NZZ am Sonntag: Wäre die Welt besser ohne Menschen mit Behinderung [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff]?
Peter Singer: Eine direkte Antwort auf diese Frage führt wahrscheinlich zu Missverständnissen. Offensichtlich gibt es behinderte Menschen, die Freude am Leben haben. Daran will ich sie nicht hindern, vielmehr sollten Regierungen sie bei der Integration in die Gesellschaft stärker unterstützen. Wäre es besser zu vermeiden, dass mehr Behinderte auf die Welt kommen und Leute durch Krankheiten oder Unfälle behindert werden? Unbedingt. Dem würde fast jeder zustimmen.
Sind Sie sicher?
Die meisten Frauen beenden eine Schwangerschaft, wenn das Kind eine schwere Behinderung hat. Schwangere vermeiden, mit Röteln in Kontakt zu kommen. Arbeitgeber schaffen sichere Arbeitsplätze, damit ihre Angestellten sich nicht verletzen und eine Behinderung davontragen. In diesem Sinne denkt jeder, dass die Welt besser wäre, wenn wir Behinderungen verhindern.
In der Schweiz wird im Juni darüber abgestimmt, Präimplantationsdiagnostik (PID) zu erlauben. Dann wird es leichter, Behinderungen zu vermeiden: Wer bei einer In-vitro-Fertilisation kein Kind mit einer Behinderung will, kann es nach der PID aussortieren und so einen Schwangerschaftsabbruch vermeiden.
Ich halte es für vernünftig, PID zu erlauben. Ein Embryo hat kein Recht auf Leben. Es ist nicht falsch, ihn zu verwerfen, wenn man ein Kind mit Genen, die zu einer Behinderung führen, nicht will.
Manche befürchten, dass die Erlaubnis der PID zu einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung [Laut Forenregeln diskriminierender Begriff] führen könnte.
Die gibt es bereits. Ich glaube nicht, dass es schlimmer wird, wenn man PID erlaubt. Schon jetzt beenden über 80 Prozent der Frauen die Schwangerschaft, wenn das Kind eine Behinderung hat.
Aber bei einer PID ist man gezwungen, eine Auswahl aus mehreren Embryonen zu treffen.
Bei einer Schwangerschaft geschieht das ebenso. Wenn eine Frau die Schwangerschaft abbricht, weil das Kind das Down-Syndrom hat, heisst das nicht, dass sie kein Kind mehr will. Sie wird wieder schwanger. Also entscheidet sie sich zwischen dem Kind, das jetzt in ihrer Gebärmutter ist, und einem zukünftigen Kind, das hoffentlich keine Behinderung hat.
Ist es überhaupt möglich zu entscheiden, ob ein Leben lebenswerter ist als ein anderes?
Wenn ein Kind mit zwei Jahren stirbt, nachdem es seit seiner Geburt an einer quälenden Krankheit gelitten hat, ist sein Leben schlechter als das eines Kindes ohne diese Krankheit. Vergleiche sind also möglich.
Das ist ein Extremfall.
Beim Down-Syndrom ist es schwieriger. Die Kinder können ziemlich glücklich sein. Manchmal leiden aber die Eltern, wenn sie Erwartungen hatten, die sich nicht erfüllen, und sich zum Beispiel Enkel wünschen. Dann ist es schwierig zu entscheiden, ob ein Leben besser oder schlechter ist. Aber es ist nicht unmöglich.
Jemanden mit einer Behinderung könnte es verletzen, wenn Sie so reden.
Ich glaube nicht. Wir alle haben etwas, das wir lieber nicht hätten, oder? Hätten meine Eltern ein Kind wie mich, aber mit guten Augen bekommen, wäre das besser gewesen.