Was ist eine Lüge?
16.09.06, 11:08:09
bellaria
geändert von: bellaria - 16.09.06, 11:13:11
Der Beitrag über die verlangte Unehrlichkeit bei Bewerbungen hat mich zu diesem hier angeregt (seht und staunt: ich lerne dazu! ;) )
Was ist eine Lüge? Was ist die Wahrheit?
Ich hab mir folgendes Beispiel überlegt:
Ich will einer Kollegin was Nettes sagen (weil sie schlecht drauf ist und ich sie mag und aufheitern will). Ich überlege kurz und es fällt mir (in Echtzeit) nix Passendes ein. Da bleibt mein Blick an ihren Haaren hängen und ich sage spontan: "Deine Haare fallen heute aber hübsch!". Auch wenn mir die Frisur insgesamt vielleicht nicht unbedingt soooo gefällt.
Ist das eine Lüge?
Ja, weil ich ihre Frisur nicht sooo toll finde und mir Haare eigentlich egal sind.
Nein, weil ich ihr was Nettes sagen wollte und das auch getan habe, die Intention der Botschaft und die Botschaft kongruent und damit ehrlich waren.
Außerdem kommt man bei diesen Überlegungen automatisch bald bei Watzlawik an und der Subjektivität und damit Relativität von Wahrnehmung, Wirklichkeit und damit auch Wahrheit. Und wenn wir nicht mal genau sagen können, was wahr ist, wie sollen wir dann wissen, was gelogen ist?
Kann man Wahrheit nur mit Beipacktext verkaufen - so in der Art von Lisas Signatur?
"Diese meine Aussage steht im Kontext meiner Wahrnehmung und Wirklichkeit und ist nach bestem Wissen und Gewissen nicht in Täuschungsabsicht getätigt worden"?
Oder bin ich irgendwie übergenau?!
16.09.06, 11:24:27
Wursthans
Ich will einer Kollegin was Nettes sagen (weil sie schlecht drauf ist und ich sie mag und aufheitern will). Ich überlege kurz und es fällt mir (in Echtzeit) nix Passendes ein. Da bleibt mein Blick an ihren Haaren hängen und ich sage spontan: "Deine Haare fallen heute aber hübsch!". Auch wenn mir die Frisur insgesamt vielleicht nicht unbedingt soooo gefällt.
Interessant, so kommt sowas zustande? Das gilt vermutlich auch andersrum? Wenn du jemanden nicht leiden kannst und dir nichts Passendes einfällt das zu artikulieren sagst du ihm, daß seine Kleidung häßlich ist obwohl sie dir eigentlich vielleicht sogar gefällt?
Zitat:
Ist das eine Lüge?
Ja, weil du dich auch darauf grundsätzlich einstellen könntest in Sachen Kommunikation kompetenter zu werden, statt zu lügen. Oder hältst du das für allgemein oder in deinem speziellen Fall für nicht möglich?
Zitat:
Kann man Wahrheit nur mit Beipacktext verkaufen - so in der Art von Lisas Signatur?
Demnach stellst du deine beispielhafte Aussage als nicht gelogen, sondern ungenau hin? Hier müsste ich zunächst wissen, ob du generell weißt was dir gefällt um näher auf das Beispiel eingehen zu können. Ich schätze das ist so, weil du schriebst diese Frisur würde dir eigentlich nicht soooo gefallen. Demnach wäre deine Aussage gelogen, indem sie nicht deinen Empfindungen entspricht.
Fragen von Wahrheit sind grundsätzlich anders zu behandeln als Meinungsäußerungen.
16.09.06, 11:30:56
Goldloeckchen
Naja, die Absicht die dahinter steht nämlich sie psychisch auf bauen zu wollen ist sicher nichts verwerfliches. Nur finde ich eine Bemerkung über Kleidung und Haare einwenig oberflächlich da wäre eine nicht "erlogene" Bemerkung über ihren Charakter bzw. ihre Fähigkeiten aus meiner Sicht besser geeignet.
Dennoch finde ich es gut, dass du dir über sowas wie Ehrlichkeit Gedanken machst, tun viele Menschen nämlich so gut wie gar nicht und nutzen Lügen als profanes Mittel um sich durchs Leben zu schummeln. Ich möchte damit nicht behaupten noch nie gelogen zu haben aber ich wollte mich nie dadurch profilieren oder andere böswillig hinters Licht führen. Ich versuche so wenig wie möglich zu lügen wenns geht aber manchmal muss man aus Eigenschutz lügen...aber bevor ich wieder mal abschweife...
Übrigens haben sich schon damals sowie heute Bekannte und Freundinnen darüber aufgeregt, dass ich über Äusserlichkeiten so gut wie nie komplimente verteile. Wozu auch?
16.09.06, 11:32:18
bellaria
Mein Beispiel und meine allgemeinen Überlegungen stehen nicht in direktem Zusammenhang - auch wenn das in meinem o.a. Beitrag nicht klar zu erkennen ist. Im Zweifelsfall ist das Beispiel blöd. ;)
16.09.06, 11:33:37
Goldloeckchen
Nun, vllt überlegst du dir dann ein anderes Beispiel?
16.09.06, 11:33:58
Wursthans
Übrigens haben sich schon damals sowie heute Bekannte und Freundinnen darüber aufgeregt, dass ich über Äusserlichkeiten so gut wie nie komplimente verteile.
Wie peinlich. Jemanden wegen seiner Frisur zu loben ist doch im Grunde eine Beleidigung indem der Lobende dem zu Lobenden unterstellt er sei besonders an Oberflächlichkeiten interessiert.
16.09.06, 11:35:12
bellaria
Es handelt sich um eine Kollegin - ich habe mir ihr nichts gemeinsam und weiß über sie nicht mehr, als dass wir in derselben Firma arbeiten. Mehr als oberflächliche Komplimente gehen da wohl nicht. Außerdem muss ich davon ausgehen, dass sie normal ist und sie tiefer Gehenderes, Persönlicheres am Arbeitsplatz sicher irritieren würde (und mich wieder mal als Freak erscheinen lassen würde).
16.09.06, 11:38:14
Wursthans
Ich dachte du bist selbstständig?
16.09.06, 11:38:42
bellaria
Neuer Versuch:
Entscheidet nur der Inhalt einer Botschaft über Lüge oder Wahrheit, oder tut dies auch die Intention?
16.09.06, 11:41:06
bellaria
geändert von: bellaria - 16.09.06, 11:44:43
Ich dachte du bist selbstständig?
Ja, bin ich, Aber vorher war ich es 20 Jahre lang nicht, so dass ich mich durchaus kompetent fühle, dieses Beispiel zu bringen. Oder willst Du mich gerade einer Lüge bezichtigen? ;)
16.09.06, 11:48:43
Lisa M.
Zitat:
Und wenn wir nicht mal genau sagen können, was wahr ist, wie sollen wir dann wissen, was gelogen ist?
Hm, na, *einfach* gesehen ist gelogen, wenn man nicht mal selbst an das glaubt, was man behauptet. Und doch gestaltet sich die Sache in der Praxis komplizierter. An deinem Beispiel: Wenn du es so formulierst, wie du es geschrieben hast, ist das strenggenmommen weder eine Lüge noch eine Wahrheit...
Zitat:
"Deine Haare fallen heute aber hübsch!"
Würdest du sagen: "Ich finde, deine Haare fallen hübsch heute.", dann wäre das eine Lüge - weil du findest nicht, dass die Haare hübsch fallen, und du weißt, ob sie dir gefallen oder nicht. Natürlich impliziert der andere Satz genau das, aber wenn man spitzfindig wird, dann könntest du argumentieren, es sei keine Lüge, sondern eine Wahrheit, die zu erkennen du nur nicht in der Lage bist. :D
Wenn ich lügen muss, was ich ungern tue, dann mache ich das am liebsten, indem ich spitzfindig werde und die Leute in dem Glauben lasse, ich hätte das gemeint, was allgemein mit so einem Satz impliziert wird. Oft kann man auch sagen, dass eine Sache im tieferen Sinn wahr sei, auch wenn sie es im oberflächlichen Sinn nicht ist. Und der tiefere Sinn ist da natürlich der wichtigere... Hm, nehmen wir mal das Beispiel, jemand heiratet einen Ausländer, um ihn vor einer Abschiebung zu bewahren, die ihn in eine unangenehme persönliche Situation bringen würde wie z.B., im Heimatland mit Folter rechnen zu müssen. Auf die Frage, ob es sich um eine Liebesheirat handele, kann man guten Gewissens mit Ja antworten und sich im Kopf ergänzen: "Nächstenliebe!"
Lüge und Wahrheit sind oftmals näher beeinander, als man denkt, und ein absolutes moralisches Kriterium ist Wahrheit auch nicht. Ich finde auch, dass es mehr auf die Intention ankommt. Zwar macht eine gute (im ethischen Sinne) Intention eine Lüge nicht zur Wahrheit, aber wer sagt denn, dass Wahrheit ein ethischer Wert für sich ist oder der höchste? Ich finde, es gibt höhere ethische Werte als die Wahrheit. Wahrheit kann manchmal auch schaden - z.B., wenn man einem Killer wahrheitsgemäß Auskunft gibt, wo sich sein Opfer aufhält. Besser, man belügt den Kerl.
Aber eine Situation, wie du sie beschreibst, verwirrt mich meist und macht mich eventuell sogar misstrauisch. Wenn mir jemand sagt, meine Haare würden heute aber schön fallen, und ich weiß, sie hängen traurig herab wie die Blätter tagelang nicht gegossener Zimmerpflanzen (interessanterweise tun sie das wirklich, wenn ich mies drauf bin), dann frage ich mich verwirrt: Was will die Person? Bei Männern isses klar, da ist der erste Verdacht: Sie machen einem Komplimente, damit man sie toll finden soll. Womöglich möchten sie auch, dass man das Kompliment erwidert, aber da bin ich hart und tue das nicht, auch wenn das Schweigen noch so mit Erwartungen gefüllt zu sein scheint. Ich fühle mich dann aber ziemlich grässlich dabei, halt gemein. Aber ich will mich trotzdem nicht manipulieren lassen. Und ich mache nunmal nicht gern Komplimente - höchstens dann, wenn ich es wirklich ehrlich meine und finde, das muss mal gesagt werden.
16.09.06, 12:14:37
Wursthans
und weiß über sie nicht mehr, als dass wir in derselben Firma arbeiten.
Das ist die Gegenwartsform, nicht die Vergangenheitsform.