"behindert"
19.03.09, 12:40:19
haggard
welche umstände müssen vorliegen, damit sich menschen als behindert wahrnehmen?
persönlich kann ich es nicht nachvollziehen, warum menschen immer wieder ihre fähigkeiten als defizite beschreiben und in deren folge als "behinderung" benennen. absolut unbegreiflich sind mir reaktionen der empörung, wenn außenstehende erwähnen, dass sie anhand der beschreibungen keine behinderung ausmachen können. sollte es sich bei beschriebenen "behinderungen" um schwierigkeiten handeln - können dann schwierigkeiten mit behinderungen gleichgesetzt werden? was führt dazu, dass eine schwierigkeit als behinderung eingestuft wird?
19.03.09, 13:18:18
Miezekatze
wenn es ums grundsätzliche geht, stimme ich mit dir überein, ich verstehe auch nicht, warum autismus als behinderung eingestuft wird.
aber wenn ich ins detail gehe und zum beispiel meine relative gesichtsblindheit herausgreife:
diese empfinde ich im alltag durchaus als behinderung.
ich wohne ja in einer kleinstadt und es ist mir sehr unangenehm, dass ich regelmäßig leute nicht wiedererkenne, die mich offenbar schon kennen, und mich dann durch einen "falschen" gruß "verrate".
ein kurzer blick ins gesicht der von mir nicht erkannten person lässt mich erahnen, dass ich dann von ihr als dumm eingestuft werde, und das stört mich bei nachgewiesen hoher intelligenz sehr.
und das wiederholt sich tag für tag, jeden tag mehrmals, und es behindert mich und untergräbt mein selbstbewusstsein außerhalb meines zuhauses spürbar.
19.03.09, 13:21:20
55555
geändert von: 55555 - 19.03.09, 13:22:25
Ich vermute mal, daß dieses Unverständnis auf das veraltete Behinderungsverständnis zurückgeht, wonach eine Behinderung eine immer feste Eigenschaft einer Person sei und nicht eben erst von Gesellschaft geschaffen wird (oder eben nicht, je nachdem).
19.03.09, 13:32:51
zoccoly
dass man einzelne Aspekte als behindert wahrnimmt, liegt evtl.
an Unkenntnis und ausschließliche Reflektion mit NA ( war bei mir zumindest so )
19.03.09, 13:38:41
Löwenmama
Viele bezeichnen Behinderung wohl auch,wenn "normale Funktionen" nicht oder nur eingeschränkt statt finden.
Ein Kind,das nicht spricht = sprachbehindert
Ein Erwachsener,der sich nicht der Norm der Gesellschaft anpasst = geistig behindert...
behindert gilt umgangsprachlich ja auch als Schimpfwort,wenn jemand etwas nicht oder nur schlechter als die anderen kann oder wenn jemand anders aussieht...
19.03.09, 15:58:53
55555
So gesehen war die Feststellung von "Behinderung" eben früher eine Methode die Auseinandersetzung mit menschlicher Vielfalt abzuwimmeln. Wenn man einer solchen unfreiwilligen Minderheit eben alle Probleme als Eigenschaft ihrer Person zuschreibt, hat diese Person ein Problem, man selbst kann formal gesehen ein reines Gewissen haben. Wenn "die" etwas wollen und man ihnen "hilft", dann müssen die dankbar sein, weil es ja ihr Problem ist.
19.03.09, 22:26:16
drvaust
welche umstände müssen vorliegen, damit sich menschen als behindert wahrnehmen?
Ich fühle mich behindert, wenn ich durch Irgendwen oder Irgendwas in meinen Möglichkeiten eingeschränkt bin.
Das kann eine eigene Unfähigkeit sein, das kann aber auch eine Benachteiligung durch Menschen sein.
Oder, z.B. bin ich gegenwärtig durch eine Straßen-Umleitung behindert, mehrere wichtige Einrichtungen kann ich nur mit Warten in Staus erreichen.
Ich sehe eine Behinderung, im Gegensatz zu vielen Menschen, nicht als eine persönliche Eigenschaft an, sondern als einen Vorgang.
(Behindert ist man nicht, sondern man wird behindert.)
Ein Erwachsener,der sich nicht der Norm der Gesellschaft anpasst = geistig behindert...
;) oder geistig überlegen ;) (Aber dazu gehört viel Selbstbewußtsein und Stärke.)
20.03.09, 07:16:09
Löwenmama
Ich bin von dem ausgegangen,was einem die Gesellschaft suggeriert...
mich hat mein Exmann als "Sozíalkrüppel" bezeichnet,auch keine sonderlich nette Bezeichnung dafür,dass ich nicht ständig Leute um mich haben muss...
20.03.09, 12:50:18
55555
Dann ist er ein "Besinnungskrüppel", weil es NA oft schwerfällt sich zu besinnen?
20.03.09, 16:42:09
finnguala
Definition Es gibt keine allgemein anerkannte Definition dessen, was unter behindert zu verstehen ist. §2 Sozialgesetzbuch 9. Buch (SGB IX) definiert den Begriff Behinderung folgendermaßen: "Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn diese Beeinträchtigung zu erwarten ist."
Das habe ich gefunden, und muss sagen, es ist immer eine Sache wie man mit Behinderung umgeht!
Vor allem dem Wort ansich.
Ich habe mich vor langer Zeit schonmal mit diesem Thema auseinander gesetzt, und finde diese Definition auf mein Kind zutreffend! Obwohl ich das ihm gegenüber natürlich nicht ausspreche.
Und auch wenn ich hier gesteinigt werde, ist es nunmal die gängiste Definition des Wortes " Behindert" und ich finde es keines Falls abwertend. Schade einfach das manche Menschen ein Problem mit diesem Wort haben!
20.03.09, 17:06:48
zoccoly
@ finnguala
Nehmen wir die Definition: Die körperlichen Funktionen sind bei mir in Ordnung, die geistigen Fähigkeiten würde ich mindestens als normal ansetzen, bleibt die seelische Gesundheit und die ist bei mir im Urlaub, am Wochenende, zu Hause total in Ordnung. Es kann aber sein, dass ich durch den berufsbedingten Stress, durch ein permanentes Rumgeschnatter im Lehrerzimmer, durch eine S-Bahnfahrt, in der alle durcheinander reden, laut Musik gehört wird, ein Hund bellt, allmögliche Menschen telefonieren müssen außer Kraft gesetzt werde. Bin ich dadurch behindert, oder geht es vielleicht auch alles ein wenig leiser und ruhiger?
20.03.09, 17:52:31
55555
Von dieser Definition gehe ich auch aus. Sie besagt aus meiner Sicht, daß danach als behindert diejenigen Menschen bezeichnet werden, die wegen als bedeutend eingestuften Abweichungen von der statistischen Norm diskriminiert werden.