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"Professionelles Verhalten" soziologisch gesehen sinnvoll?

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25.04.08, 14:02:18

55555

Kleidung, verwendete Fremdwörter, Mimik und anderes wird im Alltag von vielen Mitmenschen anscheinend zur Eingruppierung von Personen verwendet.

Was aber hat z.B. die Kleidung mit fachlicher Kompetenz zu tun? Ist das Wissen um subkulturelle Standesbräuche und deren Anwendung ein Merkmal, das berechtigte Signalwirkung hat? Oder handelt es sich hier um einen weit verbreiteten Aberglauben, der Mimikry als reizvoll erscheinen lässt?

Warum benötigen viele Menschen offenbar solches Brauchtum um sich zu orientieren?
25.04.08, 23:19:53

drvaust

Zitat von 55555:
Warum benötigen viele Menschen offenbar solches Brauchtum um sich zu orientieren?
Was machst Du, wenn Du in eine völlig unbekannte Gruppe kommst und schnell richtig agieren mußt? Wenn Du die richtigen Leute ansprechen mußt, den Chef als wichtig erkennen mußt, Deinen Platz finden mußt usw.? Dann mußt Du möglichst schnell erkennen, wer welche Rolle hat. Dabei helfen übliche Signale, die die Rollen kennzeichnen.
Das ist aber, meiner Meinung nach, für Autisten schwieriger, weil die meisten Signale schlecht erkannt werden.
Zitat von 55555:
Oder handelt es sich hier um einen weit verbreiteten Aberglauben, der Mimikry als reizvoll erscheinen lässt?
Nein, das ist ein übliches Rollensystem, mit entsprechenden Signalen, das auch der Orientierung dient.
Z.B. bei einer Versammlung: wer, als einer der letzten, forsch den Raum betritt, allen zunickt und sich gleich an die Stirnseite des Tisches setzt, ist vermutlich der Chef. Wer sich ruhig in die Ecke verzieht und nichts sagt, evtl. noch Kaffee holt, ist vermutlich am unteren Ende der Hierarchie.
Oder in einer Werkstatt: wer da im Anzug rumläuft und sich umsieht, gelegentlich Anweisungen gibt, ist vermutlich ein hoher Chef. Wer dabei Arbeitskleidung trägt, ist nur ein Werkstattchef. Wer in Arbeitskleidung bei jedem Hinweis sofort losläuft, um etwas zu erledigen, ist nur ein einfacher Arbeiter.
Wer von Effizienzsteigerung, Personalbedarf und Kosteneinsparung redet, ist vermutlich ein Leiter. Wer von Zielgruppen und Öffentlichkeitswirkung redet, gehört zu Absatz oder Werbung. Wer örtlichen Dialekt spricht, ist nur von örtlicher Bedeutung. Wer Hochsprache, evtl. einen leichten fremden Dialekt, spricht, ist von überregionaler Bedeutung. Wer viele Fremdwörter benutzt, ist von hoher, evtl. internationaler, Bedeutung (oder ein Angeber).

Durch diese Signale wird die gesellschaftliche Stellung angezeigt. Wer sich nicht an diese Regeln hält, bekommt Ärger. Das können die Leute garnicht leiden, wenn jemand anders wirkt, als seiner Stellung entspricht.
Z.B. meine Großmutter hatte sich mal aufgeregt, weil ein Arzt, also ein Halbgott in Weiß, Jeans und einen weiten Pullover trug. Dafür trat ein Krankenpfleger wie ein Arzt auf.
Ich beherrsche dieses System nicht richtig, verstehe und erkenne vieles nicht. Früher hatte ich oft Probleme, weil ich zu zaghaft auftrat und mich gerne ins Abseits verzog, dadurch wurde ich nicht richtig ernst genommen. Jetzt trete ich eher wie ein Chef auf, das macht mich erfolgreicher, aber die Chefs können mich nicht leiden.
25.04.08, 23:32:00

bianka018

Zitat von 55555:
Kleidung, verwendete Fremdwörter, Mimik und anderes wird im Alltag von vielen Mitmenschen anscheinend zur Eingruppierung von Personen verwendet.
Ja, viele fühlen sich sicherer wenn sie nach außen zeigen können, dass sie zu einer bestimmten Gruppe dazu gehören. Sehr ausgeprägt ist es bei denen die einen hohen Wert im Geld sehen.
Grundsätzlich finde ich es nicht verkehrt wenn man ein ganz klein wenig die innere Einstellung anhand der Kleidung zeigt. Ich betone, ein ganz klein wenig. Die Leute die es erkennen sollen, die erkennen das dann schon. Zum Beispiel gibt es ja die bunten, schrillen Punks. Sie sind einfach zum wegrennen. Sie möchten einfach nur wirken, weil sie keinen wirklichen inneren Standpunkt haben. Entgegengesetzt zu diesen seltsamen Wesen, die sich die Haare täglich chemisch verseuchen, gibt es auch noch die "Urpunks". Ich nenn sie immer so. Sie haben einen inneren Standpunkt, den sie auch leben (es gibt sie wirklich). Es gibt ihnen eine gewisse Zufriedenheit mit sich selbst. Sie haben eine spezielle Wirkung nach Außen nicht mehr so sehr nötig. Selbiges gilt auch bei Hippis und anderen Gruppierungen.

Zitat:
Was aber hat z.B. die Kleidung mit fachlicher Kompetenz zu tun?
Kleidung hat nichts mit fachlicher Kompetenz zu tun. In einem Unternehmen stellt Kleidung ehr eine Rangordnung dar, wenn ich da mal nach meinen Erfahrungen gehe :))
Zitat:
Ist das Wissen um subkulturelle Standesbräuche und deren Anwendung ein Merkmal, das berechtigte Signalwirkung hat?
Da die Gesellschaft sehr gespalten ist, ist eine dezente Anwendung nicht verkehrt. Kriminell wird es natürlich, wenn zum Beispiel Rechtsradikale bewußt nach Außen eine gegenteilige Wirkung herbeiführen um unauffällig agieren zu können.
Zitat:
Oder handelt es sich hier um einen weit verbreiteten Aberglauben, der Mimikry als reizvoll erscheinen lässt?
Im Allgemeinen sollte man nicht versuchen zu finden, was einige sehr stark zu verkörpern versuchen. Da gibt es nichts, oder noch nichts zu finden. Das ist oft nur ein Versuch nach Außen hin irgendwie zu wirken.

Zitat:
Warum benötigen viele Menschen offenbar solches Brauchtum um sich zu orientieren?
Mangelndes Selbstvertrauen aufgrund von zu starker Prägung durch die Gesellschaft. Sie sind nicht mehr sie selbst. Sie werden daran gehindert sie selbst zu sein. Um Halt zu finden benötigen sie die Dazugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.
25.04.08, 23:47:57

55555

@drvaust:

Interessant. Meine Vorstellung war mehr eine gesamtgesellschaftliche, deine bewegt sich ganz auf der Ebene eines konkreten Systems ohne den Sinn des Systems zu hinterfragen. Solche Bräuche reichen zudem in der Realität weit ins Privatleben hinein und beeinflussen dort die Einstellung gegenüber Mitmenschen.

So wie du es schilderst sehe ich Parallelen zu Rangordnungen im Tierreich. Es ist die Sichtbarmachung einer vorhandenen Hierarchie. Die Kenntlichmachung ist kein formal organisiertes Verfahren, sondern organisiert sich weitgehend ohne verbale Anweisung.

@bianka018:

Woher denkst du kommt die Sehnsucht das Innere nach außen hin auszudrücken? Ist das ein Maßstab dafür in welchem Maß jemand bereit ist seine Persönlichkeit zurückzustellen?
26.04.08, 00:22:41

bianka018

Zitat von 55555:
Woher denkst du kommt die Sehnsucht das Innere nach außen hin auszudrücken?

Na ja, ich muß nochmal betonen dass die "stark nach Außen wirkenden" kein "festes Inneres" haben. Oder nur sehr wenig. In ihrem Inneren herrscht ein riesengroßes Durcheinander. Das gilt es zu ordnen. Sie zeigen demzufolge nicht ihr Inneres nach Außen, weil es noch nicht als Ganzes da ist.

Die Leute die ein stabiles Innere haben und es leben versuchen es ein wenig nach Außen hin auszudrücken, tun dies sehr unauffällig. Weil sie auf diese Art versuchen sich zu verzweigen. Gleichgesinnte zu finden, die ein stabiles Innere besitzen. Es gibt zu wenige davon, deshalb ist das eine Variante nach ihnen zu suchen.
Zitat:
Ist das ein Maßstab dafür in welchem Maß jemand bereit ist seine Persönlichkeit zurückzustellen?
Die Innere Einstellung definier ich jetzt mal mit Persönlichkeit. Wenn man weis, dass diese Persönlickeit von Anderen nicht gehört oder nicht akzeptiert wird weil niemand bereit ist umzudenken, dann verbirgt man sie und versucht denen ein Zeichen zu geben, die eine Ähnliche Persönlichkeit besitzen wie man selbst.
26.04.08, 04:05:33

drvaust

Zitat von 55555:
Ist das ein Maßstab dafür in welchem Maß jemand bereit ist seine Persönlichkeit zurückzustellen?
Ich würde sagen, Gruppenidentität statt Persönlichkeit.
Zitat von 55555:
Meine Vorstellung war mehr eine gesamtgesellschaftliche, ... Solche Bräuche reichen zudem in der Realität weit ins Privatleben hinein und beeinflussen dort die Einstellung gegenüber Mitmenschen.
Zitat von 55555:
Kleidung, verwendete Fremdwörter, Mimik und anderes wird im Alltag von vielen Mitmenschen anscheinend zur Eingruppierung von Personen verwendet. ...
Ist das Wissen um subkulturelle Standesbräuche und deren Anwendung ein Merkmal, das berechtigte Signalwirkung hat? ...
Warum benötigen viele Menschen offenbar solches Brauchtum um sich zu orientieren?
Du meinst Gruppierungen innerhalb der Gesellschaft, die sich von anderen Leuten abgrenzen, Subkulturen?
Die meisten Gruppierungen funktionieren als Abgrenzung von den Anderen. Wir sind die Richtigen! Die Anderen sind nicht richtig, schlecht, Feinde usw.. Das wird natürlich auch deutlich nach außen gezeigt, damit es keine Verwechslung gibt. Ich bin stolz ein ... (Idiot) zu sein.
Da gibt es welche, die jeden Monat mindestens tausend € für Kleidung ausgeben, nur große Autos fahren, ihr eigenes Haus oder Appartement nur in entsprechenden Wohngegenden haben, nur entsprechende Sportarten treiben usw., damit man sie nicht mit den primitiven Armen verwechselt, sie sind ja wer.
Da gibt es die extrem Kurzhaarigen, die sich mit den Bunthaarigen prügeln. Die Bunten verachten und provozieren die stinknormalen Spießer. Dann gibt es die Typen, die auch im Winter Solarium-verbrannt in teuren Sportsachen herumstolzieren, um zu zeigen, daß sie cool und sportlich sind. ...
;) Ich habe auch ein spezielles Aussehen, aber das ist kaum eine Gruppenidentität, sondern meine persönliche Art (oder einfach praktisch). :D
26.04.08, 13:59:10

haggard

geändert von: haggard - 26.04.08, 14:14:12

kleidung und sprache werden schon immer (?) dazu verwendet um anzuzeigen, zu welcher gruppe wer gehört. ob das nun die zugehörigkeit zu verschiedenen ländern darstellt, einer region oder eines berufes, einer clique, einem verein, politischen orientierung oder sonstwas ist. so besitzt der anführer eines stammes ebenso besondere attribute wie andere hohe personen anderer sozialer gruppen.
ein zimmermann in seiner kluft, oder ein bäcker, wird allein nach seiner berufskleidung schon einmal so beurteilt, als dass dieser eine bestimmte sache besser kann als jemand anderes. ob das stimmt oder nicht, sei einmal dahingestellt. "kompetenz-" und "signalwirkung" gibt es auch, wenn verschiedene menschen einen polizisten in seiner uniform entdecken. oder religionszugehörigkeit. schon einmal in einer evangelischen/katholischen kirche einen gebetsteppich ausgerollt?
das verhalten spielt dann auch noch eine rolle - und was von anderen als anständig und nicht anständig erachtet wird - passend oder unpassend.
aufgeschlossenheit in der kleidung, der sprache, der mimik, dem verhalten kann bei dieser vielfalt, für die diese dinge verwendet werden, überhaupt nicht mehr erfolgen. geistig können sich alle als tolerant und aufgeschlossen empfinden oder auch nicht.
es hat signalwirkung, jedoch führt es nicht zu einem echten miteinander der verschiedenen gruppen/schichten/ströme.

menschen wollen alles richtig machen. sie wollen erfolgreich sein. wenn sie ein ziel erreichen wollen, führt dies irgendwann dazu, sich bestimmte merkmale zu verleihen. spricht jemand einen dialekt, wo so sonst nur hochdeutsch gesprochen wird - und ist dies dem ziel hinderlich - wird sich der mensch dem hochdeutschen anpassen. umgekehrt genauso. manche berufe schreiben eine berufskleidung vor, andere nicht. wenn alle die gleiche berufliche stellung haben, wird das hierarchiedenken durch geld ausgedrückt: nur kleidung von designern, nur den ausgefallensten und teuersten schmuck, das teuerste parfüm, das teuerste auto, die teuerste yacht usw.

im privaten führen diese allgemeinen richtlinien dazu, dass eltern ihre kinder in bestimmte richtungen treiben. oder die kinder/jugendlichen fügen sich selbst in bestimmte gruppen - die sehr durch besonderes vokabular und kleidung geprägt sind.

menschen, die dem ganzen aus dem weg gehen, sind für andere schwer einzuordnen. was ist das für ein mensch? welche stellung hat dieser mensch? wie ist dieser mensch? bei anderen konkreten merkmalen fällt es den menschen leichter auf ähnliche merkmale zuzugehen. z. b. hundebesitzer. sie grüßen erst einmal jeden anderen hundebesitzer. wobei es auch dort unterschiede gibt. menschen, die wachhunde halten grüßen nicht unbedingt jeden, der einen schoßhund ausführt - und umgekehrt. ähnliches verhalten findet sich auch unter eltern von kleinkindern auf spielplätzen, wenn sie z. b. etwas gegen die herkunft, die einstellung, der sozialen schicht der anderen eltern und somit auch deren kinder haben.
auf menschen, die sich nicht zuordnen lassen, müssen sich andere mehr einlassen, mehr zeit investieren - und die enttäuschung kann groß sein, wenn sich alle mühe als zeitverschwendung herausstellt. menschen ohne zuordnung sind dann außenseiter. sie passen nicht hierhin und nicht dorthin. ähnlich wie sich zweisprachig aufgewachsene eventuell nirgendwo zuhause fühlen, wenn sie beide sprachen nicht annähernd perfekt beherrschen oder die kulturellen unterschiede zu groß sind.

mimikry ist zunächst anerzogen und dann vielleicht frei gewählt.

wenn sich andere auf mich einlassen, werde ich auf meine fähigkeiten reduziert - ob das egoistisch ist? ich könnte es anderen leichter machen - doch so wie es ist, ist es besser. denn diejenigen, die sich trauen, sind nicht so oberflächlich wie der rest. momentan lese ich watching the english - bezogen auf dieses thema ist es sehr interessant, weil es dort nur um soziale "klischees" und deren gelebte symbolik geht.
interessant wird es, wenn man bewusst eine rolle nach außen darstellt und sich dann komplett anders verhält. absolute verwirrung. eure beispiele mit den punks kann ich diesbezüglich einmal aufgreifen: wenn man sich als punk zu anderen punks setzt, gibt es keine großen reaktionen - es wird in gewisser hinsicht erwartet. setzt man sich aber als "erfolgsmensch" zu ihnen, sind nicht nur die punks verwirrt, sondern auch die "normalen" passanten, die die gesellschaftliche ordnung sofort in trümmern liegen sehen und dann noch mehr pöbeln, als es von punks erwartet wird.
26.04.08, 14:10:11

cony

@drvaust
Da gibt es die extrem Kurzhaarigen, die sich mit den Bunthaarigen prügeln. Die Bunten verachten und provozieren die stinknormalen Spießer. Dann gibt es die Typen, die auch im Winter Solarium-verbrannt in teuren Sportsachen herumstolzieren, um zu zeigen, daß sie cool und sportlich sind. ...
Ich habe auch ein spezielles Aussehen, aber das ist kaum eine Gruppenidentität, sondern meine persönliche Art (oder einfach praktisch).

Da geb ich dir recht.Es gibt aber auch die ,die zwar Ärzte ect. sind,aber privat an "Müllmänner" erinnern.

Allerdings wenn bei uns Chefs von oben kommen, oder der Hygieniker, brauchen sie sich nicht anmelden.Das sieht man schon am Anzug und am Auto ::) .

Im allgemeinen ist es aber so;
Wer in der Chefebene arbeitet,zieht sich dementsprechend an,meißt auch Privat und wenn es schon ein Jogginganzug ist, bestimmt nicht von C & A
Der "normale" Arbeiter zieht sich meißt auch zu Hause praktisch an und wird die Jogginganzüge kaum bei Hugo Boss kaufen.

Alles eine Frage des Geldes.
 
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