09.01.13, 15:00:30
wolfskind
Abläufe sollten eurem Kind bekannt sein/bekannt gemacht werden. Treten Änderungen
ein, solltet ihr euer Kind rechtzeitig vorher darüber in Kenntnis setzen. "Rechtzeitig" richtet
sich hierbei nach dem Bedürfnis eures Kindes. Wenn ihr eurem Kind 10 Minuten, ehe ihr
mit eurem Kind irgendwo hingehen wollt, Bescheid gebt, könnt ihr euch unter Umständen
dem Panikerleben/der Angst eures Kindes sicher sein. Gebt eurem Kind die Möglichkeit,
sich gegebenenfalls Stunden oder Tage vorher auf bevorstehende Ereignisse einstellen zu
können.
Ihr bemerkt wahrscheinlich sehr schnell, wenn euer Kind überfordert erscheint. Bietet
eurem Kind dann einen Rückzugsraum an, der reizarm und für euer Kind gemütlich ist
(z.B. kein eingeschaltetes Radio, kein laufender Fernseher, keine tickenden Uhren, keine
flackernden künstlichen Lichter, etc. - vielleicht auch keine wild gemusterte Tapete).
Autisten haben oft eine empfindsamere Sinneswahrnehmung. Eine Energiesparbirne, die
für euch angenehm scheint, kann euer Kind als flackernd sehen. Es kann vielleicht Töne
hören, die ihr nicht hören könnt. Lasst es sich dort ausruhen, egal wie viel Zeit es dafür
benötigt. Versucht dabei nicht mit eurem Kind ein Spiel anzufangen, nur weil ihr glaubt,
dass es dann aufnahmefähiger wäre. In dieser Zeit werden auch die zuvor
aufgenommenen Reize/Situationen/Ereignisse durch euer Kind selbständig sortiert und
verarbeitet.
Ärzte und andere Fachpersonen wie ErzieherInnen werden euch eventuell verschiedenste
Therapieangebote anraten. Bitte vertraut nicht blind auf alle Ratschläge von Menschen,
die nicht wissen können, was in euren Kindern vorgeht, da diese in der Regel nicht selbst
autistisch sind. Einige Menschen werden ehrlich bemüht sein, euch und euer Kind zu
unterstützen - andere besitzen Absprachen untereinander, damit sie mit Arbeit versorgt
sind. Versucht euch zu überlegen, welches Angebot für euer Kind sinnvoll sein könnte.
Lasst dabei auch die Überlegung zu, dass vielleicht kein besonderes Angebot notwendig
sein muss. Auch wenn euer Kind anfangs sehr unselbständig erscheinen mag, kann es
sich wie andere Kinder auch zu einem sehr selbständigen Menschen entwickeln. Zudem
wirken Autisten nicht selten aufgrund ihrer anderen Körpersprache auf nicht autistische
Menschen passiv oder dumm. Doch dieses ist ein oberflächlicher Trugschluss aufgrund
mangelnden Verständnisses. Dafür sind jedoch keine Therapien an eurem Kind
notwendig.
Allgemeine Umgangsformen:
- haltet nicht seine Hände/Arme fest, wenn es auf diese Weise kommuniziert (versucht es
situationsabhängig für euch zu übersetzen und darauf einzugehen)
- zwingt ihm keinen unnötigen Körperkontakt auf, wenn es diesen ablehnt (es mag euch
trotzdem)
- lasst es schaukeln* (denn das beruhigt)
- sogenannte Stereotypien besitzen verschiedene Funktionen (wenn ihr einige davon nicht
dulden wollt, dann überlegt euch, warum diese ausgeführt werden und welche von euch
geduldete Alternative eine ebensolche Wirkung/Funktion besitzen könnte - wenn es z.B.
das Geräusch beim Papier zerreißen ist und es sollen nicht die teuren Bücher sein, dann
lasst euch täglich Werbung in den Briefkasten stopfen, die zerrissen werden kann)
*Schaukeln wirkt zwar beruhigend, doch erfolgt dieses häufig erst dann, wenn das Kind
unter Stress steht. Ursachen können optische Reize, Geräusche (u.a. elektronischer
Geräte, Geschirrgeklapper), Tonlagen bestimmter Personen, Kleidung, soziale
Zusammenkünfte (Feiern, etc.) u.v.m. sein.
Autisten sind nicht krank, sie leben einfach in einer Welt die nicht zu ihnen passt. In
den letzten hundert Jahren immer mehr. Unter passenden Lebensbedingungen
könnten Autisten ein Leben führen wie andere auch, aber diese Bedingungen
werden ihnen selten ermöglicht.
Autisten nehmen die Dinge um sie herum direkter, intensiver wahr. Das sieht man
von außen nicht, aber effektiv werden Autisten gezwungen in Verhältnissen zu
wohnen, die vielleicht der Wirkung einer Disko auf Nichtautisten entsprechen,
vermutlich ist das eher noch untertrieben.
Autisten bekommen ständig erzählt, daß sie krank wären. Viele glauben es
irgendwann, verfallen zusätzlich unter Depressionen, entwickeln sogar Wünsche
sich selbst zu töten oder zeigen aggressive Verhaltensweisen oder z.B.
Kotschmieren, das auch bei über Jahren gefolterten Insassen in Guantanamo
beobachtet werden konnte. Woher soll ein Autist auch wissen, wie er sich fühlen
könnte, wenn er unter passenden Bedingungen leben könnte? Welche
unglaublichen Dramen spielen sich mitten in diesem Land ab! Es würde vermutlich
sogar Geld sparen Autisten angemessene Lebensbedingungen zu ermöglichen.
Autisten sind ja nicht an sich dumm, eigentlich könnten sie sich durchaus selbst zu
einem Einkommen verhelfen - eigentlich.
Ein nicht stattfindender Blickkontakt ist nicht gleichzusetzen mit Unaufmerksamkeit,
Ignoranz oder Schüchternheit
Für manche autistische Kinder stellt Blickkontakt keine Hürde dar, für andere würde er enorme
Energie und Konzentration erfordern - so viel, dass alles andere um das Kind herum nicht mehr,
oder nur sehr schwach wahrgenommen werden und diese Kraft dann fürs eigentliche Lernen fehlt.
Wenn die autistische Person noch in der Lage ist, sich zu äußern, fordern Sie nicht den
Blickkontakt ein. Ein Blickkontakt wertet den Inhalt einer Antwort nicht auf. Der Blickkontakt stellt
wie auch das Schreiben mit der rechten Hand keinen Selbstzweck dar. Umerziehung kann auch
langfristig schwere Schäden verursachen.
Autisten besitzen eine sensible Sinneswahrnehmung und daher auch eine
diesbezüglich niedrigere Schmerzschwelle. Insbesondere in verwirrenden
und unbekannten Umgebungen wirken diese situativen Barrieren in einer
Weise, die Verstehen und Nachdenken, sowie Formulieren nicht bereits
zuhause zurechtgelegter Aussagen reduziert oder gar nicht mehr ermöglicht.
Das so erzeugte Leid dauert oft weit über die konkret auslösende Situation
hinweg und kann die Handlungsfähigkeit über Wochen stark beeinträchtigen.
Mündliche Verhandlungen vor Gericht, Gespräche in Behörden, etc. haben in
der Regel zum Ziel über bestimmte Sachverhalte zu kommunizieren. Hierbei
ist jedoch für Autisten spätestens auf Verlangen Barrierefreiheit in dem Sinne
herzustellen, daß fernschriftlich aus einer vertrauten Umgebung kommuniziert
werden kann. Bei Begutachtungen ist die körperliche Begutachtung getrennt
von Kommunikation vorzunehmen. Jeder Gutachter der einen Autisten
begutachtet, muß vorher und nachher für die o.g. Kommunikation zur
Verfügung stehen und diese auch initiativ nutzen wie gegenüber anderen
Menschen, mit denen er bei der Begutachtung vor Ort kommuniziert oder
Gehörlosen, die mit gestelltem Dolmetscher vor Ort erscheinen (z.B. LSG
Berlin-Brandenburg: Urteil vom 07.04.2011 - L 13 SB 80/10). Ist er dazu nicht
bereit, ist er nicht geeignet einen Autisten zu begutachten.
Jeder Mensch hat ein Recht darauf insbesondere in solchen wichtigen und
meist weichenstellenden Situationen die eigenen Positionen darstellen zu
können und auf Einlassungen anderer eingehen zu können. Es ist nicht
zumutbar, daß nicht erfolgte Erläuterungen oder Richtigstellungen eventuell
später sogar nachteilige Auswirkungen haben. Bei nicht hergestellter
Barrierefreiheit ist die Verwirklichung dieses Rechts in empfindlicher Weise
eingeschränkt. Laut dem Willen des Gesetzgebers im Sinne von BGG §9 und
KHV §§2+3 darf eine solche Benachteiligung Autisten und anderen
behinderten Bevölkerungsgruppen nicht zugemutet werden. Nach der
Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention gilt dies umso mehr.