]
Da muss man einfach was machen,
Wieso?
Zitat:
er aber steht da und "kann" nichts machen, weil er wie gelähmt is, aus Angst, etwas falsch zu machen.
Ist das normal bei Autisten, die Angst, etwas falsch zu machen?
Wir können aus Angst nichts tun, oder wir machen etwas falsch. Trösten bedeutet, die nonverbalen Signale des Anderen zu lesen und entsprechend umzusetzen. Das ist wie Auto fahren mit verbundenen Augen.
Wenn wir etwas tun - so unsere Erfahrung - machen wir es mit ziemlicher Sicherheit falsch. Zusätzlich bekommen wir dann das gesamte Wutpaket ab, was wir natürlich nicht wollen, weil dann unsere Gefühle verletzt werden.
Zitat:
Er sagt auch, gearde bei mir hat er Angst etwas falsch zu machen, weil ich ihm am wichtigsten bin.
Quod erat demonstrandum.
aber für DEN MOMENT bin ich ahlt dann völlig allein gelassen ...
Fasse es anders auf: Er ist so sicher für dich da wie der Erdboden, auf dem du läufst.
Du kannst ihn auch anlernen, z.B. so:
„Ich bin traurig. Nimm mich in die Arme. Streichle mich am Rücken.” (Oder was immer du willst.)
Mit der Zeit wird er lernen, deine Traurigkeit erkennen und von selbst zu reagieren.
Ich antoworte ihm auch ma schriftlich, aber warum soll ich ihm schriftlich antworten? ICH kann mich doch ausdrücken? Ihn trösten, in den Arm nehmen, Entschuldigung sagen ...
Du nimmst dich als allein gültigen Maßstab.
23.12.09, 14:11:37
Löwenmama
@AutistAlsFreund
Dir scheint nicht klar zu sein,dass Autisten sich sowieso schon die ganze Zeit anpassen müssen,um überhaupt im Leben klar zu kommen.Von A wird ständig erwartet,dass sie sich verbiegen,sich der Norm anpassen,sich nicht so anstellen sollen,dass sie sonst doch auch keine Probleme haben...usw.Du solltest wissen,dass viele A ihre Umwelt ungefiltert wahrnehmen:ich habe z.B. ein hypersensibles Gehör, sehe vieles greller und intensiver,so dass es Kopfweh macht und ich mich gelegentlich übergeben muss,bei Stress verursacht mir Körperkontakt echten Schmerz...Körpersprache soll ich verstehen,obwohl ich sie nicht intuitiv erkannen kann und sie quasi wie eine Fremdsprache erlernen muss.Ich gelte als unhöflich,wenn ich bei Gesprächen keinen Blickkontakt halten kann.Dann wird auch noch erwartet,dass ich "zwischen den Zeilen" lesen kann,obwohl mir das völlig unverständlich und unlogisch ist.
Hier in überspitzter Form:
http://dokumente.perfektibilistenorden.de/esh-flugi3.pdf
23.12.09, 14:23:57
uppsdaneben
Warum sollte ich also es gut finden, wenn er sagt "Ich finde das Kleid schön", wenn er dabei einen falschen Ton auflegt oder nich erfreut guckt?
Weil wir Autisten sehr wahrheitsliebend sind. Ich habe das Lügen unter Schmerzen gelernt und es tut mir innerlich immer noch weh.
Zitat:
Gerade auch als Frau fragt man zB auch bei solchen Dingen nach, warum er so reagiert und ob er das ernst meint.
Für uns gibt es genau einen Kommunikationskanal: das gesprochene Wort. Tonfall, Mimik, Gestik,… All das ist für uns nichtexistent. Entsprechend wird es von uns auch nicht eingesetzt.
Zitat:
Wenn es nur solche Themen wären, wäre es ja ok, aber es sind ja meist auch andere Situationen, wo wir uns missverstehen.
Naja, traditionell reicht da der Gegensatz Mann-Frau. Dafür braucht es wirklich keinen Autisten, auch wenn's die Situation noch verschärft.
Zitat:
warum ich es nicht verstehe, was er SAGT. Aber es ist eben dann nicht ernst zu nehmen.
Du bist als NA von Geburt an darauf trainiert, dass das gesprochene Wort nur gilt, wenn die nonverbale Kommunikation dazu passt. Ansonsten lehnst du es als Lüge ab.
Wir Autisten wiederum kennen keine nonverbale Kommunikation. Für uns ist das gesprochene Wort gültig – in aller Absolutheit.
Deshalb können Autisten auch so leicht angelogen und hereingelegt werden. Ich musste unter Schmerzen während der letzten Jahrzehnte(!) lernen, dass es für mich folgende Kategorien von Aussagen gibt:
1. Die Aussage ist anhand von Fakten verifizierbar => Aussage ist wahr.
2. Die Aussage betrifft mich nicht => Aussage ist ohne Relevanz.
3. Die Aussage kann ich nicht anhand von Fakten oder unabhängigen Aussagen verifizieren: Es ist eine Lüge.
Da meine Mitjugendlichen – und deinem Freund wird es wohl kaum anders ergangen sein – mich grundsätzlich zum Opfer machen wollten, war ich extrem misstrauisch, sodass erst mit fast 30 dies noch hinzukam:
4. Eine Aussage von einer vertrauenswürdigen Person => Aussage ist wahr.
Allerdings ist das Problem jetzt: Wer ist vertrauenswürdig? Ich habe mit 18 keinem mehr getraut, ausnahmslos.
23.12.09, 16:03:14
55555
Ich fasse es mal zusammen: Eine Frau will, daß sich ihr Freund an sie anpasst, damit sie sich wohlfühlt. Sie scheint sich dabei andererseits nicht einmal zu fragen, ob ihr Freund irgendeine Persönlichkeit hat und andere Dinge angenehm findet. Das finde ich schon irgendwie schockierend. Kann das Liebe sein? Will Liebe nicht vielmehr geben, dafür sorgen, daß es dem anderen gut geht?