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Wir müssen nur wollen?

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03.08.06, 20:36:21

Wursthans

Zitat:
ich kann mit allen 10 Füßen in 20 Türen
und mit dem 11. in der Nase Ballette aufführen
Aber wenn ich könnte wie ich wollte würd ich gar nichts wollen
ich weiß aber dass alle etwas wollen solln
Wir können alles schaffen genau wie die toll
dressierten Affen wir müssen nur wollen

Quelle

Und wie ist es mit Autisten? Müssen sie auch nur wollen? Warum schreibt der eine hier man müße sich eben mit diesem und jenem Mühe geben auch wen es anstrengend sei während andererseits über Entkräftung und Burnout berichtet wird? Die Frage scheint mir wichtig und noch nicht ausreichend diskutiert. Wer kann sagen,d aß ein Rat sich zusammenzureißen nicht bei jemand anderen zu einem Zusammenbruch führt? Wer kann sagen, daß es sich besser wäre sich manchmal zu etwas zu überwinden? :)
03.08.06, 21:26:56

bellaria

Die Frage nach der richtigen Dosis zwischen Förderung und Überforderung scheint mir sowohl bei ADD als auch bei AS das Kernproblem zu sein.
Man kann seine Grenzen nur kennen lernen, wenn man sie manchmal überschreitet. Diese Grenzen sollten allerdings immer die eigenen sein und nicht welche, die andere Leute für "normal" halten.
Es stimmt, dass man vieles schaffen kann, wenn man "nur" will. Vorausgesetzt, man will es selbst und wirklich. Das gilt sicher auch für Behinderte. Manchmal muss man sich eingestehen, dass man etwas nicht geschafft hat, und die eigenen Fähigkeiten nachher realistischer einschätzen.
Ich hatte in diesem Leben bereits 3mal ein (behandlungsbedürftiges) Burnout und kann mich und meine Kräfte seitdem besser einschätzen. Was mich allerdings nicht davon abhält, noch immer einiges Neues zu probieren ;-)
03.08.06, 21:28:48

Goldloeckchen

Erinnert mich irgendwie an meine Schulzeit. Zu der Zeit behaupteten Lehrer ich sei intelligent aber furchtbar faul. Langsam schleicht sich dank der Anpassungsversuche und der Versuche mein Leben zu organisieren allmälich ein Burnout ein.
Das heißt aber nicht, dass ich aufgeben möchte sondern es diesmal mit professioneller Hilfe angehen möchte. Nein, alleine würde ich es nicht schaffen ohne mich dabei zu verausgaben.
03.08.06, 21:31:00

bellaria

Hab noch was vergessen: Es ist für das eigene Selbstwertgefühl sehr heilsam, sich manchmal zu sagen: Ich will das nicht anstelle von: Ich kann das nicht. Ich hab zum Beispiel nach jahrelangen Selbstvorwürfen beschlossen, dass ich keine perfekt aufgeräumte Wohnung haben WILL. Seitdem gehts mir besser!
03.08.06, 21:43:20

bellaria

Bin grade am Arbeiten hier, daher fallen mir die Sachen nur stückchenweise ein:

Es war sehr schwierig für mich herauszufinden, was ICH eigentlich will und was ich nur wollen sollte, sprich: was Gesellschaft, Eltern, Lehrer (s.o.), andere Eltern, Chefs, etc. in meinem Kopf oder tatsächlich von mir erwarten.
03.08.06, 22:03:21

Goldloeckchen

In Bereich Ordnung, sprich "Wohnung sauber halten" ließe sich ein "Ich will es so" im Form von Selbstbetrug einrichten aber in anderen Bereichen ist der Wille zu stark vorhanden als, dass ich ihm mir weg denken könnte. An dieser Stelle kommentieren normalerweise viele mit den möchte-gern-allwissenden Scheißspruch "Wo ein Wille ist ist auch ein Weg". Wieso verdammt nochmal ist dieser Weg nicht besser ausgeschildert?
04.08.06, 11:52:11

Lisa M.

Zitat:
Es war sehr schwierig für mich herauszufinden, was ICH eigentlich will und was ich nur wollen sollte


Mir geht es da ähnlich wie Bellaria, und noch dazu fällt das "wollen sollen" auch manchmal aus. Nicht so richtig wollen zu können ist bei mir Teil des Problems. Ich kann nicht so kontinuierlich wollen wie andere Leute, bei denen dann auch eine kontinuierliche Anstrengung daraus erfolgt. Um festzustellen, was mir kontinuierlich wichtig ist und was nur eine Laune ist, muss ich eher in meinem Leben zurückschauen: Tatsächlich, diese Sache, die mir jetzt wichtig ist, hat mich auch schon vor 10 Jahren interessiert... Oder noch viel länger. Dann weiß ich, dass es vermutlich mehr als eine Laune ist. Gehe ich nach diesen Kontinuitäten, dann stelle ich fest, dass ich wohl doch nicht so launisch bin... Trotzdem: Wenn ich mich da mit Leuten vergleiche, die immer irgendwelche Ziele haben im Leben, dann fehlt mir da einfach was. Es ist nicht so, dass ich mir keine Ziele überlegen kann, aber das "wollen" kommt mir immer wieder abhanden. Das Interesse an einer Sache ist heute, auch wenn es schon vor 20 Jahren da war, wie ein ganz neues Interesse. Und ich bin einfach beschäftigt mit dem, womit ich beschäftigt bin. Das Thema Wollen taucht dann auf, wenn ich - oder jemand anders - wissen will, was ich denn nun will, und dann weiß ich meist nicht, was ich will.
04.08.06, 13:25:14

Wursthans

Ich versuche mal wieder etwas mehr auf den Kernpunkt hinzulenken um den es mir ging:

Beispielsituation:

X hat "keinen Mut" y zu sagen, daß ihn etwas stört das y tut.

Mögliche Antworten:

- X sollte sich überwinden das zu tun, weil es ein begrenzter Kraftaufwand wäre, der einen nachhaltigen Nutzen erzielen könnte.

- X kann das nicht und allenfalls wäre es hilfreich einen Vermittler zu suchen.

- Es ist sowieso hoffnungslos das Problem verbal lösen zu wollen.

Was ist richtig, was falsch? Kann man das sagen ohne sich x näher angesehen zu haben? Sind schnelle Antworten hier im Forum in solchen Fällen mehr als Glücksspiel? Hauptsache man antwortet etwas, egal ob es hilft oder das Gegenteil bewirkt? Ist sowas wie Verantwortung für Forenschreiber relevant oder ist das nicht wichtig, weil es vor allem zählt den Eindruck zu erwecken helfen zu wollen? Ein Abbild einer oberflächlichen Gesellschaft?
04.08.06, 15:50:43

bellaria

Aha. Es ging also nicht um "wollen" sondern darum, anderen Ratschläge zu erteilen? Jetzt sind wir wieder ein wenig schlauer ;-)
04.08.06, 16:26:42

christian_k

Hallo Lisa,

Zitat von Lisa M.:
Nicht so richtig wollen zu können ist bei mir Teil des Problems. Ich kann nicht so kontinuierlich wollen wie andere Leute, bei denen dann auch eine kontinuierliche Anstrengung daraus erfolgt.


das bestätigt einen Gedanken, den ich auch schon öfter hatte.
Ein Autist lebt zu einem gewissen Grade (der eine mehr, der andere weniger) in seiner "eigenen Welt". Das heisst natürlich auch, dass die Aussenwelt einen entsprechend niedrigeren Stellenwert für ihn hat. Erfolge, "Belohnungen", Anforderungen und Ziele, die durch die Aussenwelt zu Stande kommen, verlieren also ebenfalls an Bedeutung gegenüber "normalen" Menschen un reichen vielleicht nicht mehr aus, um einen kontinuierlichen Willen zu erzeugen und zu erhalten.

Im Gegensatz dazu können Motivationen, die aus dem Inneren heraus entstehen, ganz andere Wirkungen entfalten ; man bedenke nur, welch aussergewoehnlichen Fähigkeiten manche Autisten in ihren Spezialinteressen entwickeln und wie viel Energie sie darauf verwenden.

Gruss
Christian

04.08.06, 17:04:47

Lisa M.

Ja, genau - man nennt das übrigens "intrinsische Motivation" und die ist wohl auch bei NA's ein stärkerer Reiz. "Intrinsisch" heißt, die Belohnung liegt sozusagen in der Sache selbst. Ich bin auch in der Lage, mich kurzzeitig für äußere Ziele anzustrengen, aber eine solche Motivation von außen bricht bei mir auch schnell wieder zusammen. Da sieht man, dass in manchen Punkten nicht viel Unterschied zu ADS da ist (falls das nicht daran liegt, dass ich doch ADS hab).

Dann kommt noch eine andere komische Sache hinzu: Es ist oft, als ob ich geradezu zwanghaft Dinge "versäge", obwohl ich es eigentlich nicht möchte und mir sogar einen Riesenstress daraus mache, dass ich es tue... Es ist so eine Art "Paniklähmung". Ohne Zweifel ist die einzige Methode, diesen Bann zu brechen, es einfach zu tun - aber das war schon ein krasser Unterschied, dass diese Lähmung mit MPH einfach weg war. (Es hat nur nicht so viel gebracht, weil ich die meiste Zeit am Computer saß und mir alles andere noch viel egaler war als sonst...) Bei meinem Freund ist es auch so, dass er so eine Art "zwanghafter Verweigerung" kennt. Wir fluchen da beide drüber.
04.08.06, 17:14:40

Lisa M.

Zitat:
Warum schreibt der eine hier man müße sich eben mit diesem und jenem Mühe geben auch wen es anstrengend sei während andererseits über Entkräftung und Burnout berichtet wird?


Naja, da will ich denn doch mal drauf eingehen... Weil die einzige bekannte Methode, mit bestimmten Problemen jemals fertigzuwerden, der verhaltenstherapeutische Ansatz ist. Es liegt in der Entscheidung der Leute selbst, zu überlegen, ob sie dafür grade die Kraft haben und wo sie ihre Prioritäten setzen. Es kann einem gut passieren, dass man hier ein Problem postet und dann kommt dieser verhaltenstherapeutische Ansatz und man merkt, dass man eh schon mit tausend Sachen belastet ist und keine Kraft und Zeit dafür übrig hat, sich an die Bewältigung der geposteten Frage zu machen. Schließlich weiß man ja vorher nicht, ob da nicht jemand einen Trick auf Lager hat oder sonstwas, also kann man doch ruhig danach fragen. Die Antwort jedoch, dass es keine andere Hilfe gibt als es einfach zu tun, muss erlaubt bleiben, auch wenn viele eh schon mit Burnout zu kämpfen haben. Einfach, weil sie wahr ist.
 
 
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