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Frage: Blickkontakt

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21.08.08, 17:49:34

Schamanin

Also, ich weiß, dass Autisten Blickkontakt nicht sehr gerne haben und ihn vermeiden. Bisherige Erklärungen: die Augen des anderen wären wie Scheinwerfer, Dinge direkt anschauen ist auch unangenehm, sie werden besser mit "Randsehen" (was immer das heißen mag) wahrgenommen.

Für meinen Sohn kann ich aus Beobachtungen bestättigen, dass er besser greifen kann, wenn er nicht direkt blickt. Manchmal sucht er den direkten Blickkontakt zu mir oder anderen.

In der Therapie, versuchen sie das zu verbessern, in dem er aufgefordert wird hinzusehen und auch anzusehen. Teilweise auch mit der Hand den Kopf zu nehmen und in die Richtung zu drehen. Ich fühl mich damit überhaupt nicht wohl (als wir noch nicht wußten, erhielt ich den Tipp, beim Füttern zu sagen, wo ist der Löffel, den Löffel vor mein Gesicht zu halten und ihn erst dann zu füttern, wenn er mir in die Augen blickt. Das hat ihn so erschöpft oder auch fertiggemacht, dass er beim Essen immer einschlief. Ich gab es bald auf. Heute gruselt mich, was ich da getan habe.)

Mögt ihr mir erzählen, wie ihr direkten Blickkontakt erlebt, warum ihr es vermeidet? Danke schon im voraus für eure Hilfe.
21.08.08, 18:27:15

Aldaris~Adun

geändert von: Aldaris~Adun - 21.08.08, 18:32:11

Direkter Blickkontakt (mit Menschen und Tieren, Gegenstände anschauen ist kein Problem) ist unangenehm, da er für mich 'zu nah' ist. Ungefähr genauso nah, als ob mich jemand einfach so aus dem Stehgreif in den Arm nehmen würde (auch das ist extrem unangenehm für mich, nur so als Erklärung).
Bei so einem in-die-Augen-blicken wird irgendwie in den innersten Kreis vorgedrungen, ohne das man etwas dagegen tun könnte, und das lasse ich grundsätzlich 'einfach so' nicht zu.

Es gibt jedoch Ausnahmen, jenen sehr wenigen Menschen, die mir im Leben sehr nahe standen oder stehen, kann ich problemlos bewusst in die Augen schauen... Wie sehr, lang, oft, stark schwankt aber auch...
Da macht es mir nichts aus, was sich wohl aus meiner Erklärung der Sache oben ergibt, jemand, der ohnehin Zugang zu meinem Inneren hat, 'darf' das auch per Augenkontakt.

Nichts desto trotz KANN ich jedem Menschen pseudo- in die Augen schauen, so lange wie ich will, mit nur geringer Anstrengung, die eben aus dem bewussten Vorgang resultiert... Ich starre auf den Nasenrücken, zwischen die Augen... Dem Gegenüber fällt der Unterschied nicht auf, und für mich ist es OK...

Es ist allerdings eine bewusste Tat, erlernt, wenn ich meinen Blickkontakt nicht bewusst steuere (was Ressourcen frisst und daher nicht 24h am Tag machbar ist), entfliehe ich den Blicken anderer Leute doch unwillkürlich...

Ich nehme an, das ist auch das, was dein Sohn erlernen 'kann', ob es ihm schadet, kann ich nicht beurteilen, die Methode hört sich aber doch irgendwie ziemlich rabiat an...
Habe ich schon desöfteren gesehen, 'Autistendressur', schaust du mich an, gibts ein Leckerli, schaust du mich nicht an, zwinge ich dich einfach dazu...

Ich weiss nicht... Ich finde die Vorstellung von derlei fürchterlich... Aber ob sie langfristig tiefgreifende Schäden hervorruft... Keine Ahnung, ich habe glücklicherweise nie so eine erhalten.

Mit 'Randsehen' wird die Peripheriesicht gemeint sein, also der Teil ausserhalb des scharfen Sehzentrums... Den zu nutzen hat viele Vorteile, ich nutze ihn z.B. beim Autofahren vorwiegend... Die Reaktionszeiten sind in der Peripheriesicht wesentlich schneller als im zentralen Sichtfeld, durch die geringere Schärfe werden weniger Details aufgenommen und können so schneller und leichter verarbeitet werden...

Ich nehme an, letzteres könnte der Grund sein, warum manche die generell viel einsetzen... Beugt Reizüberflutung vor, unsereins fehlen ja oft funktionierende Reizfilter... So 'bastelt' man sich eben seine eigenen Kompensationsmethoden mit den vorhandenen Ressourcen.
21.08.08, 18:33:52

55555

geändert von: 55555 - 21.08.08, 18:35:36

Blickkontakt könnte auch daher unangenehm empfunden werden, da gelernt wurde, daß Blickkontakt unangenehme Erlebnisse wahrscheinlicher macht. Auf jeden Fall ist es aus meiner Sicht nicht angemessen Autisten anzuhalten während irgendwelcher Aktivitäten immer Blickkontakt zu halten, da dadurch die übrigbleibende Konzentration für die Sache um die es eigentlich geht geringer ist.

Edit: Generell erleben Autisten keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Kontakt und Blickkontakt, nur damit nicht vermutet wird dessen Vermeidung wäre erlernt. Dem ist nicht so, das ist der gesunde autistische Zustand.
21.08.08, 19:15:08

Schamanin

Also, wenn ich richtig verstanden hab, vermeidet ihr nicht, ihr braucht ihn nicht. Für meinen Sohn würde bedeuten, wenn das respektiert wird, dass er nicht ihn die Augen schaut, könnte er besser "lernen", weil Ressourcen frei werden.

@ 55555: kannst du mir Beispiele nennen für unangenehme Erlebnisse? Und wie sieht deiner Meinung nach der gesunde autistische Zustand aus?
21.08.08, 19:33:14

55555

Unangenehme Erlebnisse können vielleicht verwirrende Anforderungen von anderen sein, die zuvor mit einem Blickkontakt begannen? Die Frage nach dem gesunden autistischen Zustand wirkt auch mich etwas allgemein. Du wirst sicher auch Schwierigkeiten bekommen "den gesunden nichtautistischen Zustand" zu beschreiben.
21.08.08, 19:41:27

Steve

bei mir ist es in der tat so, dass Blickkontakt nicht viel bringt. Ich kann zwar schon etwas Mimik lesen und mit Blicken kommunizieren, aber nicht besonders gut. Ausserdem erfordert es viel Konzentration, den Blick lange auf etwas auszurichen. Nicht, weil es unangenehm ist, sondern schlicht, weil mein Blick normalerweise wild in der Gegend umherwandert.
Ich hab mir erst sehr sehr spät angewöhnt, Menschen anzuschauen, als mir klar wurde, wie sehr ich meine Gesprächspartner durch nicht Anschauen verwirre. Am liebsten ist es mir aber, wenn ich an meinem Zuhörer vorbeischauen kann, und nur ab und zu einen kurzen Blick ins Gesicht werfe.
21.08.08, 20:25:02

Schamanin

@ 55555, du beziehst den gesunden autistischen Zustand also nur auf den Blickkontakt.
Je mehr ich bei euch lese, umso unsicherer werde ich, ob ich zur Gänze nichtautistisch bin und somit diesen Zustand kenne. Da ich eigentlich immer Einzelgänger und Sonderling war, fehlt mir ein gewisser Austausch. Ein Teil eurer Probleme kommt mir sehr vertraut vor.
21.08.08, 22:11:57

Aldaris~Adun

Nun, von nichts kommt nichts, ehm... Zumindest finden sich in Familien mit einem autistischen Kind durchaus noch mehr Menschen mit derartigen Charakterzügen oder auch einer echten derartigen Auspägung...

Wenn man sich meine Anverwandten anschaut... Eigentlich jeder hat einen Schlag in die Richtung, mein Vater in fast identischer Auspägung wie ich selbst... Nun, ich wurde mit 26 Jahren diagnostiziert, und er wirds wohl niemals mehr werden mangels Interesse.
21.08.08, 22:36:06

haggard

wenn man davon ausgeht, dass jeder mensch einen gewissen radius um sich herum benötigt, der ungefähr der armlänge der jeweiligen person entspricht, wird dieser abstand quasi durch direkten blickkontakt aufgehoben, was ich als unangenehm empfinde.
selbst wenn ich mir mühe gebe, schaffe ich es nicht lange einer anderen person in die augen zu sehen.
in gesprächen lenkt es mich auch ab, weil ich dann den mund beobachte um mich auf das gesprochene konzentrieren zu können.
ansonsten wandert mein blick auch im raum umher und wenn ich dort etwas interessanteres finde, bin ich geistig weg.
22.08.08, 04:45:56

drvaust

Wahrscheinlich kommunizieren NA auch mit den Augen o.ä.. Ich kenne das nicht, verstehe das nicht und kann das nicht. Deshalb ist es für mich eigentlich sinnlos, Leuten auf die Augen zu sehen. Ich mache es vereinzelt trotzdem, um Ärger zu vermeiden.
Ich kann meistens Leuten auf die Augen sehen, zumindest wenn sie nicht zurücksehen, ich schalte da irgendwie um, sehe da keinen Menschen. Ich hatte schon als Kind gemerkt, daß Leute meine Blicke nicht lange aushalten. Wenn mir jemand mit 'sieh mich an, wenn ich mit dir rede' kam, habe ich denjenigen so lange angesehen, bis der um Gnade flehte und mir nie wieder damit kam.

Für mich sehen Augen wie bunte Glaskugeln aus. Es scheint aber tatsächlich etwas von den Augen auszugehen, was ich als verletzend empfinde, ohne zu verstehen was. Vielleicht liegt das auch an der Mimik dabei. Wenn mir jemand direkt in die Augen sieht, empfinde ich das, übertrieben, als würde der schreiend auf mich zustürzen und an mir zerren. Das gilt auch für Bilder, wenn Leute direkt in die Kamera sahen, stören mich die Bilder. Leider sehen die Leute in der Werbung meistens aus dem Bild, weshalb mich Werbung oft abstoßt.
Aber nicht immer stören mich direkte Blicke, die Blicke mancher Menschen stören mich nicht, das sind ruhige geschlossene Blicke. Vorgestern sah ich einige Bilder von Autisten, die in die Kamera blickten, die störten mich nicht. Z.B. ein Bild von Nicole Schuster mit ihrer Mutter, dieses, da stört mich der Blick von Nicole nicht, aber der von ihrer Mutter, obwohl sie nicht direkt in die Kamera blickt. Ich hatte aber noch kaum persönlichen Kontakt mit Autisten, mal sehen wie das da ist.
22.08.08, 09:00:49

tabby

Zitat von Schamanin:

Mögt ihr mir erzählen, wie ihr direkten Blickkontakt erlebt, warum ihr es vermeidet? Danke schon im voraus für eure Hilfe.


In mir læuft sehr viel automatisch ab. Wie auch mein Tunnelblick. Jeder warf ihn mir vor und ich konnte nicht erklæren warum. Heute weiss ich, weil ich es hier lass, das ich mich wohl von den ganzen Details schuetze und diversen anderen Bewegungen. Nur an einem Auto sehe ich jeden Kruemmel, mir fællt einfach alles auf,

das zum Beispiel

http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=2033&

(Mein Mann bemerkte diese Spiegelungen gar nicht, obwohl ihm das Auto gefiel)

Ja und so ist es auch bei den Augen. Ich hab keine Ahnung warum ich da nicht rein gucke. Ich weiss nur, das meine Mutter dauernd meckerte, das ich mich von ihr abwende
22.08.08, 14:06:06

55555

Zitat von Schamanin:
Je mehr ich bei euch lese, umso unsicherer werde ich, ob ich zur Gänze nichtautistisch bin und somit diesen Zustand kenne.

Das geht anscheinend gerade vielen Müttern so, die dieses Forum entdeckten. Ich denke es kommt letztlich nicht auf Diagnosen an sondern darauf wie man füreinander Verständnis und Emphatie hat. Und wenn du dabei in diesem Forum so viel entnehmen konntest, dann hast du entweder etwas entdeckt, das du nicht in dir vorfandest, weil du diese Eigenschaften nicht in dem Maß in dir trägst oder du hast eigenes Wissen und Empfinden neu entdeckt. Das Thema ist nicht einfach, man geht heute davon aus, daß jeder Mensch autistische Eigenschaften besitzt, daß jedoch das Maß sich unterscheidet.
 
 
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